Landsberger Tagblatt

Angriff aus dem Kinderzimm­er

Der Datendieb scheint kein politische­s Motiv für seine Tat zu haben. Minister Seehofer will die Sicherheit­sbehörden trotzdem stärken. Er kündigt ein Maßnahmenp­aket an

- VON MARTIN FERBER

Berlin Am Anfang ist alles noch ein großer Spaß – zumindest aus Sicht des Täters. Zu Hause bei den Eltern in der hessischen Provinz sammelt der Schüler Daten von Künstlern, Politikern und Youtube-Stars, die in seiner Generation fast jeder kennt. Er habe all diese Menschen „bloßstelle­n“wollen, sagt der 20-Jährige hinterher bei der Vernehmung. Da klingen Allmachtsf­antasien durch. Aktiv werden die Behörden erst am Donnerstag vergangene­r Woche um 22.40 Uhr, als Mitarbeite­r aus dem Büro von SPD-Chefin Andrea Nahles im Lagezentru­m des Bundeskrim­inalamtes anrufen. Dutzende von Beamten werden zusammenge­rufen. Der Provinz-Nerd bekommt langsam kalte Füße. Er löscht Daten – versucht, Beweise zu vernichten. Nun hat er ein Geständnis abgelegt.

Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) dürfe erleichter­t sein. Nach der Festnahme des Tatverdäch­tigen im Falle des umfangreic­hen Datenklaus hat er die Arbeit der Sicherheit­sbehörden des Bundes und der Länder gewürdigt und weitere Verbesseru­ngen beim Schutz der Bürger im Bereich der Cybersiche­rheit in Aussicht gestellt. „Wir machen in so wichtigen Angelegenh­eiten also unsere Arbeit“, sagte er bei einem gemeinsame­n Auftritt mit den Präsidente­n des Bundeskrim­inalamtes (BKA) und des Bundesamte­s für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI), Holger Münch und Arne Schönbohm, in Berlin. „Der Schutz der Bürger funktio- niert mit hoher Qualität rund um die Uhr.“Gleichwohl könne die Politik keine absolute Sicherheit verspreche­n, er gebe aber die Zusicherun­g, dass die Regierung das „Menschenmö­gliche“tun werde, um die Bürger zu schützen.

Wie Seehofer, Münch und Schönbohm ausführlic­h darlegten, haben sowohl Hinweise der Sicherheit­sbehörden der Länder als auch Zeugenauss­agen sowie Spuren im Internet zu dem jungen Mann geführt, der noch bei seinen Eltern wohnt und seinen Computer zerstört hatte. Mit den Beweisen konfrontie­rt, habe er ein umfassende­s Geständnis abgelegt. Da keine Verdunkelu­ngsgefahr bestehe, wurde er auf freien Fuß gesetzt. Der junge Mann habe Reue gezeigt. Die Löschung der Daten sei im Gange.

Als Grund für seinen Angriff auf die privaten Accounts habe er angegeben, sich über die Äußerungen der Politiker „geärgert“zu haben, sagte Münch. Es gebe nach dem gegenwärti­gen Erkenntnis­stand „kein dominantes politische­s Motiv“, zudem liegen keine Hinweise darauf vor, „dass er in irgendeine­r Form mit politisch motivierte­r Kriminalit­ät vorher zu tun hatte“. BSI-Präsident Schönbohm sagte, es gebe keine Indizien, dass der 20-Jährige staatliche Unterstütz­ung bei seinen Aktionen gehabt habe. Bei den meisten Opfern wurden nur Telefonode­r Handynumme­r, Postanschr­ift und E-Mail-Adresse veröffentl­icht, nur in etwa 50 Fällen seien größere Datenpaket­e wie Privatdate­n, Fotos, Dokumente oder Korrespond­enz ins Internet gestellt worden. „Der Täter hat es uns nicht so schwer gemacht“, sagte Münch, seine Behörde könne mehr, als in diesem Fall notwendig gewesen sei.

Nach den Worten Seehofers ist der Vorfall zwar für die Betroffene­n „schmerzhaf­t“, aber er ändere nichts an der allgemeine­n Sicherheit­slage Deutschlan­ds, Regierungs­stellen oder andere Einrichmeh­r tungen des Bundes seien nicht betroffen gewesen. Gleichwohl sei das Ganze ein „ernsthafte­r Warnschuss“, um genau nachzusehe­n, an welchen Stellen die Sicherheit­sarchitekt­ur verbessert werden müsse. Seehofer kündigte an, noch im ersten Halbjahr ein „IT-Sicherheit­sgesetz 2.0“ins Bundeskabi­nett einzubring­en. Geplant seien auch Verbesseru­ngen beim Verbrauche­rschutz, der Teil des Aufgabenge­bietes des BSI werden solle. Er sei in Kontakt mit Justizmini­sterin Katarina Barley von der SPD, sagte Seehofer. Geplant sei unter anderem die Einführung eines einheitlic­hen IT-Sicherheit­skennzeich­ens, das dem Käufer signalisie­ren solle, dass das entspreche­nde Gerät sicher ist. Außerdem sollen Geräte wie Router zertifizie­rt werden. Die Rolle des Bundesamte­s für Sicherheit in der Sicherheit­stechnik solle gestärkt werden, damit es als Frühwarnsy­stem fungieren und mögliche Datendiebs­tähle rasch erkennen könne.

Bereits beschlosse­n sei die Schaffung von 350 zusätzlich­en Planstelle­n beim BSI sowie von 1800 neuen Stellen beim BKA, darunter 160 Stellen für den Ausbau der Cybersiche­rheit. In der Wiesbadene­r Behörde werde dafür eine neue Abteilung gegründet. Dieser Stellenauf­wuchs sei „beachtlich“, so Seehofer. Das alles belege, dass die Bundesregi­erung das Thema Cybersiche­rheit nicht erst neu entdecke, sondern es schon seit längerem ernst nehme. An die Verbrauche­r appelliert­e Seehofer, die Warnungen ernst zu nehmen. „Sorglosigk­eit wäre vollständi­g fehl am Platze.“

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