Cowboy-Hippies und Live-Musik
Austin tanzt aus der Reihe. Von typischen Texas-Klischees ist nichts zu spüren
„Welthauptstadt der LiveMusik“landesweit verbreitet. Mehr als 100 Konzerte finden jedes Jahr hier statt. Für lokale Musiker ist ein Auftritt oft das Sprungbrett auf die nationale Bühne.
Zu den Hochzeiten von Hippie-Bewegung und VietnamProtesten waren der Songwriter und viele Kollegen genervt vom Establishment. Sie hatten die kommerziellen Musikzentren New York, Los Angeles und Nashville satt. Viele packten die Koffer und gingen nach Austin. Studenten hatten frischen Wind ins alte Hill Country gewirbelt. Aber die Musiktraditionen blieben fest im Honky-Tonk verwurzelt. Newcomer wie Nelson bauten auf dem Fundament auf und brachten neue Einflüsse mit. Auch die berühmte Sängerin Janis Joplin studierte 1962 in Austin. Neuzugänge wie sie entwickelten die Countryund Folk-Musik ab den frühen 1960er Jahren zu einer kraftvollen Ausdrucksform der Gegenkultur weiter. Austin wurde bekannt für ihre Cosmic Cowboys. Diese Country-Musiker verschmolzen regionale Konventionen mit progressiven Strömungen zu originellen neuen Trends wie Outlaw Country - sozialkritische Westernmusik mit Rebellenanspruch. Johnny Cash ist ein Beispiel. Willie Nelson ebenso. Vor dem ACL steht eine überlebensgroße Bronzestatue des Outlaw-Oldies mit Bandana-Kopftuch, Westernstiefeln und entrücktem Blick. Ein HippieCowboy oder Cowboy-Hippie?
Die Musikgeschichte prägt Austins urbane Kultur. LiveMusik erklingt nicht nur auf vielen Festivals, sondern auch an Straßenecken, in Supermärkten, Kirchen, Parks und auf Ratsversammlungen. Es sind vor allem die kleinen Bühnen in mehr als 250 Kneipen, Cafés, Restaurants und Bars, mit denen das Gastgewerbe die Tausenden Bands in dieser Stadt unterstützt. Ein loyales Publikum sorgt für gute Umsätze.
Der Straßenplan Austins sieht fast aus wie ein Schachbrett. Durch das Karomuster windet sich der zum Lady Bird Lake aufgestaute und von Rad- und Spazierwegen gesäumte Colorado River, der mit dem gleichnamigen Fluss im Grand Canyon nichts zu tun hat. Austin ist in Nachbarschaften gegliedert, jede mit eigenem Flair. Die Innenstadtteile Red River District und Sixth Street mit zweistöckigen Backsteinhäusern und bunter Leuchtreklame gelten als Epizentrum der Live-Musik.
Vom Säulenbalkon des Hotels „Driskill“, 1886 von Rinderbaron Jesse Driskill erbaut, kann man den Trubel gut überblicken. Am Wochenende ist die Partymeile blockweise für Autos gesperrt. Live-Bands spielen in offenen Schaufenstern. Der Kneipenbummel wird zur FreiluftParty. Für Blues-Fans liegt die beste Adresse gleich um die Ecke: In „Antone’s Nightclub“trat 1975 der legendäre Gitarrist Stevie Ray Vaughan ein paar Mal wöchentlich auf.
Seit 2000 herrscht ein Wolkenkratzer-Bauboom in Austin. Die Stadt wird attraktiver, aber auch teurer. Lokale Künstler fürchten langfristig aus der Stadt verdrängt zu werden. Noch sind Süd- und Ost-Austin kreative Tummelplätze. Ein Generationsbetrieb wie Allens Boots mit Hunderten Westernstiefeln von Strass bis Alligator kann sich vorerst ebenso halten wie die exzentrische Hipster-Cocktailbar „Whisler’s“mit Hirschgeweih und Madonnenschrein. Im „White Horse“mag man es bodenständiger. Herzhafte Tacos passen gut zu Bier und Hillbilly-Balladen. Der schlaksige Batik-Cowboy nickt aufmunternd.