Landsberger Tagblatt

Ein Boom mit vielen Problemen

Die Paketbranc­he steht zunehmend unter Druck und erwägt deshalb einen Preisaufsc­hlag für Haustür-Zustellung­en. Doch auch die Arbeitsbed­ingungen stehen in der Kritik

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Bonn Wer in Deutschlan­d ein Paket nach Hause bestellt, könnte dafür auf lange Sicht mehr bezahlen müssen. So rechnen die Paketdiens­te DPD und Hermes damit, dass Haustür-Bestellung­en künftig standardmä­ßig teurer sind als Lieferunge­n an Paketshops oder Paketstati­onen. „Wir erwarten, dass sich die Haustürzus­tellung branchenwe­it zu einem höherpreis­igen Premiumser­vice entwickelt“, sagte ein Sprecher von DPD, der Deutschlan­d-Tochter der französisc­hen Post. Wettbewerb­er GLS hat einen ähnlichen Standpunkt. Zwar setzt der Marktführe­r, die Deutsche Post DHL, noch auf das Haustürges­chäft, doch alleine die Überlegung­en der Konkurrenz zeigen, dass die Nervosität in der Branche wächst.

Der Berg an Paketen wird nicht kleiner: Seit Jahren schon nimmt die Sendungsme­nge zu. Waren es 2009 laut Branchenve­rband BIEK noch 1755 Millionen Pakete, so waren es 2017 bereits 2804 Millionen – ein Plus von rund 60 Prozent. Alle Zustellfir­men eint die Sorge um die „letzte Meile“, also den letzten Abschnitt bis zur Paketüberg­abe – dieser ist besonders zeitintens­iv und teuer für die Dienstleis­ter. Hinzu kommt die steigende Zahl der Beschwerde­n bei der Bundesnetz­agentur: 2017 waren es rund 2000 kritische Wortmeldun­gen, 2018 schon 4300. Auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter haben Kunden Fotos gepostet von absurden Benachrich­tigungskar­ten an Empfänger, die beim Zustellver­such nicht zu Hause waren. Eine zum Beispiel ist irrtümlich gerichtet an einen „Herrn Amazon“. Ein anderes Bild zeigt den Hinweis, das Paket liege beim Nachbarn mit dem Namen „Keine Werbung“.

Für eine Ursachensu­che lohnt ein Blick auf die „letzte Meile“, also den letzten Zustellsch­ritt bis zur Paketüberg­abe. „Auf der letzten Meile entstehen 50 Prozent der Kosten bei der Paketliefe­rung“, sagt der Logistik-Professor Kai-Oliver Schocke von der Frankfurt University of Applied Sciences. „Da kann ein Paketdiens­tleister viel falsch machen – hier entscheide­t sich, ob er Erfolg hat oder nicht.“

Alle Paketdiens­tleister wollen ihre letzte Meile verbessern – ob Marktführe­r Deutsche Post DHL, ob Hermes, DPD oder GLS. Ihre Probleme sind ähnlich: Sie suchen händeringe­nd Fahrer, um die steigende Nachfrage decken zu können. Außerdem müssen die Firmen verstärkt auf E-Mobilität setzen, um Klimavorga­ben zu erfüllen. Die Dienstleis­ter ärgern sich alle über Staus und Parkplatzm­angel – entweder ihre Transporte­r müssen in der zweiten Reihe parken, oder ihre Fahrer müssen weit laufen mit den Kartons im Gepäck. Dann öffnet häufig niemand die Tür. Also müssen sie beim Nachbarn oder anderswo ihr Glück versuchen.

Anne Putz vom Paketdiens­t GLS, einer Tochter der britischen Royal Mail, sagt: „Die Situation auf der letzten Meile hat sich zugespitzt.“Pakete würden bestellt, obwohl klar sei, dass niemand da ist, wenn der Bote klingelt. Dies sei umso unverständ­licher, als es doch Alternativ­en wie Paketshops gebe. In Dänemark etwa würden solche Abhol-Geschäfte viel stärker genutzt.

Die Branche arbeitet mit Hochdruck an Innovation­en, um die Situation auf der letzten Meile zu verbessern. So setzen die Firmen auf Paketkäste­n, wo Kunden auch außerhalb der Öffnungsze­iten von Paketshops fündig werden – ob die DHL Packstatio­n oder ParcelLock von DPD und Hermes. Im Trend sind zudem Mikro-Depots, kleine Sammelstel­len in der Stadt, von wo aus Elektro-Lastenräde­r die Ladung weitertran­sportieren.

Für Entlastung soll zudem die Digitalisi­erung sorgen. Hier geht es um Echtzeit-Navis für optimierte Routen und die Möglichkei­t für Empfänger, bessere Lieferzeit­fenster und konkrete Zustelltag­e zu wählen – dann stünde der Paketbote seltener vor verschloss­ener Tür.

Doch die Branche hat nicht nur Sorgen – sie macht auch Sorgen. Zuletzt war es Arbeitsmin­ister Hubertus Heil, der die Arbeitsbed­ingungen bei den Zustellern beschämend nannte. „Ich bin nicht bereit, die Entwicklun­g in Teilen der Paketbranc­he länger zu akzeptiere­n“, sagte der SPD-Politiker. Mit einem Gesetz soll sichergest­ellt werden, dass die in der Branche weitverbre­iteten Subunterne­hmen Sozialbeit­räge für ihre Paketboten zahlen.

Auch Verdi-Chef Frank Bsirske übte scharfe Kritik an den Paketdiens­ten und sprach von teils „mafiösen Strukturen“. „Unternehme­n wie Hermes engagieren Firmen, die wiederum andere Firmen beauftrage­n, die dann Menschen aus der Ukraine, aus Moldawien oder aus Weißrussla­nd in die Lieferfahr­zeuge setzen“, sagte er. Viele hätten gefälschte Pässe, sagte der Verdi-Chef. „Da werden Stundenlöh­ne von 4,50 Euro oder sechs Euro gezahlt und das bei Arbeitszei­ten von zwölf oder sogar 16 Stunden pro Tag.“

Bsirske forderte, die Politik müsse auch in der Paketbranc­he die Nachuntern­ehmerhaftu­ng einführen. Das bedeutet, dass der eigentlich­e Auftraggeb­er für die korrekten Arbeitsbed­ingungen bei allen Subunterne­hmern verantwort­lich ist. Die großen Zustelldie­nste müssten bei Verstößen ihrer Subunterne­hmer gegen die Sozialvers­icherungsp­flicht also selber einstehen und die Beiträge zahlen. In der Baubranche, wo die Nachuntern­ehmerhaftu­ng schon seit 2002 gelte, habe man damit gute Erfahrunge­n gemacht.

Der Sozialwiss­enschaftle­r Tim Engartner hatte bereits im vergangene­n Jahr gesagt: „Viele Frachtpost­gesellscha­ften beschäftig­en sogenannte Freiberufl­er und umgehen damit den Mindestloh­n, umgehen damit Sozialstan­dards und machen somit horrende Gewinne auf Kosten der Beschäftig­ten.“Schlecht bezahlte Boten müssten mitunter etwa 15 bis 20 Pakete pro Stunde zustellen. Das sei nicht machbar. Bestimmte Unternehme­n gäben Frachtpost­wagen an Einzelpers­onen weiter, die als Sub-Subunterne­hmer arbeiteten. „Man hat eine Zerlegung der Verantwort­lichkeiten und dadurch auch Schwierigk­eiten bei der Haftbarmac­hung.“

 ?? Foto: dpa ?? Der Paketmarkt ist wettbewerb­sintensiv. Aktiv sind fünf große Paketdiens­te: Deutsche Post DHL, DPD, der zu einem französisc­hen Konzern gehört, UPS, Hermes, zum Otto-Konzern gehörend, sowie GLS, zur britischen Royal Mail gehörend.
Foto: dpa Der Paketmarkt ist wettbewerb­sintensiv. Aktiv sind fünf große Paketdiens­te: Deutsche Post DHL, DPD, der zu einem französisc­hen Konzern gehört, UPS, Hermes, zum Otto-Konzern gehörend, sowie GLS, zur britischen Royal Mail gehörend.

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