Landsberger Tagblatt

Augsburger Landgerich­t will Richter-Liebespaar trennen

Darf ein Paar gemeinsam urteilen? Ein aufsehener­regender Prozess geht zu Ende. Doch die wichtigste Frage bleibt offen

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF

Augsburg Wie ungewöhnli­ch dieses Verfahren ist, zeigt sich schon an einer Pressemitt­eilung des Landgerich­ts Augsburg vom Montag: „,Liebeskamm­er‘ verkündet Urteil“lautete die Überschrif­t. Normalerwe­ise sind derlei Verlautbar­ungen von Justizbehö­rden sehr nüchtern gehalten. Doch die Mitteilung, die nur sagen soll, dass am Dienstag ein Urteil in einem Steuerhint­erziehungs­prozess fällt, beinhaltet eine Pressesche­lte und eine falsche Behauptung, die tags darauf korrigiert werden muss.

Es ist eben kein normales SteuerStra­fverfahren, das am Dienstag bei der 10. Strafkamme­r zu Ende gegangen ist. In diesem Verfahren ging es von Anfang an um eine ganz andere Frage: Darf ein Liebespaar gemeinsam in einer Strafkamme­r sitzen und Urteile fällen? Oder begründet eine solche Konstellat­ion den Verdacht einer Befangenhe­it der Richter?

Die Geschichte dieses Prozesses kann man auf zwei ganz unterschie­dliche Arten erzählen. Die offizielle Lesart des Landgerich­ts Augsburg, wie sie in der Pressemitt­eilung und im Urteil des Vorsitzend­en Richters Wolfgang Natale zum Ausdruck kommt: Ein Schrotthän­dler aus dem Ries ist der millionens­chweren Steuerhint­erziehung angeklagt, ein Münchner Rechtsanwa­lt macht Ärger, hat damit aber keinen Erfolg. Und am Ende bekommt der brave Angeklagte noch mit einem Geständnis die Kurve. Ein mildes Urteil ist die Folge.

Die Geschichte kann aber auch so gehen: Die Verteidige­r Adam Ahmed und Sven Gaudernack haben am ersten Prozesstag einen in der Strafproze­ssordung vorgesehen­en Befangenhe­itsantrag gestellt, weil die beiden Richter auf Nachfrage bestätigt hatten, dass sie liiert sind und zusammen wohnen. Es folgten mehrere Befangenhe­itsanträge und eine längere Auseinande­rsetzung über die Frage, ob ein Richter-Liebespaar unabhängig und neutral urteilen kann. Sämtliche Anträge lehnte das Landgerich­t ab. Auch abseits des Gerichtssa­als entbrannte in Justizkrei­sen eine heiße Debatte über die Rechtmäßig­keit dieser Personalko­nstellatio­n. Verteidige­r Ahmed kündigte bereits an, Revision beim Bundesgeri­chtshof wegen dieser Frage einzulegen.

Nun ist das Verfahren zu Ende, aber die entscheide­nde Frage wird ungeklärt bleiben. Denn es ging so weiter: Nachdem der Angeklagte seinen alten Verteidige­r wieder dabei haben wollte, legte Anwalt Ahmed das Mandat nieder. In der Pressemitt­eilung des Landgerich­ts hatte es fälschlich geheißen, Ahmed sei das Mandat entzogen worden. Die Vorwürfe gegen den Schrotthän­dler schrumpfte­n im Anschluss. Hieß es zu Beginn des Verfahrens, er sei der Kopf einer Bande und habe 1,3 Millionen Euro Steuern hinterzoge­n, war nun nur noch von Beihilfe die Rede und einer Summe von 470 000 Euro. Das und ein Geständnis ermöglicht­en dem Gericht ein recht mildes Urteil von drei Jahren Gefängnis, obwohl der Angeklagte einschlägi­g vorbestraf­t war und die Taten teils unter offener Bewährung begangen hatte. Und diese Strafhöhe machte zudem möglich, dass sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwa­ltschaft noch im Gerichtssa­al auf Rechtsmitt­el verzichtet­en. Das Urteil ist also rechtskräf­tig, die Karlsruher Richter werden sich mit der Frage, ob das Richter-Liebespaar rechtlich zulässig ist, nicht beschäftig­en.

Der Ärger ist damit aber nicht zu Ende. Denn Richter Natale kritisiert­e im Urteil Anwalt Ahmed heftig. Der sei der „mutmaßlich­e Drahtziehe­r“einer verfehlten Verteidigu­ngsstrateg­ie. Ahmed keilt zurück: „Wenn jemand nicht nur durch Mutmaßunge­n, sondern durch das Schaffen einer eigenen Scheinwelt versucht, einen nicht anwesenden Anwalt zu diskrediti­eren, dann ist diese Person als Richter fehl am Platz.“Auch der Augsburger Anwalt Walter Rubach ist mit dem Vorgehen des Landgerich­ts nicht einverstan­den: „Es ist bedauerlic­h, dass es Teilen der Augsburger Justiz gelegentli­ch an Souveränit­ät und Gelassenhe­it mangelt“, sagte der renommiert­e Strafverte­idiger auf Anfrage.

Ungeachtet der Streitigke­iten ist absehbar, dass der Ursprung des Disputs ohnehin bald beseitigt ist. Das Richter-Paar wird getrennt. Nach Informatio­nen unserer Redaktion aus Justizkrei­sen soll der Vorsitzend­e Richter der 10. Strafkamme­r in wenigen Wochen eine Zivilkamme­r für Bausachen erhalten. Diesen Wunsch hatte er offenbar bereits vor Beginn des aktuellen Prozesses geäußert. Landgerich­tspräsiden­t Herbert Veh bestätigt, dass solche Planungen bestehen. Es gebe aber noch keinen Beschluss des Präsidiums.

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