Die Unvernunft in Person
Kritiker haben Mary Roos schon mit der Valente verglichen. Als Profi nimmt sie den Schlager ernst, macht sich aber auch als „schrille Alte“über ihn lustig
Wenn eine Schlagersängerin ihr jüngstes Album „Abenteuer Unvernunft“nennt, ahnt man, dass eine gehörige Portion Augenzwinkern und Ironie drinsteckt, aber auch Melancholie und reichlich Lebenserfahrung. Kaum zu glauben, was Mary Roos einmal über sich gesagt hat: „Als junge Erwachsene war ich langweilig.“
Aber trotz gescheiteltem Haar und Zahnlücke beeindruckte die Hotelierstochter Rosemarie Marianne Schwab – so ihr bürgerlicher Name – aus Bingen am Rhein mit ihrer Stimme als 14-jähriger Teenager beim internationalen Schlagerfestival im belgischen Knokke. Heute wird sie 70.
Kritiker und Kollegen bescheinigten Mary Roos später, neben Caterina Valente die einzige deutschsprachige Sängerin zu sein, die den internationalen Vergleich nicht zu scheuen brauchte. Ihr Gefühl für Swing und portugiesische Rhythmen machten das möglich.
Gleichwohl ist Mary Roos nicht zum wirklichen Star aufgestiegen, obwohl sie 1972 drei Wochen lang im legendären Pariser Show-Tempel „Olympia“mit einem eigenen, französisch gesungenen Programm auftrat. Für die Feuilletons war „die Valente vom Mäuseturm“, wie sie in den Medien verspottet wurde, in der Regel kein Thema. Sich der Phänomenologie eines leichtgewichtigen Genres zu widmen, war eher verpönt. 1972 erreichte sie beim Grand Prix Eurovision in Edinburgh mit „Nur die Liebe lässt uns leben“den dritten Platz. 1984 gewann sie zwar mit „Aufrecht geh’n“ den deutschen Schlagerwettbewerb „Ein Lied für Luxenburg“, musste sich dort aber mit einem popeligen 29. Platz begnügen.
Und doch gibt es einen MaryRoos-Kultsong: „Arizona Man“. Den Text kann man abhaken: „Denn ein Ton wird zum Lied und eine Träne zum Strom.“Aber Komponist Giorgio Moroder nahm nicht nur einen raffinierten Rhythmuswechsel vor, sondern baute auch die erste Synthesizer-Schleife in einen deutschen Schlager ein. Damit konnte Werner Böhm, ab 1982 Marys zweiter Ehemann, nicht konkurrieren. Der zog lieber als Gottlieb Wendehals mit „Polonäse Blankenese“durch die Stimmungssäle. Im September 1989 waren zwar nicht die Löcher aus dem Käse geflogen, aber das Paar ließ sich scheiden. Was blieb, war der 1986 geborene gemeinsame Sohn Julian.
Was noch kam, war ein starkes Comeback. Auf dem 2013 entstandenen, viel gelobten Album „Denk was du willst“singt sie für Schlager ungewohnte, fast poetische Alltagslyrik, der sie bis heute treu bleibt. Dass sie das Genre gerne persifliert, beweist die „schrille Alte“(Eigenzitat) an der Seite des Comedians Wolfgang Trepper mit dem Tournee-Programm „Nutten, Koks und frische Erdbeeren“.
Roland Kaiser, den mit Mary Roos eine Herzensfreundschaft verbindet, hat ihr dieses Kompliment gemacht: „Ich habe manchmal den Eindruck, dass sie das Licht fängt, das auf sie fällt, und dann fängt sie an zu scheinen.“