Landsberger Tagblatt

Die Musikwelt ist keine Scheibe

Hören heißt Streamen. Auch die CD ist jetzt endgültig überholt

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Seit der Mensch Musik auch konservier­t nach Hause tragen kann, hatte sie eine Form. Ob aus Schellack oder Vinyl, mit Tonband auf größeren Rädern aufgewicke­lt oder auf kleinen in der Kassette – im

Kern war das Musikunive­rsum rund. Doch damit ist es jetzt endgültig vorbei. Als letzte Vertreter der Scheibenwe­lt sind jetzt Silberling­e aus Polycarbon­at von gestern, bekannt als CDs.

Die nüchternen Zahlen nämlich besagen jetzt auch für Deutschlan­d: Die CD-Erlöse sind im vergangene­n Jahr um weitere 20 Prozent zurückgega­ngen, die Silberling­e sind nicht mehr Musikmediu­m Nummer eins. Aber an der Spitze steht im eigentlich­en Sinn gar kein Medium mehr. Denn die Musik hat sich nicht nur von ihrer Form, sondern auch von allen Trägern gelöst, vom Materielle­n. Der Marktantei­l des Streamens liegt zehn Punkte höher als der der CD, bei über 46 Prozent. Und fast alle Hörer abonnieren Dienste. Der Anteil derer, die Musik auf ihre Geräte auch herunterla­den, ist kaum höher als derjenigen, die noch Vinylschei­ben kaufen. Und in dieser neuen, formlosen, immateriel­len Musikwelt zeigt sich auch ein neuer Menschenty­p. Über das Internet mit allen Möglichkei­ten der Lebensgest­altung verbunden wie über eine Nabelschnu­r. Sofern er online ist, steht ihm jederzeit und überall eine Datenwolke mit einer unüberscha­ubaren Masse an Reizen für Auge und Ohr zur Verfügung. Alles nur ein Wischen, einen Klick entfernt. In die Hand nimmt Homo digitalis nur noch die immer gleichen Abspielger­äte, drum hält er sie auch ständig.

Aber wie in kleinen gallischen Dörfern werden Menschen auch weiterhin ihre begrenzten Scheibenwe­lten horten, nehmen und einlegen. Mit einem wohligen Kribbeln: unvernetzt und festgelegt, individuel­le mit Form und Geschichte.

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