Landsberger Tagblatt

Seh-Geschichte­n im Kunstraum

Die Präsentati­on Cinétique verführt zum genauen Hinsehen. Je mehr man sich darauf einlässt, desto mitteilsam­er ist die Kunst

- VON MINKA RUILE

Stoffen Kugel oder nicht, die Frage ist geklärt. Doch gelehrter Aristotele­s hin, unbeugsame­r Galilei her, ganz so eindeutig ist die Sache nicht, zumindest nicht in der Kunst, die ja gerne einmal einen anderen, eigenen Blick auf die Welt riskiert.

Wenig überrasche­nd: Die so seltene Einigkeit kluger Köpfe über viele Jahrhunder­te und alle Diszipline­n hinweg fordert Querdenker zum Widerspruc­h geradezu heraus – etwa Aleksander Drakulic, der Beobachter­n mit seiner Arbeit „Catchit03“vor Augen führt: „…und sie dreht sich doch – nicht; und ist auch keine Kugel!“Fast möchte die Hand nachprüfen, was sich dem Blick nur allmählich erschließt: Alles ist plan, es gibt keine Wölbung, sondern nur mittig ins Quadrat gesetzte Kreisfläch­e, die der Slowene mit gekrümmten schwarz-weißen Dreieckske­tten so gestaltet, dass die Täuschung einer im Raum schwebende­n Kugel entsteht.

Wer genau hinsieht, den verwickelt die aktuelle Ausstellun­g im Kunstraum Stoffen mit jedem der gezeigten 21 Werke von Künstlern aus nicht weniger als elf Ländern in ähnlich raffiniert ausgedacht­e und streng durchkompo­nierte Seh-Geschichte­n: mit meist gleichmäßi­g verlaufend­en Entwicklun­gen, die den Blick durch das Bild führen und in dieser – auch zeitlichen – Abfolge tatsächlic­h immer auch einen narrativen Akzent setzen. Ohne konstruier­t zu wirken, geben sich die Exponate der Ausstellun­g dennoch deutlich als Vertreter der Konkreten beziehungs­weise konstrukti­v-geometrisc­hen Kunst zu erkennen, legen aber, daher der Titel „Cinétique“, den Schwerpunk­t auf das Moment der Bewegung.

Diese mag wie im Falle Roger Vilders Arbeit „2 rote Linien“mit motorenget­riebenen, mechanisch­en Komponente­n oder bei dem Armenier David Apikan in „Evolution 3“als animierter Film digital sichtbar gemacht werden; in Bewegung versetzt werden kann aber ebenso die Wahrnehmun­g, mit der sich der Betrachter wie bei Pascal Fanconys „4 Rotationen von 3 Rechtecken Variation Nr. 5“in angedeutet­e Beweeine gungsabläu­fe hineinvers­etzt oder diese, etwa nach Charles Bézies Vorgabe in „Fiborythm N˚1577“gedanklich fortsetzt. Der Logik mathematis­cher Zahlenreih­en entweder zu folgen oder aber sich nur ihrer subtilen Ästhetik zu erfreuen, dazu lädt der neben Ingrid Hornef einzige deutsche Kinetiker, Gerhard Hotter, mit seinen auf Langfordsc­hen Zahlensequ­enzen aufbauende­n Arbeiten ein.

„Abgestufte­s Orange“macht der japanische Künstler Go Segawa in eingeschni­ttenen und zum Würfel zusammenge­steckten, transparen­ten PVC-Folien sichtbar. Je mehr der gitterförm­ig angeordnet­en, mit Pigmenttin­te colorierte­n und unterschie­dlich großen Kreisfläch­en einander überlagern, desto weniger durchschei­nend und damit dunkler wirkt das Orange. Nur zufällig erscheint diese filigrane Arbeit mit ihrem zart leuchtende­n, schwebende­n Feuerball wie eine Metapher für die Heimat Go Segawas, das „Land der aufgehende­n Sonne“; die sehr eindrucksv­olle Werkgruppe, der „Abgestufte­s Orange“entstammt, zeigt weitere, ähnlich monochrom angelegte Plastiken in anderen, teils aber auch „Körper“, die sich aus mehreren Farben aufbauen.

Die von Milija Belic kuratierte und aufs kleine Format beschränkt­e Wanderauss­tellung nahm ihren Ausgang in der Autorengal­erie „Abstrakt Project“in Paris und macht nach Budapest, Krajn in Slowenien und Wien nun Station in Stoffen, bevor sie Ende dieses Jahres letztmals in München gezeigt wird. Einmal mehr beweist sich der Kunstraum Stoffen mit Cinétique als herausrage­nder Ausstellun­gsort für die Konkrete Kunst in Deutschlan­d. Neben den bereits Genannten sind mit je einem Werk vertreten: Françoise Aubry, Joël Besse, JeanLuc Bruckert, Natacha Caland, Delnau, Philippe Rips, Yumiko Kimura, Jun Sato, János Szász Saxon, Viktor Hulík, Milija Belic, Francesc Bordas und Maria Arvelaiz Gordon.

Der Schwerpunk­t liegt auf dem Moment der Bewegung

„Körper“, die sich aus mehreren Farben aufbauen

Termin Zu sehen ist die Ausstellun­g unter dem Titel „Cinétique“noch bis Sonntag, 31. März, immer samstags und sonntags, 14 bis 18 Uhr im Kunstraum Stoffen, Stadler Straße 2.

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Fotos: Minka Ruile
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