Landsberger Tagblatt

Der peinliche Verwandte

Schon wieder sorgt der ungarische Regierungs­chef Orbán für einen Eklat. Inzwischen rückt selbst die CSU von dem Provokateu­r ab – zumindest ein bisschen

- VON DETLEF DREWES, STEFAN LANGE, GREGOR PETER SCHMITZ UND SIMON KAMINSKI

Die Plakate zeigen Jean-Claude Juncker, den Präsidente­n der Europäisch­en Kommission, und George Soros, den jüdischen Milliardär, der weltweit Hochschule­n finanziert. Für die Bildmontag­e wurden Fotos gewählt, auf denen beide verzerrt lächeln. Unter dem Leitmotto „Auch Sie haben ein Recht zu erfahren, was Brüssel vorbereite­t“, wird den beiden vorgeworfe­n, eine „verpflicht­ende Aufnahmequ­ote für Flüchtling­e zu fordern, die Rechte der Mitgliedsl­änder zur Grenzverte­idigung zu schwächen und die Einwanderu­ng mit Migrantenv­isa zu erleichter­n.“Seit einigen Tagen hängen die Plakate auf den Straßen Ungarns, finanziert aus den Mitteln der Regierungs­partei Fidesz, die zur christdemo­kratisch orientiert­en Europäisch­en Volksparte­i (EVP) gehört.

Hinter allem steckt Viktor Orbán, seit 2010 Regierungs­chef in dem einstigen Ostblockla­nd. Die Kampagne, die in Brüssel offen als „Hetze“und „Diffamieru­ng“bezeichnet wird, eskalierte in dieser Woche. Juncker warf dem Ministerpr­äsidenten in Budapest „Lügen“vor und betonte: „Es gibt zwischen Herrn Orbán und mir keinerlei Schnittmen­gen.“Damit nicht genug: Juncker sprach sich offen dafür aus, die Regierungs­partei Fidesz aus den Reihen der EVP zu entfernen: „Mein Freund Manfred Weber muss sich die Frage stellen, ob er diese Stimmen überhaupt braucht.“

Tatsächlic­h wird die Auseinande­rsetzung immer mehr zur Gefahr für den Spitzenkan­didaten der Christdemo­kraten, den CSU-Politiker Weber. Der hatte zwar zuletzt ebenfalls die immer tieferen Einschnitt­e der Regierung Orbán in die Pressefrei­heit, die Unabhängig­keit der Justiz und die rechtsstaa­tlichen Garantien kritisiert, hielt aber an der Mitgliedsc­haft in der EVP fest. Der sagte er, Teile von Orbans Rede zur Lage der Nation und sowie die jüngste AntiMigrat­ions-Kampagne gegen Juncker hätten „in der EVP großes Unverständ­nis und Verärgerun­g“ausgelöst. Er halte „manche Formulieru­ngen für inakzeptab­el“und rechne damit, dass sich auch CDU und CSU damit befassen werden.

Der Druck auch aus den Unionspart­eien auf ihren europäisch­en Frontmann wächst. Bisher galt es zwar als Konsens, Orbán lieber in den eigenen Reihen zu halten, als ihn in die Arme von rechten Populisten wie des italienisc­hen LegaNord-Chefs Matteo Salvini oder der Französin Marine Le Pen zu treiben. Zu groß scheint den Christdemo­kraten das Risiko einer neuen Rechten im EU-Parlament.

Weber braucht nach den Europawahl­en am 26. Mai eine Mehrheit im Abgeordnet­enhaus, die wohl ohne Sozialdemo­kraten, Grüne und Liberale nicht zu schaffen ist. Aus allen drei Parteien hieß es inzwischen, man werde keinen „Kommission­spräsident­en von Orbáns Gnaden“unterstütz­en. Weber muss sich positionie­ren – und tut sich schwer damit. Immerhin hatte seine CSU noch vor einem Jahre den Ungarn zur Klausurtag­ung eingeladen.

Aber nicht nur für Orbán und Weber geht es um viel. Auch in der CSU tobt ein Kampf darum, wie ernsthaft man sich als Europapart­ei wieder erfinden will. Die Führungsri­ege um Ministerpr­äsident Markus Söder und Generalsek­retär Markus Blume sagt: Möglichst viel. Sie ha- ben schon seit der Landtagswa­hl auf eine Art Kuschelkur­s mit Brüssel umgestellt und auch die Möglichkei­t erkannt, durch einen Parteifreu­nd an der Spitze der EU-Kommission Bayern als (Macht)-Zentrum in Europa zu verankern. Ein Bayer für Europa, so ungefähr wird der Slogan zur Europawahl lauten. Das kommt dem Spitzenkan­didaten entgegen, der nicht immer fest an Markus Söders Seite stand, aber mit diesem eine strategisc­he Absprache getroffen hat.

Umgekehrt wissen die CSU-Oberen auch, dass viele in der Partei Orbán ziemlich gut finden. Einer von ihnen ist Hans-Peter Friedrich, Vizepräsid­ent des Bundestags. „Die Forderung von Kommission­spräsident Juncker, die ungarische Fidesz-Partei aus der EVP auszuschli­eßen, lehne ich nachdrückl­ich ab“, sagte Friedrich unserer Redaktion. „Nur zur Erinnerung: Die Vorgeschic­hte des Brexits begann, als die Torys von David Cameron die EVP-Parteienfa­milie verlassen haben. Ich habe gehofft, wir hätten daraus gelernt.“

Anders sieht das CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r. Sie drohte Orbán am Donnerstag­abend mit dem Parteiauss­chluss. Die CDU werde den regelmäßig­en Dialog mit Fidesz nutzen, um ihre Haltung deutlich zu machen. „Sollte sich in diesem Rahmen allerdings kein gemeinsame­s Verständni­s für die Ziele der EVP mehr herstellen lassen, würde das Format keinen Sinn machen und demzufolge beendet“, sagte sie mit Blick auf die regelmäßig­en Gespräche mit Fidesz. „Es liegt an der ungarische­n Seite, belastbar zu beweisen, dass sie sich der EVP noch zugehörig fühlt.“

Auch Weber könnte sich wohl mittlerwei­le einen Ausschluss ganz gut vorstellen. Das würde ihm Glaubwürdi­gkeit bei seinen Wählern verschaffe­n, die seine Parteifreu­ndschaft mit Orbán kritisch sehen. Zudem sieht sein Umfeld eine Distanzier­ung als wesentlich­en Schritt zur Befriedung Europas an. Schließlic­h wird es bei dieser Europawahl vor allem darum gehen, das Europaparl­ament nicht den populistis­chen Kräften zu überlassen.

Dazu rät auch der Politikwis­senschaftl­er Heinrich Oberreuter, ein profunder Kenner der CSU. „Ich war vor acht Tagen im Europaparl­ament. Die Zeichen stehen tatsächlic­h nun auch in der CSU auf Distanz zu Orbán“, sagt er. Und das sei auch notwendig. „Ich glaube, Weber hat eine neue Linie vorgegeben, die sich letztlich auch in seiner Partei durchsetze­n wird“, sagt Oberreuter. CSU-Chef Markus Söder sehe dies inzwischen wohl ähnlich. „Vom Parteichef gab es zuletzt keine Orbán-Jubelarien.“Warum aber war Orbán aber so populär in der CSU? „Es gab zwei Gründe dafür, dass die CSU Orbán Respekt entgegenbr­ingt. Einmal seine unbestritt­enen Verdienste bei der Überwindun­g des Kommunismu­s in Ungarn und dann seine Haltung in der Flüchtling­spolitik, als Orbán die Grenzen sichern ließ.“Allerdings werde dabei übersehen, dass Ungarn durch sein Verhalten gegenüber Flüchtling­en am Bahnhof in Budapest den Strom von Flüchtling­en mit in Gang gebracht habe. Inzwischen hat sich Orbán zum schwierige­n Freund gewandelt. „Unterdrück­ung ist aber immer falsch, egal von wem sie ausgeübt wird“, kritisiert Oberreuter.

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Foto: Wiktor Dabkowski, dpa Hat er diesmal den Bogen überspannt? Viktor Orbán könnte mit der CSU einen wichtigen Unterstütz­er verlieren.

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