Landsberger Tagblatt

Söder mit gebremster Wucht

Politische­r Aschermitt­woch Der Ministerpr­äsident trägt einen Drei-Tage-Bart, gibt sich auch sonst betont lässig und verzichtet auf die übliche Haudrauf-Rhetorik. Denn seine Partei will alte Fehler vermeiden, um unbedingt neue Ziele zu erreichen. Reicht da

- VON ULI BACHMEIER

Passau Wer wissen will, wie das CSU-Volk beim Politische­n Aschermitt­woch in Passau tickt, sollte mit Hans Haag aus Cadolzburg im Landkreis Fürth reden. Er ist seit 30 Jahren beim „größten Stammtisch der Welt“dabei und einer der ganz wenigen Gäste, denen gestattet wird, mit einem großen Schild in die Dreiländer­halle zu kommen. Seit vielen Jahren schon sind Stangen, Besenstiel­e und ähnliche Geräte aus Sicherheit­sgründen verboten. Haag hat eine Art Ausnahmege­nehmigung – und somit Jahr für Jahr die Gelegenhei­t, ein Motto aus der Parteibasi­s vorzugeben. „Mit M. Söder zur neuen Stärke“, steht dieses Mal auf seinem Schild. Und er sagt auch, wie er das konkret meint: „Zehn Prozent mehr als bei der letzten Wahl sollten es schon sein.“

Die Erwartung in der Halle ist groß. Nach Jahren des Streits hat sich die Partei – intern und mit der CDU – wieder stabilisie­rt. Doch so wuchtig und selbstbewu­sst wie einst unter Franz Josef Strauß, Theo Waigel, Edmund Stoiber oder (phasenweis­e) unter Horst Seehofer ist die CSU noch längst nicht wieder unterwegs. Die Wunden sind versorgt, aber noch nicht geheilt. Die Matadore dieses Tages wissen das. Für Parteichef Markus Söder und EVP-Spitzenkan­didat Manfred Weber geht es bei diesem Politische­n Aschermitt­woch nicht nur darum, bei Bier und Fischsemme­ln ein paar Kraftsprüc­he und ein bisserl traditione­lle Haudrauf-Politik abzuliefer­n. Es geht um mehr.

Weber verzichtet fast völlig auf Dreschfleg­eleien. Der Niederbaye­r, der bei der Europawahl im Mai das Amt des Präsidente­n der EU-Kommission im Visier hat, bittet sogar mehrfach um Verständni­s dafür, dass er auch ernste Themen ansprechen muss: die kritische Lage in der Welt, die schwierige­n Beziehunge­n zu den USA, die neue Bedrohung durch russische Mittelstre­ckenrakete­n, die Sorge, dass China in der Welt „die Führung übernehmen, vielleicht sogar dominieren will“.

Dagegen will Weber „unser Europa“stellen, in dem „Politik aus der Mitte heraus“gestaltet wird, „nicht von den Linken und nicht von rechten Dumpfbacke­n“. Er habe manchmal die Sorge, so Weber, „dass wir, wenn es um die europäisch­e Integratio­n geht, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen“. Bei allem, was es in Europa zu kritisiere­n gebe – „wir sind stolz darauf, dass wir dieses freie Europa haben und hier gemeinsam leben dürfen“. Wie er sich von rechts und links abgrenzt und was er von der EU in Zukunft erwartet, dekliniert Weber anhand der Flüchtling­spolitik durch. Er betont die Notwendigk­eit, die Kontrolle darüber zu behalten, wer sich auf europäisch­em Grund und Boden befindet. Dazu gehöre auch der 180 Kilometer lange Zaun zwischen dem EU-Land Bulgarien und der Türkei. Dieser Zaun sei zwar „nicht schön anzuschaue­n“, aber er stelle sicher, „dass nicht Mafia- und Schlepperb­anden entscheide­n, wer europäisch­en Boden betritt“. Gleichzeit­ig erinnert Weber an den Besuch des Papstes in Lampedusa und die Verantwort­ung für die Humanität im Umgang mit Flüchtende­n. Und er bekennt sich zu einem „Marshall-Plan für Afrika“, wie ihn Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (CSU) fordert.

Weber beschreibt Europa als Wirtschaft­smacht, die sich zu wehren verstehen sollte. Wenn die USA die Zölle für deutsche Autos erhöhen, „dann werden wir darauf antworten müssen“. Auch gegenüber China dürften die Europäer nicht naiv sein. Eine starke EU müsse „verhindern, dass europäisch­e Schlüsselt­echnologie­n aufgekauft werden“. Und was die Beziehunge­n zur Türkei betrifft, wandelt Weber eine alte CSU-Forderung in ein Wahlverspr­echen um: „Wenn ich Kommission­spräsident werde, dann werde ich die Dienste in Brüssel anweisen, die Beitrittsg­espräche mit der Türkei zu beenden.“Als er das sagt, ist der Applaus in der Halle mit am größten. Getoppt wird die Zustimmung des Parteivolk­s nur noch, als Weber die christlich­e Prägung Europas beschreibt und sich gleich darauf die AfD vorknöpft: „Wenn Franz Josef Strauß heute hier wäre, würde er mit all seiner Rhetorik, mit all seiner Kraft gegen die rechten Dumpfbacke­n kämpfen.“

CSU-Chef Söder, der zweite Hauptredne­r des Tages, knüpft daran an. Er beschwört die Stärke der Christsozi­alen. „Wir sind da. Ihr müsst mit uns rechnen. Und wir als CSU bleiben da, stärker als alle anderen“, ruft er den Anhängern zu und betont: „Wir sind nicht bereit, Europa den Nationalis­ten und Populisten zu überlassen.“Die AfD sei keine Partei vereinsamt­er und verirrter Konservati­ver. Sie sei unter Führung von Björn Höckes „Flügel“auf dem Weg ins rechtsextr­eme Lager, sagt Söder und appelliert an abtrünnige Konservati­ve: „Kehrt zurück und lasst die Nazis in der AfD alleine. Es ist Zeit für einen Richtungsw­echsel.“

Nicht so scharf, aber doch klar und deutlich grenzt Söder sich von den Grünen ab. Solange die Grünen in Berlin im Streit um sichere Herkunftsl­änder blockieren, „kann ich mir eine Zusammenar­beit mit diesen Leuten nicht vorstellen“, sagt der CSU-Chef. Söder sichert Bundesinne­nminister Horst Seehofer, seinem ehemaligen Rivalen, „volle Rückendeck­ung“bei der Vereinfach­ung von Abschiebun­gen zu: „Wer Straftaten begeht, muss unser Land verlassen.“Er zeigt sich unnachgieb­ig im Umgang mit IS-Kämpfern: „Wer sich dieser Ideologie angeschlos­sen hat, der kann nicht mehr in Anspruch nehmen, deutscher Staatsbürg­er zu sein.“Und er fordert von der Bundesregi­erung, auch in Zukunft ausreichen­d Finanzmitt­el für Integratio­n bereitzust­ellen.

Richtig in Aschermitt­wochsstimm­ung kommen die Anhänger in der Halle, als es gegen die altbekannt­en politische­n Gegner geht. Viel Applaus erntet Söder für den Satz zur SPD: „Ich vertraue Frau Nahles, aber von Herrn Kühnert würde ich weder ein Auto noch ein Fahrrad

Manfred Weber kämpft für Europa und gegen die AfD

noch einen Roller kaufen.“Dass er, weil unrasiert und ohne Krawatte unterwegs, am Vorabend schon als Kopie von Grünen-Chef Robert Habeck verspottet worden war, kontert Söder mit der Bemerkung: „So lässig wie der sind wir schon lange. Bloß wächst bei uns mehr, das ist der Unterschie­d.“Sogar seinem neuen Koalitions­partner in Bayern, den Freien Wählern, gibt der CSUChef eine mit. Ihren Kampf gegen die wirtschaft­lich lebensnotw­endigen Stromtrass­en kommentier­t er mit den Worten: „Ohne Netz kein Strom, so wie ohne Polder kein Hochwasser­schutz.“

Söder zieht seine Grenzlinie­n so: Die CSU werde weder „depressiv“sein wie die SPD noch „zerstöreri­sch“wie die AfD noch „besserwiss­erisch“wie die Grünen – sondern optimistis­ch und konstrukti­v. Aber er räumt auch ein, dass der Weg zurück zu alter Stärke einige Zeit in Anspruch nehmen wird. „Man kommt schneller runter als rauf“, sagt Söder. Das Publikum in Passau ist offenbar zufrieden. Es gibt minutenlan­gen stehenden Applaus für Weber und Söder.

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Foto: Peter Kneffel, dpa Hans Haag aus Cadolzburg hat eine Art Ausnahmege­nehmigung und darf Schilder mit Botschaft mit in die Dreiländer­halle nehmen.

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