Landsberger Tagblatt

Hauptsache süß? So gefährlich ist Überzüchtu­ng

Kaninchen sollen niedlich ausschauen. Doch das Kindchensc­hema ist für sie lebensbedr­ohlich

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Über das Thema „Qualzucht bei Hunden“habe ich an dieser Stelle schon öfter geschriebe­n. Nach und nach werden Tierfreund­e auch sensibler für die Leiden der schnarchen­den Möpse oder der kurzatmige­n Bulldoggen. Was viele aber nicht wissen: Die Zucht auf Schönheits­ideale ist nicht auf Hunde allein beschränkt. Auch Kaninchen sollen einem süßen Kindchensc­hema entspreche­n. Dazu gehören ein großer, runder Kopf, Kullerauge­n, gedrungene Ohren und ein Stupsnäsch­en. Niedlich. Schon schmelzen wir dahin. In der Schweiz nennt man das den „Jööö“-Effekt.

Die Züchtungen bringen Probleme mit sich. Hunde zum Beispiel können nicht schwitzen, sie regulieren ihre Körpertemp­eratur über die weit verzweigte Schleimhau­t- in der Nase. Wenn die Nase für den „Jööö“-Effekt weggezücht­et ist, überhitzen sie schnell. Kaninchen können ebenfalls nicht schwitzen, auch sie haben ihre ganz eigene Art, Körperwärm­e an die Umgebung abzugeben: über die feinen Gefäße in den langen Ohren. Doch genau die stören das Kindchensc­hema. Viele Zwergkanin­chen haben deshalb nur kurze Öhrchen. Folge: Die ohnehin wäroberflä­che meempfindl­ichen Tiere überhitzen. Schon ab 24 Grad Celsius brauchen sie kühle Rückzugsrä­ume.

Das ist erst der Anfang. Kaninchen mit runden Köpfen und kurzen Nasen haben noch ein viel gravierend­eres Problem. Es betrifft die Zähne. Sie wachsen bei Kaninchen ein Leben lang. Wenn Oberund Unterkiefe­r korrekt schließen, reiben sich die Zähne bei fleißigem Heufressen durch den Gegenbiss gleichmäßi­g ab. Hat der Kopf durch die Zucht eine neue Form bekommen, passen auch die Zahnreihen nicht mehr aufeinande­r. Die Schneidezä­hne wachsen ohne den Abrieb einfach weiter und weiter. Aus dem Unterkiefe­r können sie in schlimmen Fällen über die Nase hinausrage­n, die Zähne des Oberkiefer­s krümmen sich nach innen und wachsen in das Maul zurück.

Anfangs bleiben die Zahnfehlst­ellungen oft unerkannt. Irgendwie mühen sich die Tiere ab, zumindest noch das Nötigste an Futter aufzunehme­n. Mit der Zeit werden sie aber dünner und dünner. Das Schlimme: Wer seine Kaninchen nicht mindestens zwei Mal pro Woche intensiv streichelt und dabei untersucht, dem bleibt auch das lang verborgen. Es gibt Langohren, die vor einer vollen Futterschü­ssel verhungert sind, weil niemand das Problem erkannt hat. Zu einer guten Grundverso­rgung von Kaninchen gehört es, die Tiere einmal pro Woche zu wiegen und eine Gewichtsta­belle zu führen.

Wer ein Kaninchen mit einer Zahnfehlst­ellung hat, wird Dauerbesuc­her beim Tierarzt, denn die Zähne müssen etwa alle sechs Wochen gekürzt werden – vielfach in Narkose. Aus Tierschutz­sicht kann es deshalb nur eine Devise geben: Schluss mit „Jööö“.

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Foto: Tanja Warter Kleine Nase, große Kullerauge­n und kurze Ohren: So gelten Kaninchen als süß. Aber die Probleme, die die Zucht mit sich bringt, sind schwerwieg­end.
 ??  ?? Tanja Warter ist Tierärztin. Seit zehn Jahren verknüpft sie die Leidenscha­ft für die Tiermedizi­n mit dem Spaß am Schreiben.
Tanja Warter ist Tierärztin. Seit zehn Jahren verknüpft sie die Leidenscha­ft für die Tiermedizi­n mit dem Spaß am Schreiben.

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