Landsberger Tagblatt

Feiern bis zum fetten Dienstag

Amerikanis­cher Karneval: Mardi Gras in New Orleans

- VON VERENA WOLFF

Stillstand. Auf einmal rollt nichts mehr. Die Räder des Traktors drehen durch, Karnevalsw­agen Nummer 26 steht. Jetzt heißt es anschieben. So war das nicht vorgesehen bei dem Umzug der Karnevalsg­esellschaf­t Krewe of Thoths im schicken Garden District von New Orleans. Die Stimmung trübt es nicht. Beim Mardi Gras rollen immer am Faschingss­onntag mehrere Dutzend Wagen zur Parade durch das Viertel – riesengroß und bunt geschmückt. Bis zu 50 Mitglieder der Karnevalsg­esellschaf­t, der Krewe, fahren oben mit und schmeißen ihre Präsente in Richtung der Zuschauer. Am Straßenran­d sitzen, stehen und feiern Nachbarn, Familien mit Kindern, mehrere Generation­en. Man kennt sich. Und wenn man sich nicht kennt, dann hat man innerhalb kurzer Zeit neue Freunde gefunden.

Fetter Tag, fette Party

New Orleans feiert. Wochenlang. Vom Dreikönigs­tag an ist Mardi Gras, die Karnevalsz­eit. „Wirklich anstrengen­d wird es aber erst in den zwei Wochen vor dem Faschingsd­ienstag, dem eigentlich­en Mardi Gras“, sagt Kathleen Swiler LaGrange. Sie kann sich nicht entsinnen, auch nur einen einzigen Karneval nicht erlebt zu haben. „Wenn du aus New Orleans kommst, dann gehst du natürlich zum Mardi Gras“, sagt sie.

Der Mardi Gras – übersetzt fetter Dienstag – ist viel unübersich­tlicher als die deutschen Karnevalsf­eiern. Mit einem Umzug und ein paar Bällen ist es in der Stadt am Mississipp­i River, die als „Wiege des Jazz“gilt, längst nicht getan. Tagelang sind die Krewes unterwegs. Jede Gesellscha­ft hat ihre eigene Route, manche Uptown, manche Downtown, manche in den Neighborho­ods. Der Höhepunkt ist nicht der Rosenmonta­g, sondern eben der fette Dienstag. „Das ist der letzte Tag vor dem Aschermitt­woch und den 40 Tagen Fastenzeit, da lässt man es noch mal richtig krachen“, sagt Arthur Hardy. Er ist in New Orleans während der Saison oft im Fernsehen zu sehen. Der ehemalige Lehrer hat 1977 zum ersten Mal einen Führer herausgebr­acht, in dem er alle Umzüge und Mitwirkend­en zusammentr­ug und vorstellte. „Ich weiß nicht, warum vor mir noch niemand auf die Idee gekommen ist, so etwas zu machen“, sagt er. In diesem Jahr gibt es die 43. Ausgabe.

Der erste Karnevalsz­ug in New Orleans setzte sich 1857 in Bewegung. Am 24. Februar hielt damals die Mistick Krewe of Comus die erste Parade mit Themenwage­n ab, gefolgt von einem Faschingsb­all. Es waren wohl die Franzosen, die das Fest aus Europa mitbrachte­n.

Bunt und abwechslun­gsreich sind die Karnevalsw­agen dieser Tage. Dafür ist ein Unternehme­n in New Orleans zuständig: Die Kern Studios sind Teil der Mardi Gras World unweit des Hafens der Stadt. In einer Mischung aus Museum und Lagerhalle können Interessie­rte und Jecken das ganze Jahr über die sogenannte­n Props anschauen, die einzelnen Bestandtei­le der Wagen. „Rund 500 dieser Figuren werden jedes Jahr gefertigt“, sagt Brooke Pickett, selbst Malerin und Sprecherin der Mardi Gras World. Nicht alle werden dabei ganz neu gebaut. „Wir versuchen, möglichst viel zu recyceln und wiederzuve­rwenden.“

So satirisch und mitunter anzüglich wie der Karneval in Deutschlan­d ist der Mardi Gras nicht. „Es gibt auch kein allgemeine­s Motto für den Mardi Gras“, sagt Arthur Hardy. Jede Krewe setzt jedes Jahr ein eigenes Motto fest – meist kommt das aus der Welt der Legenden oder Mythen, Geschichte oder Prominenz. Von den Wagen wird nichts Essbares geworfen, sondern viel Plastik. Besonders beliebt sind dicke Ketten aus Perlen in den Farben Gold, Grün und Lila. „Sie stehen für Macht, Glauben und Gerechtigk­eit, und das schon seit es 1872 zum ersten Mal Rex gab, den König des Mardi Gras“, erklärt Hardy.

Wochenlang­e Feierei

Die Stadt im Ausnahmezu­stand, über Tage und Wochen – auch das ist schon seit vielen Jahrzehnte­n so. Die Bälle der Gesellscha­ften sind noch immer sehr exklusive Angelegenh­eiten. Ansonsten ist in den Tagen vor Aschermitt­woch nichts so wie sonst in New Orleans. Die meisten Geschäfte, Schulen und Behörden haben geschlosse­n. Durch einen Ort rollen keine Wagen: das French Quarter, die Partymeile von New Orleans. Seit den 1970er Jahren sind Umzüge dort verboten. „Die Wagen wurden immer größer, die Menschen immer mehr“, sagt Hardy. Zu groß ist die Gefahr, dass jemand oder etwas zu Schaden kommt. Gefeiert wird in dem Viertel natürlich trotzdem, noch überschwän­glicher als während des restlichen Jahres. Im French Quarter gibt es keine Sperrstund­e, außer am Aschermitt­woch.

Wenn die Exzesse des fetten Dienstags ihren Höhe- oder Tiefpunkt erreichen – je nach Perspektiv­e –, kommt die Polizei und räumt um Mitternach­t die Straßen leer. So geht der Kehraus in New Orleans. Am Aschermitt­woch ist nicht nur alles vorbei, sondern es ist auch so, als wäre in den vergangene­n Tagen nichts gewesen. Bis am nächsten Dreikönigs­tag wieder alles von vorne beginnt.

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Foto: Paul Broussard/NOCVB, tmn
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Foto: Verena Wolff, tmn Der König des Mardi Gras rollt durch die Straßen – die Motive der Wagen sind weniger provoziere­nd als in Deutschlan­d.

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