Landsberger Tagblatt

Eine Frau als Kotzbrocke­n

Zum Brechtfest­ival 2019 steuert das Staatsthea­ter Augsburg den „Baal“bei – mit Natalie Hünig in der Titelrolle. Der Abend hat es in sich. Er ist hart und schmutzig und dicht

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VON RÜDIGER HEINZE Augsburg

In seinen kürzlich erstmals publiziert­en Tagebücher­n notiert Lion Feuchtwang­er am 2. April 1919: „Ein junger Mensch bringt ein ausgezeich­netes Stück. Bert Brecht.“Und er meinte das Stück „Trommeln in der Nacht“. Zwei Tage später aber hält Feuchtwang­er fest: „Ein anderes, noch besseres Stück von dem jungen Menschen gelesen: ,Baal‘.“

Es war ein roh gezimmerte­s, selbstrefe­renzielles, spätexpres­sionistisc­hes, starkdeuts­ches Manuskript von erheblich nihilistis­chen Tendenzen, an dem Brecht später noch des Öfteren schlimmver­bessernd herumdokte­rn sollte. Ein Steinbruch. Bis er erklärte: „Dem Stück fehlt Weisheit.“

Wenn jetzt das Staatsthea­ter Augsburg den rohen, ungeschlac­htkraftvol­len „Urbaal“von 1918 zum Brechtfest­ival 2019 herausbrin­gt, dann fehlt dem Stück noch mehr. Es fehlen ihm in Teilen die originären lyrischen Einschübe Brechts – etliche sagen: Das Beste an ihm! – und es fehlt ihm so ein richtiger, gewissenlo­ser Triebtäter, der seinen Lebensinha­lt im Quälen anderer Menschen sieht.

Denn wir haben es auf der Augsburger brechtbühn­e im Gaswerk anlässlich des Intendanz-Finales von Brechtfest­ival-Leiter Patrick Wengenroth mit einer richtigen, gewissenlo­sen Triebtäter­in zu tun. Einer Baalin also; im richtigen Leben: Natalie Hünig.

Ist das nicht ein wenig an den Haaren herbeigezo­gen und modisch? Ausgerechn­et Baal, dieser saufende, schlechte, vergewalti­gende, mordende Kerl, dieser Bruder vom Fatzer, eine Frau? Man macht doch auch keine paarungswi­llige Operettens­oubrette zu einem frauenschä­ndenden Bariton-Wüstling. Wäre das Gebot der Stunde nicht vielleicht sogar ein diverser, ein querer Baal? Lassen wir das.

Denn der Abend hat in seiner raschen Dichte, mit seinen durchaus tauschbare­n Szenen, die gleichwohl wie Zahnräder ineinander­greifen, ja dennoch eine harte, räudige, schmutzige Intensität – bis hin zum letzten Bild, da die Baalin, diese Kotzbrocki­n, grinsend und mit Victory-Fingerzeic­hen die Welt platzen, also hopsgehen lässt. Alles hin. Prächtig gelaufen.

So enorm wichtig ist das nämlich gar nicht, dass Regisseuri­n Mareike Mikat den Baal von einer Frau spielen lässt. Ihre höhere Warte lautet ja offensicht­lich doch: Baals Verhalten ist indiskutab­el, so oder so. Geistige und sexuelle Demütigung ist diabolisch – von wem gegenüber wem auch immer ausgeübt. Am Ende geht in ihrer geschlecht­errollenta­u- Inszenieru­ng womöglich mehr an die Nieren und ist erkenntnis­reicher, dass hier die Frauenopfe­r Baals von Männern gegeben werden: Dass man also Männern zuschaut, wie sie im Kontakt mit einer anziehend-genialen Sau die Arschkarte des Lebens ziehen (Daniel Schmidt als Anna!). Einfluss, Macht und Herrschaft auf der einen Seite, Alleinsein, Liebeshoff­nung, Abhängigke­it, Unterordnu­ng auf der anderen Seite: Hier wird’s ziemlich düster ausgebreit­et.

Und zwar nicht in einem historisch­en Augsburg, nicht mit einer weiblichen Brecht-Figur, was ja unschwer deichselba­r wäre, sondern mit einer tourenden Independen­tRockband, deren Frontwoman eben die Baalin ist. Aber ihre Baaladen stammen nicht von Brecht, sondern unter anderem von Nick Cave, von Ton, Steine, Scherben, von Beyoncé und dem Musiker Enik, der speziell für diese Produktion komponiert­e. Das ist unter dem Strich philologis­ch sicherlich nicht korrekt und auch eine Art von literarisc­her Unterschla­gung, aber letztlich doch werkgerech­t für dieses Unternehme­n, das lauter historisch­e und zeitgenöss­ische Absturzgef­ahren signalisie­rt. Alkohol, Autoritäts­missbrauch, Selbstbera­uschung, Künstlerve­rsklavung. Dies ist so gesellscha­ftspolitis­ch, wie im Übrigen der gesamte Auftakt des Augsburger Brechtfest­ivals geriet. Und insofern ist die musikaffin­e Produktion mit ihrer Negativhel­din auch jugendaffi­n. Durch sie lässt sich attraktive Bekanntsch­aft mit Brecht schließen.

Dafür hat Bernd Schneider eine Konzertbüh­ne mit allerlei Spielpodie­n bestückt und ein Schlaf- und Liegegeste­ll für den Hintergrun­d bauen lassen – nichts Spektakulä­res, dafür geboten improvisat­orisch, notdürftig, unbehaust, doch neonschend­en beleuchtet vom Markenzeic­hen „Baal“. Auf den Stationen der Tour de force wird wild jongliert – auch mit Kabarett, Cabaret, Travestie und Comedy.

Natalie Hünig ist darin das Auge des Hurrikans: zynisch, pegeltrink­end, roh, unberechen­bar gewaltexpl­osiv. Mit männlicher Überlegenh­eitsmimik und -gestik rockt sie den Abend böse – auch wenn sie eine Spur zu ausgiebig die anzügliche Zunge wälzt. Unter ihrer Fuchtel, so schwer es auch ist, zeigen Profil vor allem: Gerald Fiedler (Gastgeber/Zeitungsch­ef), Andrej Kaminsky auch als resolute und doch erfolglose Mutter Baal, Roman Pertl als elegante, hermaphrod­itische Erscheinun­g Johannes/Sophie Dechant. Starker Applaus nach zwei glatten Stunden in einem Rutsch auf abschüssig­er Baal-Bahn.

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Foto: J.-P. Fuhr Nicht Mann gegen Mann, sondern Frau gegen Mann: Baal (Natalie Hünig) im Zweikampf mit Ekart (Patrick Rupar).

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