Landsberger Tagblatt

Vom Kampf gegen den Missbrauch

Vatikan Wie die katholisch­e Kirche um Glaubwürdi­gkeit und Zukunft ringt

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN UND DANIEL WIRSCHING

Vatikan/Augsburg Dass sich hier ein einmaliges Ereignis in der katholisch­en Kirche zuträgt, ist nicht zu überhören. „Veni Creator Spiritus“singen die Kardinäle und Bischöfe auch am Morgen des zweiten Tages ihres Treffens im Vatikan, das offiziell „Der Schutz von Minderjähr­igen in der Kirche“heißt, aber nichts weniger als eine Konferenz über die Zukunft der Institutio­n ist. Den Heiligen Geist singen die Purpurträg­er sonst nur bei großen Begebenhei­ten wie einer Papstwahl herbei. Man merkt es an den Vorträgen, Zwischenru­fen, Stellungna­hmen und der gesamten Atmosphäre in Rom: Die Kirche ringt hier mit sich selbst.

Bereits frühmorgen­s am Freitag stehen Betroffene von sexuellem Missbrauch durch Priester vor dem Vatikan, um die knapp 200 Konferenzt­eilnehmer daran zu erinnern, um wen es hier eigentlich geht. „Wir können nicht weiter warten, dass sich die Bischöfe endlich bewusst werden, was in der Kirche passiert ist“, sagt Simone Padovani vom Betroffene­n-Netzwerk „Ending Clergy Abuse“(ECA). 30 Aktivisten und Betroffene sind nach gereist. Die Opfer warteten seit 20 Jahren auf Veränderun­gen, sagt Padovani.

„Komm, Schöpfer Geist.“Diesen Wunsch haben auch die Opfer, sollten sie den Glauben an den Heiligen Geist nicht verloren haben. Für sie bedeutet er die Erkenntnis, dass gegen Täter und Vertuscher kompromiss­los vorgegange­n werden muss. Wer weiß, was die einzelnen kirchliche­n Würdenträg­er genau wollen? Reuig zeigen sich einige von ihnen. Die Tränen des Erzbischof­s von Manila, Kardinal Luís Antonio Tagle, werden in Erinnerung bleiben. Als er in seinem Referat am Donnerstag die Wunden Christi mit denen der Missbrauch­sopfer verglich, konnte er nicht mehr an sich halten und begann zu schluchzen. Neben ihm Papst Franziskus, vor ihm der versammelt­e Klerus. Ob diese Tränen etwas ändern?

Der Papst hatte am ersten Tag Konkrethei­t angemahnt. Und er hat 21 Stichpunkt­e geliefert, wie diese Konkrethei­t letztlich aussehen könnte. Wie sich dann aber herausstel­lte, hatten die Bischofsko­nferenzen diese Punkte für den Papst zusammenge­stellt. Dreht man sich hier also im Kreis? Die Vorschläge handeln von der Einrichtun­g von Anlaufstel­len für Opfer oder von ei- nem Handbuch für Bischöfe, wie bei Missbrauch­sfällen vorzugehen ist. In der Glaubensko­ngregation wird an so einem Band gerade gearbeitet. „Warum ist er nicht schon längst veröffentl­icht?“, fragt Aktivist Padovani. Über die 21-Punkte-Liste sagt er: „Nichts als Worte“.

Die Betroffene­n haben Zweifel. Zum Abschluss des Gipfels am Sonntag ist keine Erklärung geplant, schon gar keine Maßnahmen scheinen beschlosse­n zu werden. In der zweitausen­d Jahre alten Kirche brauche alles seine Zeit, heißt es im Vatikan. Er hoffe auf ein „commitment“, eine Absichtser­klärung, sagt der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz, Kardinal Reinhard Marx, am Morgen. „Hoffentlic­h wird es konkrete Maßnahmen geben“, meint auch der Bostoner Kardinal Sean O’Malley auf der Pressekonf­erenz am Freitagmit­tag. Hoffen, Absichtser­klärungen.

Die Betroffene­n wollen, dass „null Toleranz“, wie sie der Papst versproche­n hat, auch „null Toleranz“bedeutet. „Es gibt viel Widerstand gegen diesen Ausdruck“, berichtet Kardinal O’Malley von den internen Diskussion­en. Vielleicht, weil die Formel zu säkular anmutet, sagt der Vorsitzend­e der päpstliche­n Kinderschu­tzkommissi­on. VielRom leicht ist der Grund aber auch, dass lückenlose Aufklärung und konsequent­e Laisierung von Tätern und vertuschen­den Bischöfen ein Erdbeben in der Kirche zur Folge hätte.

Hinzu kommt, dass auch die Hauptperso­n, an die viele ihre Hoffnung knüpfen, nicht über alle Zweifel erhaben ist. Papst Franziskus schweigt eisern zu den gegen ihn erhobenen Anschuldig­ungen. Sie betreffen Missbrauch­sopfer in Buenos Aires, die vergeblich um einen Termin beim früheren Erzbischof baten. Sie betreffen die von Jorge Bergoglio angeschobe­ne Kampagne zur Verteidigu­ng des zu 14 Jahren Haft verurteilt­en Missbrauch­stäters Julio César Grassi in der Diözese Buenos Aires. Und sie betreffen die Frage, wie viel der Papst seit Beginn seines Pontifikat­s von den Missbräuch­en des vor einer Woche in den Laienstand versetzten emeritiert­en Erzbischof­s von Washington, Theodore McCarrick, wusste.

Nicht nur in Rom diskutiere­n die Bischöfe über Missbrauch­sfälle und welche systemisch­en Ursachen sie haben. Auch innerhalb der Deutschen Bischofsko­nferenz wird darüber diskutiert, wird um Wege aus der Krise gerungen. Der Druck auf die Bischöfe angesichts immer weiterer Missbrauch­sfälle ist enorm, und plötzlich sagen einige von ihnen Sätze, die vor wenigen Jahren so noch nicht formuliert worden wären. Etwa beim Thema Zölibat, der priesterli­chen Ehelosigke­it. In der viel beachteten Missbrauch­sstudie im Auftrag der deutschen Bischöfe, die im September vorgestell­t wurde, kamen Forscher zu dem Ergebnis, dass die kirchliche­n Strukturen Missbrauch begünstigt­en. Dazu gehöre auch der Pflichtzöl­ibat.

Die Verpflicht­ung zur Ehelosigke­it „als einzigem Weg“zum Priesteram­t hält dabei inzwischen nicht mehr nur Bischof Peter Kohlgraf (Mainz) noch für zwingend. Der Zölibat sei für ihn kein Tabuthema. Bischof Georg Bätzing (Limburg) sagte: Es schade der Kirche nicht, „wenn Priester frei sind, zu wählen, ob sie die Ehe leben wollen oder ehelos leben wollen“. Vereinzelt­e Vorstöße dafür hat es aus dem deutschen Episkopat immer wieder gegeben, auch 2010, als in Deutschlan­d eine Reihe von Missbrauch­sfällen bekannt und öffentlich breit diskutiert wurden. Damals sagte der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick in einem Spiegel-Gespräch:

Bischöfe, Ordensleut­e und Domkapitul­are müssten den Zölibat leben. Ob ihn aber jeder Pfarrer leben müsse, sei eine andere Frage.

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Foto: Evandro Inetti, dpa

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