Tödlicher Streit auf der Baustelle? Der Schütze stammt aus Augsburg
Mutmaßlicher Täter kommt aus Augsburg
Ein 29-jähriger Mann aus Augsburg soll auf einer Münchner Baustelle einen 45 Jahre alten Mann und sich selbst erschossen haben. Einsatzkräfte fanden am Donnerstagmorgen zwischen Baucontainern die beiden Leichen. Ermittler stellten eine Pistole sicher. Zum genauen Tatablauf und möglichen Motiven machte eine Polizeisprecherin keine Angaben. Der Schütze war nach Polizeiangaben ein Deutschkroate aus Augsburg, der zweite Tote stammte aus dem Kreis Görlitz.
Gegen 8.50 Uhr waren bei der Polizei die ersten Notrufe eingegangen. Mit dutzenden Streifenwagen rückten mehr als 150 Beamte zur Baustelle im Stadtteil Au unweit der Isar an. Auch schwerbewaffnete Spezialeinsatzkräfte sicherten den Einsatzort ab. Zufahrtsstraßen und eine Brücke über den Fluss wurden für Fußgänger und Autofahrer gesperrt. Die Münchner Verkehrsgesellschaft stellte zeitweise den Tram- und Busbetrieb in der Gegend ein. Das nahe gelegene Landratsamt schloss vorübergehend, öffnete aber kurze Zeit später wieder. Ein Polizeisprecher betonte, dass für die Bevölkerung keine Gefahr bestanden habe. Am Morgen waren in dem Stadtviertel viele Menschen auf dem Weg in die Arbeit und saßen in Cafés. Auch Schulen sind in der Nähe. Auf der Baustelle entstehen teure Eigentumswohnungen.
Der 29-jährige mutmaßliche Täter lebte nach Informationen in unserer Redaktion in der Dachgeschosswohnung eines Wohn- und Geschäftshauses im Augsburger Stadtteil Haunstetten. Er soll vor einigen Jahren dort eingezogen sein. Nachbarn berichten, dass er dort allein wohnte. Er habe aber zwei Kinder, Jungen im Kindergartenalter, die ihn regelmäßig besucht hätten. Offenbar lebte er getrennt von der Mutter der Kinder. Nachbarn gegenüber soll er auch berichtet haben, dass sein Job als Bauleiter in München stressig sei und er sich eventuell etwas anderes suchen werde. Anwohner sahen auch, dass Polizisten, unterstützt von Feuerwehrleuten, in den Stunden nach der Tat die Wohnung unter die Lupe nahmen.
Die Pädagogische Stiftung Cassianeum ist in Donauwörth eine Institution. 1910 gründete sie der Pädagoge und Unternehmer Ludwig Auer (1839– 1914), um sein Lebenswerk zu sichern. Die Stiftung verwaltete unter anderem eine wissenschaftliche Abteilung zum Studium der Pädagogik, einen Verlag, eine Druckerei und eine Buchhandlung. In dem mitten in der Stadt gelegenen Kloster Heilig Kreuz, das der Stiftung gehört, gab es aber auch ein Kinderheim. Das ist weniger bekannt.
Besser gesagt, es war weitgehend vergessen. Vielleicht wäre der bessere Ausdruck: Die Erinnerungen daran wurden verdrängt. Denn seit Donnerstag ist endgültig klar: In dem Heim, in dem anfangs nur ein paar einzelne, später bis zu 70 Kinder lebten, passierten über Jahrzehnte hinweg schreckliche Dinge. Die Mädchen und Buben erlitten systematische körperliche Gewalt. „Es war so brutal, dass man einen Gruselroman schreiben könnte“, sagt ein ehemaliger Heimbewohner. Manche Kinder wurden auch sexuell missbraucht. Nach „draußen“drang davon nur wenig. Wenn doch, wurde weggeschaut oder einfach nichts unternommen. Zu diesem Schluss kommt eine Kommission, die der Augsburger Bischof Konrad Zdarsa im April 2018 eingesetzt hat.
Nun hat die Projektgruppe, der mit Manfred Prexl ein ehemaliger Richter vorsteht, einen 68-seitigen Untersuchungsbericht vorgelegt. In dem wird detailliert geschildert, was Kinder zwischen 1952 und 1975 erlebt haben. 14 Opfer haben sich gemeldet. Fünf von ihnen sitzen mit im Raum, als Vertreter des Bistums, der Stiftung und der Kommission die Presse informieren – an dem Tag, an dem im Vatikan eine AntiMissbrauchs-Konferenz beginnt, die Papst Franziskus einberufen hat.
In Augsburg redet Generalvikar Harald Heinrich erst gar nicht um den heißen Brei herum. Der Bericht enthalte „zutiefst Erschütterndes“. Heinrich spricht von „abscheulichen Straftaten“, verübt von „Frauen und Männern, auch von einem Priester, deren eigentlicher Auftrag im Sinne der Stiftung Cassianeum der Schutz und die Förderung von Kindern und Jugendlichen gewesen wäre“. Dieser Auftrag sei in Donau- wörth nicht wahrgenommen worden. Leider sei in der Kleinstadt auch „schlicht weggeschaut“worden – ein Umstand den Heinrich nur schwer nachvollziehen kann.
Manfred Prexl fasst zusammen, was die Opfer aus Sicht der Kommission absolut glaubwürdig berichtet haben. So habe der Pädagogische Direktor Max Auer – ein Enkel des Stiftungsgründers – zwei Buben und ein Mädchen über mehrere Jahre hinweg beziehungsweise ein Jahr lang regelmäßig „in massiver Weise sexuell missbraucht“. Auer nahm das Mädchen, das zum Klavierspielen in die Wohnung des seit 1950 von kirchlichen Aufgaben freigestellten Priesters durfte, wiederholt auf seinen Schoß, und sie musste ihn dann mit der Hand befriedigen. Sechs weitere Frauen berichten zudem von sexuellem Missbrauch durch Mitarbeiter der Stiftung und ältere beziehungsweise ehemalige Heimkinder. Hinzu kommt eine „physische, psychische und soziale Gewalt“, unter der die Heimkinder zu leiden hatten.
Die Palette der Grausamkeiten reichte vom Einsperren in einen Kellerraum bis hin zu brutalen Züchtigungen. Die seien „keinesfalls mit dem Hinweis auf andere Erziehungsstandards in früherer Zeit abzutun“, betont Prexl. Die beschuldigten, namentlich bekannten Personen konnten nicht mehr befragt werden, so Prexl. Sie sind alle bereits gestorben. Neben Max Auer handelt es sich um Veronika H., die von 1967 bis 1969 das Heim leitete und unter anderem wegen ihrer hemmungslosen Ohrfeigen gefürchtet war, sowie Erzieherin Edith R.
Der Bericht der Kommission ist schonungslos und geht über die eigentlichen Fälle hinaus. Bereits die Gründungsidee vor gut 100 Jahren „darf heute als fragwürdig gelten“. Mit dem Heim sollte „die Richtigkeit des pädagogischen Konzepts des Stiftungsgründers erwiesen werden“. Das hohe Ansehen, das Teile der Stiftung genossen hätten, sei unbesehen auch auf das Kinderheim übertragen worden. In dem habe Max Auer schalten und walten können, wie er wollte. Die Kontrollinstanzen – Stiftungsvorstand und Aufsichtsrat – hätten sich auf die Verwaltung konzentriert. Die Jugendbehörden und Vormünder seien in dem Heim zu wenig präsent gewesen. Ein Mitarbeiter des Jugendamts Lindau, dem sich ein Opfer anvertraute, und eine Lehrerin der Volksschule Donauwörth, die Spuren der Misshandlungen am Körper eines Kinds sah, reagierten nicht. 1977 musste das Heim schließen, vor allem wegen der unzureichenden Verhältnisse.
42 Jahre später zeigen sich die in Augsburg anwesenden Opfer erleichtert, dass die Vorfälle ans Tageslicht gekommen sind. „Für mich ist das auch nach 50 Jahren Balsam für die Seele“, sagt Monika B. Freilich leidet ein Großteil der Missbrauchten noch heute unter psychischen Folgen.
Wenn sich ein Priester – wie in Donauwörth – an Kindern vergangen hat, sind dann alle Priester Kinderschänder? Selbstverständlich nicht. Und auch „die Kirche“kann man trotz der Vielzahl von Fällen körperlicher und sexueller Gewalt gegen Kinder in ihren Reihen nicht pauschal als „Täterorganisation“bezeichnen. Doch selbstverständlich muss man fragen: Wie konnte es zu den Straftaten kommen? Was hat sie begünstigt, was dafür gesorgt, dass sie nicht schneller publik wurden? Im Falle des Kinderheims Heilig Kreuz in Donauwörth sind diese Fragen nun beantwortet, die Vorwürfe wurden – wenn auch spät – aufgearbeitet. Was Schreckliches geschah, ist für jeden nachzulesen in einem Bericht, der auf der Homepage des Bistums Augsburg veröffentlicht wurde. Die Veröffentlichung ist gut, das muss Standard sein.
Bemerkenswert ist, dass bei der Vorstellung des Berichts vor Journalisten Opfer anwesend waren. Genau das ist der richtige Weg: Sie müssen an der Aufarbeitung und an Präventionskonzepten beteiligt werden, künftig noch viel stärker. Nicht über sie, sondern mit ihnen müssen Kirchenverantwortliche reden (so diese denn von den Opfern als Gesprächspartner akzeptiert werden). Das ist ein Baustein zu mehr Gerechtigkeit, die den Opfern widerfahren muss. Und es ist für die in eine tiefe Krise geratene katholische Kirche ein Baustein zur Wiedererlangung von Glaubwürdigkeit. Das Vertrauen, das sie verspielte, muss sie sich mühevoll neu verdienen. Bericht und Pressekonferenz zum Fall des Kinderheims zeigen, wie sie das tun kann. Die A7 musste von Dienstagabend bis Donnerstagnachmittag dringend saniert werden. Dafür war ein Abschnitt voll gesperrt. In der Region löste das ein Verkehrschaos aus. Bei der zuständigen Autobahndirektion geht man davon aus, dass die Schäden, die am Freitag entdeckt und sofort behoben werden mussten, entstanden sind, als eine Baufirma im Herbst per Bohrer ein Rohr unter der A7 verlegt hat. Diese Firma soll, nach Angaben der Autobahndirektion, auch die Kosten für die spontane Sanierung übernehmen. Diese liegen ersten Schätzungen zufolge im hohen fünfstelligen Bereich.