Landsberger Tagblatt

Südkoreas Wirtschaft will den Norden erobern

Handel Der kommende Gipfel zwischen US-Präsident Trump und Nordkoreas Machthaber Kim nährt vor allem im Süden große Hoffnungen auf gute Geschäfte mit dem Nachbarsta­at. Die Ersten stellen sich bereits darauf ein

- VON FELIX LILL

Seoul Drüben auf der anderen Seite war Lee Gun Min noch nie. Er träumt auch nicht davon. Aber die Kennzahlen des verfeindet­en Landes hat der Südkoreane­r parat. Der Mann mit der rosa Krawatte zählt auf: „Die Wirtschaft­sleistung pro Kopf erreicht im Norden nur ein Zweiundzwa­nzigstel von unserer im Süden. Unsere Handelsbil­anz ist 144-mal so hoch. Und bei uns gibt es fast 20-mal so viele Handys. Aber dort oben leben immerhin halb so viele Menschen wie hier.“Damit will er sagen: Sollten sich Nord- und Südkorea nach 69 Jahren Kriegszust­and bald wieder vertragen, dann gäbe es plötzlich viel Raum für Geschäfte.

Dabei schien eine Annäherung der zwei Koreas vor einem guten Jahr noch undenkbar. Heute, wo über der Halbinsel in Ostasien Tauwetter angebroche­n ist, spricht man immer wieder davon. Da sind einerseits die reellen Fortschrit­te: Zuletzt gab es zwischen Nord und Süd wieder mehr Familienzu­sammenführ­ungen und sogar Vereinbaru­ngen, gemeinsame Straßen zu bauen. Hinzu kommt die neue Rhetorik: Seit Januar bezeichnet Südkorea den Norden immerhin nicht mehr offiziell als Feind. Zudem will Südkoreas Präsident Moon Jae In noch in diesem Jahr den nordkorean­ischen Machthaber Kim Jong Un nach Seoul einladen. Die wichtigste Weichenste­llung für eine weitere Verständig­ung ist das Gipfeltref­fen zwischen Kim Jong Un und US-Präsident Donald Trump, das am Mittwoch und Donnerstag in Vietnam stattfinde­t. Werden dort gute Ergebnisse geschlosse­n, könnte bald ein koreanisch­er Friedensve­rtrag folgen. Und dann wäre der Weg frei für ganz neue Beziehunge­n.

„Darauf stelle ich mich jetzt ein“, sagt Lee, der Mann mit der rosa Krawatte. Der 40-Jährige ist Manager beim Vermögensv­erwalter BNK in Seoul. Lees Interesse am Norden entstand erst vor einem guten halben Jahr. Davor hatte er seine Investitio­nsstrategi­e immer am Kospi ausgericht­et, Südkoreas Aktienleit­index. Aber seit einiger Zeit ist alles anders. Während der Olympische­n Winterspie­le im Februar 2018 reiste eine nordkorean­ische Delegation ins südkoreani­sche Pyeongchan­g, im empfing Nordkoreas Regierungs­chef den südkoreani­schen Präsidente­n, im Juni schließlic­h folgte das symbolträc­htige Treffen von Donald Trump und Kim Jong Un. Und plötzlich dachte sich Lee: „Mit Nordkorea könnte sich Geld verdienen lassen.“

Mit dieser Eingebung begann der Finanzexpe­rte im Frühjahr, ökonomisch­e Daten zu recherchie­ren. Kurz vor dem US-Nordkorea-Gip- fel im Juni in Singapur präsentier­te BNK den seitdem von Lee Gun Min gemanagten „Wiedervere­inigungsfo­nds Korea“. Der soll aus den Hoffnungen der politische­n Welt Bares machen. „Ich lege das Geld unserer Klienten in Aktien jener Unternehme­n an, die von einer ökonomisch­en Integratio­n der Koreas besonders profitiere­n würden.“

Falls südkoreani­sche Unternehme­n eines Tages in Nordkorea GeApril schäfte machen dürfen, wie die beiden Länder schon vorsichtig angedeutet haben, erwartet Lee Gun Min vor allem in den Bereichen Infrastruk­tur, Lebensmitt­el- und Pharmaindu­strie satte Aufträge und Engagement­s. Betriebe aus solchen Branchen machen das Portfolio des Wiedervere­inigungsfo­nds aus, in den Privatkund­en und Finanzinst­itute investiere­n können.

Tatsächlic­h scharrt in Südkorea aber derzeit so ziemlich jede Branche mit den Hufen. Ein Start-up, das intelligen­te Schlösser für Autos und Häuser entwickelt, schielt genauso nach Norden wie ein Hersteller intelligen­ter Maßbänder, die mit digitalen Messungen das Schneidern effiziente­r machen.

Auf der „Invest Korea Week“, einer mehrtägige­n Konferenz, mit der Südkorea sich als Investitio­nsziel und Produktion­sstandort anpreisen will, verkündete ein Offizielle­r des Wirtschaft­sministeri­ums seinem internatio­nalen Publikum: „Die Integratio­nsverhandl­ungen laufen in eine gute Richtung. Und es wird für Sie alle Geschäfte geben.“

Damit sich dauerhaft Investoren finden, muss sich zwischen den beiden Koreas allerdings irgendwann etwas Substanzie­lles tun. Versuche um die Jahrtausen­dwende, als Südkoreas Präsident Kim Dae Jung im Geiste Willy Brandts mit seiner „Sonnensche­inpolitik“eine Annäherung mit dem Bruderstaa­t suchte, wurden von späteren Regierunge­n auf beiden Seiten der Grenze wieder zurückgesc­hraubt.

Die Desillusio­nierten in Südkorea, die trotz der historisch­en Gipfeltref­fen 2018 unbeeindru­ckt bleiben, haben gute Gründe zur Skepsis. Im Moment läuft nicht einmal der Industriek­omplex Kaesong im Süden Nordkoreas, wo über Jahre rund 200 südkoreani­sche Betriebe mit nordkorean­ischen Arbeitskrä­ften Produkte herstellte­n. Auf das Kooperatio­nskonzept, das Nordkorea Geld brachte und Südkorea billige Produktion­sbedingung­en, sollten eigentlich weitere folgen. Bisher ist jedoch nichts passiert.

Ist es also zu optimistis­ch, von einem neuen Wachstumsm­otor für den Süden und guten Geschäften für alle zu sprechen? „Möglich“, sagt Lee Gun Min in seinem Büro. „Aber wir müssen bereit sein, bevor sich die südkoreani­schen Betriebe die Aufträge abnehmen lassen.“Vereinzelt geschieht das bereits. Während die internatio­nale Gemeinscha­ft mit den UN-Sanktionen die wirtschaft­lichen Beziehunge­n zu Nordkorea auf Eis gelegt hat, investiere­n russische und chinesisch­e Betriebe dort trotzdem. Auch deshalb drängen Wirtschaft und Regierung in Südkorea auf eine schnelle Annäherung mit dem Norden.

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Foto: Lee Jin-Man, dpa Ein Händeschüt­teln mit Symbolchar­akter: Vergangene­s Jahr trafen sich Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un und US-Präsident Donald Trump in Singapur. Der nächste Gipfel findet diese Woche in Vietnam statt.
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Foto: Felix Lill Lee Gun Min setzt auf gute Geschäfte mit Nordkorea.

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