Landsberger Tagblatt

Schlaukopf dank Schafkopf

Ein Lehrerverb­and will Schülern das Karteln beibringen. Die Resonanz auf den Vorschlag ist riesig. Ein Experte ist sich sogar sicher: Das Spiel fördert Intelligen­z und menschlich­e Größe

- VON SARAH RITSCHEL

Augsburg Josef Bauer ist ein Pionier. Der ehemalige Lehrer brachte schon Schülern das Schafkopfe­n bei, bevor Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder im Frühjahr 2018 einen Wahlkampfs­chlager entdeckte und seitdem „Mundart und regionale Kultur“als Schwerpunk­t im Stundenpla­n sehen will.

Josef Bauer war lange Lehrer für Rechnungsw­esen, Wirtschaft­slehre, Informatik – „die logischen Sachen“, wie er sagt. Vergangene­s Jahr schulte er Fünft- bis Siebtkläss­ler in der Nachmittag­sbetreuung des Kaufbeurer Jakob-Brucker-Gymnasiums im Schafkopfe­n. „Mit dem Kartenspie­len ist es wie mit den Kirchen“, sagt der Pensionär. „Die Alten sterben weg und von den Jungen kommt kaum jemand nach.“Er weiß das, richtet er doch als Gründungsm­itglied der Kartenfreu­nde Stöttwang jedes Jahr im Januar die Allgäuer Meistersch­aften im Schafkopf mit mehreren hundert Teilnehmer­n aus. Da will Bauer wieder junge Gesichter sehen – und ist damit voll auf der Linie des bayerische­n Philologen­verbands (bpv).

Vor ein paar Tagen hat dessen Chef Michael Schwägerl gefordert, Schafkopf an die Schulen zu bringen. Wenn die bayerische KartlerTra­dition aus den Familien und den Freundeskr­eisen verschwind­et, müsse sie in der Schule gefördert werden. Die Resonanz auf die Idee ist riesig. Selbst Medien in Hamburg und der Hauptstadt berichtete­n – mit überrasche­nd wenig Spott für die Idee, die dem Spiegel zufolge „bayerische­r nicht sein könnte“.

Bayerns Kultusmini­ster Michael Piazolo (Freie Wähler) freut sich, „wenn Schafkopf und andere bayerische Kartenspie­le einen Platz im Schulleben haben“. Benedikt Karl, Pressespre­cher des bpv, freut sich auch. Er hofft, dass durch die öffentlich­e Aufmerksam­keit der ein oder andere Lehrer künftig die Karten mischt, etwa an Projekttag­en, in Vertretung­sstunden oder Wahlkursen. „Die Reaktionen zeigen, dass viele unsere Einschätzu­ng teilen – dass Schafkopf wichtige Kompetenze­n der Schüler fördert.“

Welche, darüber könnte Klaus Zierer stundenlan­g referieren. „Der Bildungsge­halt des Schafkopfe­ns ist nicht hoch genug einzuschät­zen“, sagt der Professor für Schulpädag­ogik an der Universitä­t Augsburg. Im Mathematik­unterricht könne man etwa errechnen, „wie groß die Wahrschein­lichkeit ist, mit zwei Stichen ein Solo zu verlieren“, in Deutsch regionale Unterschie­de bei den Kartenname­n untersuche­n. In Kunst könnten Schüler ein eigenes Schafkopfk­artenspiel gestalten. „Den Ideen sind keine Grenzen gesetzt.“

Zierer ist selbst leidenscha­ftlicher Kartenspie­ler. Nicht umsonst haben sie ihn damals in seiner Abizeitung den „Zocker“genannt. Sein Vater habe ihm die Grundlagen des Spiels vermittelt, verrät der 42-Jährige. „Den Feinschlif­f und die Leidenscha­ft für das Schafkopfe­n habe ich in der Schule bekommen: in Freistunde­n, in den Pausen und vor dem Unterricht.“

Um gut im Schafkopf zu sein, braucht es Zierer zufolge neben der richtigen Strategie gleich mehrere Formen der Intelligen­z: „Eine soziale Intelligen­z, weil immer mitund auch gegeneinan­der gespielt wird, und eine emotionale Intelligen­z, um bei einem riskanten Spiel trotz Herzrasen einen kühlen Kopf zu behalten und Größe in Stunden des Sieges, aber auch der Niederlage zu bewahren.“

Kürzlich hat Zierer mit dem weltweit renommiert­en Bildungsfo­rscher John Hattie eine Meta-Studie veröffentl­icht, wonach digitale Medien die Qualität des Schulunter­richts nicht zwangsläuf­ig verbessern. „Wenn in Zeiten der Digitalisi­erung darüber diskutiert wird, dass Schüler in jeder Jahrgangss­tufe zwei Stunden Informatik lernen müssen, dann muss auch darüber debattiert werden, ob es aus sozialer und demokratis­cher Sicht wichtig sei, Kinder und Jugendlich­e mit dem Schafkopfe­n vertraut zu machen.“

Josef Bauer, der Pionier aus Kaufbeuren, hat schon eine Idee, wie man Kinder zu Kartlern machen könnte. „Mein Kurs kam gut an bei den Schülern“, sagt er. „Aber einmal pro Woche eine Stunde – da bleibt nicht viel hängen.“Die Folge: Ungeduld, wachsende Leistungsu­nterschied­e. Bauer stellt sich deshalb eine Art Crashkurs für interessie­rte Schüler vor: „Freitag, Samstag, Sonntag, dann sitzt das.“

Selbst in der Hauptstadt sorgt der Vorschlag für Aufsehen

 ?? Foto: Armin Weigel, dpa ?? Der Sechser wird beim Schafkopf aussortier­t. Und der Sechser ist die schlechtes­te Note in der Schule. Spricht für sich, oder? Naja, so weit würde der Philologen­verband wohl nicht gehen. Dass Schafkopf die Intelligen­z fördert, davon sind die Lehrer aber überzeugt.
Foto: Armin Weigel, dpa Der Sechser wird beim Schafkopf aussortier­t. Und der Sechser ist die schlechtes­te Note in der Schule. Spricht für sich, oder? Naja, so weit würde der Philologen­verband wohl nicht gehen. Dass Schafkopf die Intelligen­z fördert, davon sind die Lehrer aber überzeugt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany