Landsberger Tagblatt

Die Unvernunft in Person

Kritiker haben Mary Roos schon mit der Valente verglichen. Als Profi nimmt sie den Schlager ernst, macht sich aber auch als „schrille Alte“über ihn lustig

- Rupert Huber

Wenn eine Schlagersä­ngerin ihr jüngstes Album „Abenteuer Unvernunft“nennt, ahnt man, dass eine gehörige Portion Augenzwink­ern und Ironie drinsteckt, aber auch Melancholi­e und reichlich Lebenserfa­hrung. Kaum zu glauben, was Mary Roos einmal über sich gesagt hat: „Als junge Erwachsene war ich langweilig.“

Aber trotz gescheitel­tem Haar und Zahnlücke beeindruck­te die Hotelierst­ochter Rosemarie Marianne Schwab – so ihr bürgerlich­er Name – aus Bingen am Rhein mit ihrer Stimme als 14-jähriger Teenager beim internatio­nalen Schlagerfe­stival im belgischen Knokke. Heute wird sie 70.

Kritiker und Kollegen bescheinig­ten Mary Roos später, neben Caterina Valente die einzige deutschspr­achige Sängerin zu sein, die den internatio­nalen Vergleich nicht zu scheuen brauchte. Ihr Gefühl für Swing und portugiesi­sche Rhythmen machten das möglich.

Gleichwohl ist Mary Roos nicht zum wirklichen Star aufgestieg­en, obwohl sie 1972 drei Wochen lang im legendären Pariser Show-Tempel „Olympia“mit einem eigenen, französisc­h gesungenen Programm auftrat. Für die Feuilleton­s war „die Valente vom Mäuseturm“, wie sie in den Medien verspottet wurde, in der Regel kein Thema. Sich der Phänomenol­ogie eines leichtgewi­chtigen Genres zu widmen, war eher verpönt. 1972 erreichte sie beim Grand Prix Eurovision in Edinburgh mit „Nur die Liebe lässt uns leben“den dritten Platz. 1984 gewann sie zwar mit „Aufrecht geh’n“ den deutschen Schlagerwe­ttbewerb „Ein Lied für Luxenburg“, musste sich dort aber mit einem popeligen 29. Platz begnügen.

Und doch gibt es einen MaryRoos-Kultsong: „Arizona Man“. Den Text kann man abhaken: „Denn ein Ton wird zum Lied und eine Träne zum Strom.“Aber Komponist Giorgio Moroder nahm nicht nur einen raffiniert­en Rhythmuswe­chsel vor, sondern baute auch die erste Synthesize­r-Schleife in einen deutschen Schlager ein. Damit konnte Werner Böhm, ab 1982 Marys zweiter Ehemann, nicht konkurrier­en. Der zog lieber als Gottlieb Wendehals mit „Polonäse Blankenese“durch die Stimmungss­äle. Im September 1989 waren zwar nicht die Löcher aus dem Käse geflogen, aber das Paar ließ sich scheiden. Was blieb, war der 1986 geborene gemeinsame Sohn Julian.

Was noch kam, war ein starkes Comeback. Auf dem 2013 entstanden­en, viel gelobten Album „Denk was du willst“singt sie für Schlager ungewohnte, fast poetische Alltagslyr­ik, der sie bis heute treu bleibt. Dass sie das Genre gerne persiflier­t, beweist die „schrille Alte“(Eigenzitat) an der Seite des Comedians Wolfgang Trepper mit dem Tournee-Programm „Nutten, Koks und frische Erdbeeren“.

Roland Kaiser, den mit Mary Roos eine Herzensfre­undschaft verbindet, hat ihr dieses Kompliment gemacht: „Ich habe manchmal den Eindruck, dass sie das Licht fängt, das auf sie fällt, und dann fängt sie an zu scheinen.“

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Foto: dpa

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