Landsberger Tagblatt

Streitfrag­e Soziale Medien weiter nutzen?

- SASCHA BOROWSKI RICHARD MAYR

Grünen-Chef Robert Habeck verabschie­det sich aus Twitter und Facebook – und verhält sich damit wie Vogel Strauß, der den Kopf in den Sand steckt und hofft, dass künftige Stürme spurlos an ihm vorüberzie­hen. Doch so einfach ist es nicht. Natürlich, Habeck hat in den vergangene­n Tagen wirklich die dunkelsten Seiten der sozialen Medien erleben müssen. Er wurde Opfer eines massiven Datenklaus. Unbekannte hatten persönlich­e Inhalte Habecks und seiner Familie veröffentl­icht – Daten, die er offenbar „privat“bei Facebook halten wollte. Dazu noch ein Fauxpas bei Twitter: In einem dort geposteten Video hatte sich der Grüne missverstä­ndlich ausgedrück­t und eine Welle der Empörung ausgelöst, wie es in sozialen Netzwerken bisweilen passiert.

Jetzt hat Habeck also die Nase voll von Twitter & Co., verabschie­det sich daraus – und wird damit vielen Menschen aus der Seele sprechen, die mit sozialen Netzwerken, ihren Erregungsw­ellen, und der oft übermäßig ruppigen Diskussion­s-„Kultur“dort ohnehin ihre Probleme haben.

Trotzdem geht der Politiker den falschen Weg. Denn soziale Netzwerke sind heute der Ort, an dem gesellscha­ftliche Diskussion, an dem Meinungsbi­ldung stattfinde­t. Das kann man gut oder schlecht finden, ignorieren kann man es nicht. Wer in diesen Räumen nicht präsent ist, überlässt den Diskurs anderen, den Extremiste­n von links und rechts, den Vereinfach­ern, den Lügnern und Scharfmach­ern, die Twitter, Facebook und WhatsApp längst zu ihren wichtigste­n Instrument­en gemacht haben.

Der Kampf gegen diese destruktiv­en Kräfte, gegen die Empörungsw­ellen, den Hass, die Hetze in den sozialen Netzwerken ist mühsam. Das schon. Aber er ist alle Anstrengun­g wert. Damit das Internet ein Raum für offene Debatten bleibt.

Mag sein, dass es für einen Politiker rein wahltaktis­ch klüger ist, einen eigenen, direkten Zugang zu den Menschen über die sozialen Medien zu unterhalte­n, dort für die eigene Position und am Ende auch um Stimmen zu werben. Was im Fall von Habecks verunglück­ten Mitteilung­en und in anderen Beispielen aber auch zu sehen ist: Ein blöder, nicht zu Ende gedachter, schnell hingetippt­er Gedanke genügt, um einen Sturm der Entrüstung heraufzube­schwören und die politische Arbeit von Wochen und Monaten zu zerstören.

Der Nachweis, dass sich soziale Medien in Demokratie­n tatsächlic­h als nützliche Plattforme­n für gewinnbrin­gende politische Diskussion­en erweisen, muss sowieso erst noch erbracht werden. Im Regelfall findet Kommunikat­ion dort als Aussenden von Nachrichte­n und nicht als Austausch statt. Und wenn die Mitteilung­en und Kommentare am Ende von Bots, also Computer-Programmen, oder TrollFabri­ken, also Schreibern mit dem Auftrag oder Ansporn, Zwist zu sähen, verfasst werden, muss man sich fragen, wie die sozialen Medien die politische Debatte tatsächlic­h bereichern.

Eher schon haben sie das Potenzial, Diskussion­en zu vergiften oder vollkommen auszuklamm­ern. Der brasiliani­sche Rechtspopu­list Jair Bolsonaro hat es vor allem durch einen geschickte­n Wahlkampf über soziale Medien geschafft, mit seinen radikalen Positionen und zurechtgeb­ogenen Fakten eine Mehrheit zu gewinnen.

Wenn ein deutscher Spitzenpol­itiker öffentlich aussteigt, sollte das ein Alarmsigna­l für den gesamten politische­n Betrieb sein: Die sozialen Medien mögen wie ein harmloses Spielzeug wirken, auf denen jeder, der Hip sein will, mitklimper­n muss. In der Konsequenz stärken sie bislang eher antidemokr­atische Kräfte.

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