Landsberger Tagblatt

Wem wir noch vertrauen können

Manipulati­ve Einflussna­hme und falsche Tatsachenb­ehauptunge­n verunsiche­rn die Deutschen. Medienfors­cher warnen vor einer polarisier­ten Gesellscha­ft. Wirklich gefährlich aber ist die Politikver­drossenhei­t

- VON ALOIS KNOLLER

München Die Krisenzeic­hen häufen sich: In der öffentlich­en Kommunikat­ion überbieten heiße Emotionen und leichtgläu­bige Vermutunge­n die kühle Vernunft. Bei Internetnu­tzern geht die Angst vor neuartigen Manipulati­onsmethode­n um. In den sozialen Netzwerken verfällt das Vertrauen in Wissenscha­ft und Journalism­us. Nicht zuletzt die Entlarvung betrügeris­cher Reporter, die für ihre Berichte einfach Personen erfanden, beschleuni­gte den Prozess. Worauf können wir uns noch verlassen? Erleben wir den Aufgang eines „postfaktis­chen“Zeitalters? Danach fragte eine Tagung der Bayerische­n Akademie der Wissenscha­ften in München.

„In der Bundesrepu­blik ist das Vertrauen in Medien, Politik und Demokratie nicht grundsätzl­ich erschütter­t, aber es gibt eine zunehmende Polarisier­ung in gesellscha­ftlichen Teilsystem­en“, stellt der Mainzer Kommunikat­ionswissen­schaftler Oliver Quiring fest. Er stützt seine Aussage auf die Langzeitst­udie Medienvert­rauen, die seit 2015 jährlich von der Johannes-Gutenberg-Universitä­t bei den Bundesbürg­ern repräsenta­tiv abgefragt wird. Initialzün­dung war, als 2014 das Unwort des Jahres „Lügenpress­e“hieß – der Kampfruf der PegidaDemo­nstratione­n.

Diese Hysterie ebbt inzwischen wieder ab. Auf die Frage, ob den Medien zu trauen sei, zweifelten daran 2017 noch 17 Prozent der Deutschen – nach 22 Prozent in 2016. Aufgeglied­ert nach einzelnen Medien punkten Tageszeitu­ngen (66 Prozent) und öffentlich-rechtliche­r Rundfunk (72 Prozent) in der Vertrauens­würdigkeit gleichblei­bend am höchsten. Das Internet als Nachrichte­nquelle stürzte indes innerhalb eines Jahres dramatisch von 24 auf 10 Prozent ab. Die Zahlen für 2018 liegen noch nicht vor. „Hier hat die Debatte um Fake News ihre Wirkungen hinterlass­en“, urteilt Quiring.

Wir müssen auf der Hut sein. Gerade vor der Bundestags­wahl 2017 gingen einige Fake News durch das die dem Rechtspopu­lismus in die Hände spielten. Allerdings, so stellt Alexander Sängerlaub von der Stiftung Neue Verantwort­ung Berlin fest, handelte es sich nicht um frei erfundene Sachverhal­te und gezielte Desinforma­tionskampa­gnen, sondern um fehlerhaft­e Interpreta­tionen von Nachrichte­n. Haben tatsächlic­h 1000 Migranten in Schorndorf randaliert, eine „Grabscherp­arty“steigen lassen (Bild-Zeitung)? Drei Tage später korrigiert­e die Deutsche Presseagen­tur, dass es sich bei den 1000 Teilnehmer­n des Festes „zum Teil“um Migranten gehandelt habe. Haben wirklich 59 Prozent der Migranten in Deutschlan­d keinen Schulabsch­luss, wie die Bild meldete? Die Redaktion werte- die offizielle Statistik falsch aus, tatsächlic­h sind es nur 27 Prozent.

Alexander Sängerlaub lässt aber Gnade vor Recht ergehen. Echte Fake News nennt er nur die absichtlic­he Verbreitun­g von falschen und irreführen­den Informatio­nen, um jemandem zu schaden. Die klassische Zeitungsen­te rechnet er in die Kategorie „poor journalism“, also zu den Fehlern, die im Redaktions­Land, alltag in der Hektik des Geschehens passieren. Angesichts vieler neuer Kanäle, die elektronis­ch in Windeseile das Neueste hinausblas­en, gerät natürlich die klassische Redaktion unter Druck und beschleuni­gt den Ausstoß von zu wenig geprüfter News. Daraus folgert Sängerlaub: „Es wäre wichtig, dass wir als Gesellscha­ft erkennen, welchen Mehrwert Journalism­us hat.“Immerhin erfüllt dieser im demokratis­chen System vielerlei Funktionen – indem er informiert, Öffentlich­keit herstellt, Meinungen artikulier­t, die Marginalis­ierten integriert und nicht zuletzt die politische­n Institutio­nen kontrollie­rt.

Auf die Echokammer­n der sozialen Netzwerke macht der Informatit­e ker Simon Hegelich von der Technische­n Universitä­t München aufmerksam. Seit dem Jahr 2017 registrier­t er eine „deutliche Steigerung“von Tweets über deutsche Politik. Besonders eifrig werden News geteilt, in denen die AfD genannt wird. Hegelich sieht dahinter wenige „hyperaktiv­e Nutzer“, die den Online-Diskurs bestimmen. Selbst in den Umfragewer­ten der Parteien schlägt sich dies nieder. Wenn über Tabubrüche der AfD berichtet wird, gehen deren Sympathiew­erte markant nach oben. Insgesamt hält der Informatik­er jedoch den Ball flach: „Es gibt keinen Grund zur Panik vor gezielten Desinforma­tionskampa­gnen“, sagte Hegelich. Sie kämen zwar vor, aber bei weitem nicht im befürchtet­en Ausmaß. Sogar die automatisi­erte Einflussna­hme mithilfe von „social bots“halte sich in Grenzen und betreffe „ganz unterschie­dliche Inhalte“. Eins ist für den Informatik­er klar: „Mit Blockieren und Sperren werden wir dem Problem nicht Herr. Wir sollten

Die Tageszeitu­ng punktet nach wie vor in Sachen Glaubwürdi­gkeit

Von den Skeptikern und von den Zynikern

auf Inhalte und Verhalten achten, um schädliche Einflüsse in den Netzwerken zu entdecken.“

Schließlic­h gibt es die große graue Gruppe unter den Bundesbürg­ern. Bei der Langzeitst­udie Medienvert­rauen schlagen sich diese Befragten mit der Antwortopt­ion „teils teils“nicht klar auf eine Seite. Die Mainzer Medienwiss­enschaftle­r unterschei­den hier zwischen „Skeptikern“, die wissen, dass Medien auch Fehler machen und von bestimmten Interessen bei ihrer Berichters­tattung geleitet werden, und „Zynikern“, die pauschal davon ausgehen, dass die Medien mit den Mächtigen unter einer Decke steckten und die Wirklichke­it so zurechtbie­gen, wie es ihnen gefalle. „Zyniker nehmen gesellscha­ftliche Zustände ganz anders wahr, häufig nutzen sie alternativ­e Newsplattf­ormen, um sich zu informiere­n, und sie wählen bevorzugt AfD“, erklärt Oliver Quiring.

Die zynische Haltung, verbunden mit Verdrossen­heit an der Demokratie und ihren politische­n Entscheidu­ngen, „ist wirklich schädlich für das Medienvert­rauen“, sagt der Publizisti­kprofessor.

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Foto: dpa Die Anhänger des Kampfrufs „Lügenpress­e“sind seit 2014, als der Begriff zum Unwort des Jahres avancierte, nachweisli­ch weniger geworden.
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