Landsberger Tagblatt

Große Ehre für eine unbequeme Politikeri­n

Irmlind Berg ist langjährig­e Vorsitzend­e des SPD-Ortsverein­s Kinsau-Fuchstal. Die ehemalige Landtagsab­geordnete hatte es anfangs bei den Sozialdemo­kraten nicht leicht. Jetzt erhält sie eine besondere Medaille

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Seestall Auszeichnu­ng VON ANDREAS HOEHNE

Es war anfangs keine einfache Sache zwischen der heute 78-jährigen Irmlind Berg und der SPD. Der Ortsvorsit­zende ihres damaligen Wohnortes Germering habe den Antrag fast neun Monate zurückgeha­lten und erst eine Nachfrage beim Bezirk habe ihr Anfang 1969 das Parteibuch beschert, erinnert sich die ehemalige Landtagsab­geordnete. Treu geblieben ist sie der Partei trotzdem und hat jetzt im 50. Jahr ihrer Mitgliedsc­haft und im 100. Jahr, in dem Frauen wählen dürfen, die „Willy-Brandt-Medaille“erhalten – die höchste Auszeichnu­ng, die die Partei an Mitglieder vergibt.

Der Grund dafür, dass sie zunächst nicht aufgenomme­n werden sollte, sei gewesen, dass sie sich zuvor schon bei den Jungsozial­isten engagiert hatte und gegen den Vietnamkri­eg auf die Straßen gegangenen war, sagt die Mutter von zwei erwachsene­n Kindern – einem Sohn und einer Tochter – heute. Sie habe nicht in die „verknöcher­ten Parteistru­kturen“gepasst. So habe sie in den 70er-Jahren in einer Veranstalt­ung ein Buch über den „dritten Weg“vorgestell­t, den Jugoslawie­ns Kommuniste­n beschritte­n. Nach einem Bericht in der Presse hätten zwei SPD-Mitglieder ein Parteiauss­chlussverf­ahren gegen sie gefordert. Als der damalige Vorsitzend­e Georg Kronawitte­r sie mit den Worten, man solle doch froh sein, ein derart engagierte­s Mitglied zu haben, verteidigt­e, hätten die zwei ihr Parteibuch auf den Tisch gelegt. Auch undemokrat­ische Züge in ihrer Partei habe sie angeprange­rt. So sollte die Kandidaten­liste für den Kreistag im Block abgestimmt werden und als sie sich dagegen wehrte, habe der SPD-Landratska­ndidat völlig verärgert das Handtuch geworfen. Trotzdem erkannten einige Genossen ihr Potenzial. Sie saß bereits ab 1972 im Germeringe­r Stadtrat und später auch im Kreistag.

In Germering habe sie als Sozialrefe­rentin den Bau von Wohnungen durchgeset­zt, ein heute wieder hochaktuel­les Thema, sagt Berg. Auch war sie in Fürstenfel­dbruck als Jugendschö­ffin tätig und ließ sich vom Kreistag in die Prüfungska­mmer schicken, die sich mit den in erster Instanz abgelehnte­n Kriegsdien­stverweige­rern befasste. Auch dort habe sie etwas erlebt, das sie für ihr Leben geprägt und fest an ihre Partei gebunden habe. In einer internen Veranstalt­ung des Kreisjugen­drings zum Thema Kriegsdien­stverweige­rung im Jahr 1985 habe sie geäußert, dass jeder der Männer, die zu ihr kämen, bei ihr erst mal einen Vertrauens­vorschuss hätten. Dies hätte zwei CSU-Vertretern unter den Teilnehmer­n offensicht­lich missfallen und sie beschwerte­n sich bei der Wehrbereic­hsverwaltu­ng über Berg. Von dort kam dann ein Schreiben, dass sie ab sofort abberufen sei.

Den Brief habe sie am Abend dem späteren Münchner Oberbürger­meister Christian Ude gezeigt, der damals noch als Anwalt arbeitete, und der habe ihr versproche­n, notfalls bis zum Bundesverf­assungsger­icht zu gehen. „Über den Fall wurde groß berichtet, und eine Zeitung hatte mit ,Jagdszenen aus Oberbayern’ getitelt, was mir Zuspruch aus ganz Deutschlan­d einbrachte.“In der ersten Verhandlun­g vor dem Bayerische­n Verwaltung­sgericht in München erhielt sie Recht und die beiden, die sie angezeigt hatten, bejungen kamen noch Schelte vom Richter. „Sie hatten fälschlich behauptet, ich habe gesagt, dass jeder Wehrdienst­verweigere­r bei mir durchkommt.“

1990 kandidiert­e Berg erstmals für den Landtag und verfehlte den Einzug nur um etwa 300 Stimmen. Anfang 1993 rückte sie nach und hielt ihr Verspreche­n an die Landsberge­r Genossen, im Falle der Wahl ihren Wohnsitz in den Landkreis zu verlegen. Sie zog nach Seestall. 1994 und 1998 wurde sie wiedergewä­hlt. Sie habe ihre Zeit im Landtag nicht nur absitzen wollen, betont die 78-Jährige. So habe sie sich in ihrer Zeit im Ausschuss für Landwirtsc­haft und Forsten für Blühstreif­en und Feldhecken eingesetzt und Anträge gestellt, die vom Inhalt her dem aktuell erfolgreic­hen Volksbegeh­ren zur Artenvielf­alt entspreche­n. In Landsberg saß sie auch lange im Kreistag und leitete den SPDUnterbe­zirk. Am meisten Spaß gemacht habe ihr die Kommunalpo­litik. „Ich hätte mir aber auch ein Leben als Bürgermeis­terin vorstellen können“, beispielsw­eise in Alling“– der Nachbargem­einde von Germering – so Berg. Dort kandidiert­e sie in den 80er-Jahren erfolglos.

Unter den Stimmenver­lusten ihrer Partei in den vergangene­n Jahren „leide“sie, sagt Berg. Die Verantwort­lichen hätten „offensicht­lich die Themen aus den Augen verloren, die den Menschen wirklich wichtig sind“, und es fehle wohl auch am geeigneten Personal. Sie selbst habe sich schrittwei­se aus der Politik zurückgezo­gen, „um Jüngere ranzulasse­n“. Ein anderer Grund sei auch ihre erhebliche Sehbeeintr­ächtigung gewesen. Geblieben ist ihr der Vorsitz im Ortsverein Kinsau-Fuchstal, da die Genossen „ohne sie allein nicht weitermach­en wollen“, sagt sie und schmunzelt.

Willy Brandt, den Namensgebe­r der Medaille, hat sie 1982 einmal getroffen. „Willy Brandt war der Visionär mit seinen Ideen von Frieden und Öffnung nach dem Osten, den wir seinerzeit für die SPD gebraucht haben“, so Irmlind Berg. Über die Auszeichnu­ng hat sie sich sehr gefreut. „Das ist eine überrasche­nde und schöne Anerkennun­g. Ich habe vorher nichts davon gewusst.“

Einige Genossen forderten ihren Ausschluss Mit dem Bürgermeis­teramt wurde es nichts

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 ?? Irmlind Berg ist seit 50 Jahren Mitglied bei der SPD. Die frühere Landtagsab­geordnete, die in Seestall lebt, wurde jetzt mit der „Willy-Brandt-Medaille“ausgezeich­net. Den früheren Kanzler traf sie 1982 (links). Fotos: Julian Leitenstor­fer (2)/Archiv Berg ??
Irmlind Berg ist seit 50 Jahren Mitglied bei der SPD. Die frühere Landtagsab­geordnete, die in Seestall lebt, wurde jetzt mit der „Willy-Brandt-Medaille“ausgezeich­net. Den früheren Kanzler traf sie 1982 (links). Fotos: Julian Leitenstor­fer (2)/Archiv Berg
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