Landsberger Tagblatt

Sie hat ein großes Herz für die Kleinen

Viele Dießener kennen und schätzen Rosemarie Reil. Die 77-Jährige wurde im Kloster der Dominikane­rinnen zur Erzieherin ausgebilde­t. Jetzt hat sie einen Preis für Respekt und Toleranz erhalten

- VON USCHI NAGL

Dießen Es ist schön, mit Rosemarie Reil an einem sonnigen Frühlingst­ag über den Untermülle­rplatz zu spazieren. Überall trifft sie alte Bekannte, die gerne ein Schwätzche­n halten. Man kennt die 77-Jährige. Schließlic­h ist sie ein waschechte­s Dießener Kindl und als Erzieherin war sie jahrzehnte­lang wichtige Bezugspers­on für den Nachwuchs ihrer Heimatgeme­inde. Vor Kurzem wurde Rosemarie Reil vom SPDOrtsver­band nun mit dem HeinrichTl­askal-Preis ausgezeich­net: für Respekt und Toleranz.

Geboren wurde die kleine Rosemarie im Juni 1941, mitten im Krieg, im winzig kleinen Häuschen ihrer Pflegeelte­rn Martin und Magdalena Kronester in der Fischerei, am Alexander-Koester-Weg. Heute steht das kleine Haus unter Denkmalsch­utz. Dort war schon die leibliche Mutter von Rosemarie aufgewachs­en, die während der letzten Kriegsjahr­e in München als Trümmerfra­u

Das kleine Mädchen blieb in Dießen zurück

Manchmal muss man einfach nur zuhören

arbeitete. Das Leben war nicht einfach in jener Zeit, und so kam es, dass Rosemaries Mutter – der Vater war im Krieg gefallen – mit ihrem zweiten Mann in Köln einen Neuanfang wagte, während das kleine Mädchen in Dießen blieb.

Eine Entscheidu­ng, mit der Rosemarie keine Sekunde haderte: „Meine Pflegeelte­rn waren für mich wie richtige Eltern und die Fischerei war ein Kinderpara­dies.“Die Pflegeelte­rn waren immer in der Nähe, denn beide arbeiteten nur wenige Schritte von Zuhause entfernt bei den Hofners in der Untermühle. Dort, wo sich heute der Untermülle­rplatz erstreckt, klapperte damals noch das Mühlrad und auf dem Mühlenweih­er schwammen Enten und Gänse. Im dazugehöri­gen Sägewerk war Rosemarie Reils Pflegevate­r als Vorarbeite­r tätig, die Pflegemutt­er kümmerte sich um die kleine Landwirtsc­haft.

Zu den schönsten Erinnerung­en von Rosemarie Reil zählt bis heute ihre Kindheit: „In jedem Haus hat es gewurlt, so viele Kinder gab es in der Fischerei.“Sobald man von der Schule zu Hause war, war man mit den Spielkamer­aden unterwegs. Vor dem Straßenver­kehr brauchte man sich nicht zu fürchten. „Es gab da- mals den Schorsch Gall, der hat mit seinem Ochsenfuhr­werk alles transporti­ert und die Müllabfuhr gemacht hat. Autos haben wir selten gesehen und auf der Jahnstraße haben wir Völkerball gespielt.“So ging es also kreuz und quer durch Gassen und Gärten und natürlich auch hinaus ins Moos, wo es für die Kinder immer viel zu entdecken gab. Im Sommer spielte man am Mühlbach und am See, im Winter waren die Kinder beim Schlittsch­uhlaufen oder am Bahndamm beim Schlittenf­ahren. Zum Aufwärmen ging es in Schuppen, Ställe oder Werkstätte­n.

Mit 17 Jahren entschied sich die junge Frau dann für ein Leben im Kloster. Wenig später trat sie dem weltlichen III. Orden des Heiligen Dominikus bei, lebte im Kloster der Dominikane­rinnen, absolviert­e die Ausbildung zur Erzieherin und arbeitete im katholisch­en Kindergart­en St. Gabriel. Aufgrund von klosterint­ernen Umstruktur­ierungen – Terziaren des III. Ordens waren offenbar im Kloster nicht mehr erwünscht – verließ Schwester Rosaria das Kloster 1985. Dem katholisch­en Kindergart­en und den Dießener Kindern blieb sie als Erzieherin jedoch bis zu ihrer Pensionier­ung im Jahr 2001 treu, und versäumte es auch fortan nicht, sich in ihrem berufliche­n Umfeld, in der Kirchengem­einde oder in Vereinen hilfreich einzubring­en. Als Sakristani­n bereitet sie die Gottesdien­ste in den Seniorenwo­hnanlagen im Färbergass­l vor und unterstütz­t den Pfarrer. „Als Vorsitzend­e des Mechtildis­Vereins habe ich viele Krankenbes­uche gemacht“, erinnert sich die Seniorin, und in den Jahren davor hat sie als Mitglied des Frauenbund­s leidenscha­ftlich gerne Theater gespielt.

„Bis heute kann ich an keinem Menschen vorbeigehe­n, der so aussieht, als könne er Hilfe gebrauchen“, sagt Reil. Und bis heute hilft sie ihren Mitmensche­n gerne in aller Stille, so wie sie es von ihren Pflegeelte­rn gelernt hat. „Manchmal muss man einfach nur zuhören. Und alles was man von Herzen tut, bekommt man ohnehin irgendwann zurück“, davon ist Rosemarie Reil überzeugt – auch mit Blick auf den HeinrichTl­askal-Preis für Respekt und Toleranz. Der Stifter des Preises, der langjährig­e SPD-Gemeindera­t Heinrich Tlaskal (1929-2014), ist übrigens als junger Kriegsflüc­htling oft zu Besuch bei ihren Pflegeelte­rn gewesen. „Und später waren die Tlaskal-Kinder alle bei mir im Kindergart­en.“

Mit dem Preisgeld hätte sich Rosemarie Reil gerne eine Reise mit dem Frauenbund zur Tulpenblüt­e nach Holland gegönnt, aber das geht aus gesundheit­lichen Gründen nicht mehr. Stattdesse­n soll nun auf Empfehlung des Hausarztes ein neuer Fernsehses­sel angeschaff­t werden, der dem Rücken guttut. „Dann schaue ich mir die Tulpenblüt­e eben im Fernsehen an“, sagt die Rentnerin und lächelt.

Und weil Rosemarie Reil nach wie vor ein großes Herz für die Kleinen hat, wünscht sie sich, dass die Mühlstraße möglichst bald wieder zur Fußgängerz­one wird: „Das neue Planschbec­ken am Mühlbach ist wirklich schön.“Aber es sei halt gefährlich, wenn Kinder zwischen Mühlbach und Eisdiele über eine befahrene Straße laufen.

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Fotos: una/privat
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