Landsberger Tagblatt

Von Bärten und Barbieren

Reportage Die Mode der Hipsterbär­te führt zu einer Renaissanc­e des alten Handwerks. Das LT begleitet Marc Thieme bei der Arbeit in seiner „Beard Area“und stellt einige Männer mit markanter Gesichtsbe­haarung vor

- VON SILKE FELTES

Landsberg. Die Hipster haben es vorgemacht. Mann trägt seit einigen Jahren wieder Bart. Am liebsten die gepflegte, stylish getrimmte Vollversio­n. Mal länger als Rauschebar­t, mal als Zehn-Tage-Variante, mal schmaler, mal klassische­r, es gibt viele Formen mit lustigen Namen: Schifferkr­ause, Chin Strap, VanDyke-Bart, Moustache-Bart, Musketier-Bart. Wem was am besten steht, hängt von Gesichtsfo­rm, Bartwuchs und Typ ab. Und da kennt sich Marc Thieme von der Beard Area im NB-Salon in der Iglinger Straße in Landsberg bestens aus. Der Hipster-Bart ist ein Vollbart – natürlich in Kombinatio­n mit einer schicken Frisur. Natürlich zeichnet sich ein Hipster besonders durch seinen Lebensstil und seine Einstellun­g aus.

Es riecht nach Zitrusfrüc­hten. Auf einem rot gepolstert­en, auf alt getrimmten Friseurstu­hl liegt Christian Gebhardt. Nur seine Nasenspitz­e lugt aus einem mit dampfendem Frottee umhüllten Gesicht. Ein Besuch beim Barber (wie der klassische Herrenfris­eur sich heutzutage nennt) ist ein kleines Wellness-Erlebnis. Inklusive Beratung und allem Drum und Dran kann das schon mal bis zu einer Stunde dauern. „Einige meiner Kunden können dabei so entspannen, dass sie einschlafe­n“, sagt Marc Thieme, 42, trainierte­r Oberkörper, coole Klamotten und natürlich ein vorbildlic­her Bart.Seit drei Jahren ist der Hinterraum des Friseur-Salons seiner Partnerin Nicole Blümke (NB-Salon) sein Refugium. Ein richtiger Männerlade­n. Es gibt Gin, Rum, Whiskey. Klassische Coke und Craftbeer. Kakteen anstatt Blumen. Porträts von Elvis und Johnny Cash an den Wänden (und als Tattoos auf Thiemes Beinen), alte Rasierklin­gen an den Wänden und das Shampoo kommt aus einer umfunktion­ierten Jack-Daniels-Flasche.

Christian Gebhardt, 32, ist Stammkunde. Die Beratung fällt denkbar kurz aus, er weiß, was er will, man kennt sich. Zunächst hat Thieme mit einem elektrisch­en Rasierer den Bart ein wenig zurechtges­tutzt und mit Pre-Shave vorbehande­lt. Die nach Zitrone duftende heiße Kompresse soll die Aufnahme der Pflegeprod­ukte verbessern, erläutert Thieme. Dann wird schamponie­rt (natürlich mit einem speziellen Bartshampo­o). Danach Conditione­r, Bart ausstreife­n, Rasierscha­um drauf. Die Konturen und Feinheiten erarbeitet Thieme mit einem dünnen, klassische­n Klappmesse­r mit auswechsel­barer Klinge aus japanische­r Meistersch­miede. Die zweite heiße Kompresse folgt, im Sommer kann es auch eine kühlende sein. Dann Aftershave-Creme oder Eau de Cologne. Nach dem Föhnen wird hier und da noch nachgearbe­itet. Dann kommt der Puder, mit einer großen Quaste aufgetrage­n, damit im Gesicht nichts glänzt und abschließe­nd in die Bartspitze­n der Bart- balm oder für die Moustaches die „Wichse“. Alles wählbar mit verschiede­nen Duftsorten, holzig, fruchtig, ganz nach Geschmack.

Überhaupt ist die Pflege eines Bartes das A und O. Bloß kein Wildwuchs, das war in den 70ern. Längere Bärte werden mehrmals am Tag in Form gekämmt, dazu hat der Mann von Welt immer einen kleinen Bartkamm in der Hosentasch­e. Morgens und abends, manchmal auch zwischendu­rch ein wenig gut duftendes Bartöl. Der VollbartTr­äger hat sich in den Nuller-Jahren als Gegenbeweg­ung zum metrosexue­llen Männertyp entwickelt. Während Letzterer seine femininen Seiten betont (allerdings ohne jeglichen homosexuel­len Anstrich), konservier­t der Hipster wieder das klassisch amerikanis­che Männerbild inklusive Holzfäller­hemd, Tattoos und Nerdbrille. Allerdings ist es zunächst eine rein urbane Bewegung, ausgehend vom trendigen Stadtteil Williamsbu­rg in New York. Wie die meisten Trends kommt der Trend ein paar Jahre später auch in der bayerische­n Provinz an und seit einigen Jahren sprießen – laut deutscher Handwerksz­eitung – die Barber-Läden nur so aus dem Boden. Während Barbiere im frühen Mittelalte­r auch Zahnextrak­tionen und Aderlässe durchführt­en, starb der Beruf mit Aufkommen der Rasierhobe­l gegen Ende des 19. Jahrhunder­ts und später wegen der elektrisch­en Rasierer aus. Männer konnten sich nun selbst rasieren. Mit ihren anspruchsv­ollen Bärten haben eine alte Branche wieder aufleben lassen.

Allerdings haben nur die wenigsten Friseure in ihrer Ausbildung auch das Bart-Trimmen und -Gestalten erlernt. Nicole Blümke ist so eine. Sie kann das seit Lehrlingst­agen. Vor dreieinhal­b Jahren, so erinnert sich Marc Thieme, hätten sie beide auf ihrem Balkon gesessen und die Idee mit dem Barbershop im Hinterraum des eigentlich­en Ladens entwickelt. Thieme, 1976 in Augsburg geboren und in der Gegend aufgewachs­en, ist eigentlich Berufssold­at. Als Flugzeugge­rätebauer und Stabsfeldw­ebel ist er – nach Stationen in Neuburg, Sardinien und Penzing – in Lagerlechf­eld stationier­t. Einen Bart trägt Marc Thieme schon lange. Doch Nicole Blümke sah in ihrem Freund nicht nur ein ausgezeich­netes Role Model, sondern auch einen handwerkli­ch begabten Stylisten. Die ersten Ausbildung­sschritte leitete sie selbst. Luftballon aufblasen, Rasierscha­um drauf und lässig mit dem Messer in der Hand üben. Es folgten BarberFort­bildungen und nach Thiemes Dienstschl­uss der Ausbau des Ladens im 50/60er-Jahre-Stil. Fast alles hat er selbst gemacht. Vor drei Jahren war es dann soweit. Seitdem arbeitet Thieme vier Tage die Woche nach Dienstende als Barber und hat sich einen festen Kundenstam­m aufgebaut. „Ich mache kaum Werbung, es läuft alles über Empfehlung­en, und mittlerwei­le geht es bei uns fast familiär zu.“

Auch einige bekannte Gesichter aus der Einzelhänd­lerszene sind ohne Bart nicht denkbar. Da ist Optikermei­ster Stefan Müller (50), Inhaber von Optikuss in der Salzgasse. Das stylishe Interieur seines Ladens scheint auf seine Erscheinun­g abgestimmt. Müller und sein Mitarbeite­r Florian Steber (32), ebenfalls Optikermei­ster, zelebriere­n den gepflegten Bart.. Während Stefan Müller für die Bartpflege den Naturfrise­urladen von Pia und Lisa Lichtenste­rn am Englischen Garten bevorzugt, geht Flo Steber am liebsten in den Lifestyle-Salon am Ende des Hinteren Angers. Uwe Kabrhel (43) arbeitet im SIP-Scootersho­p im Lager. Auch privat ist er den Vespa- und Lambretta-Rollern aufs Engste verbunden und hat auf Instagram unter dem Namen Uweka eine Fangemeind­e. Wenn er nicht selbst an seinem Bart herumschni­bbelt, schwört er auf den Barbier Sven Blood, der ehemals im Landsberge­r Hairlich arbeitete und heute einen eigenen Barbershop in Kaufbeuren führt.

Hörakustik­meister und Ohrwerk-Filialleit­er Andreas Steber (35) kann sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal wirklich glatt rasiert war. Die richtige Vollbartve­rsion allerdings trägt er erst seit Fasching vergangene­n Jahres, als er mit seinen Freunden als Wikinger verkleidet ging. Auch er vermisst Sven Blood, hat jetzt aber Eko von Eko’s Barbershop im Industrieg­ebiet in der Graf-Zeppelin-Straße entdeckt. Der Krankenpfl­eger Andreas Schollenbe­rger (48) trägt seit zwei Jahren seine Bartpracht, weil er „mal wieder anders aussehen“wollte. Obwohl der Bart den meisten in seinem Umfeld nicht gefalle, so sagt er, möge seine Frau ihn umso mehr, und das sei ja die Hauptsache. Einmal pro Monat verbindet er das Haareschne­iden mit der Bartgestal­tung bei Nicole Blümke.

Eine alte Branche lebt wieder auf

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Foto: Thorsten Jordan Der Barbershop im New Beauty Friseur in der Iglinger Straße: Marc Thieme hat sich der Pflege des Bartes verschrieb­en. Seinen Kunden Christian Gebhardt kennt er noch von der Bundeswehr.
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Optikermei­ster Stefan Müller (rechts) und sein Mitarbeite­r Florian Steber zelebriere­n den gepflegten Bart.
 ??  ?? Auch ein Bart muss geföhnt werden, nicht nur die Frisur.
Auch ein Bart muss geföhnt werden, nicht nur die Frisur.
 ??  ?? Eine heiße Kompresse muss sein bei der Bartpflege.
Eine heiße Kompresse muss sein bei der Bartpflege.
 ??  ?? Uwe Kabrhel arbeitet bei SIP Scootersho­p und hält an seinem Bart fest.
Uwe Kabrhel arbeitet bei SIP Scootersho­p und hält an seinem Bart fest.
 ??  ?? Andreas Schollenbe­rger ist überzeugte­r Bartträger.
Andreas Schollenbe­rger ist überzeugte­r Bartträger.
 ??  ?? Andreas Steber, steht auf Bart. Hörgerätea­kustiker,
Andreas Steber, steht auf Bart. Hörgerätea­kustiker,
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Was man alles braucht für einen schönen Bart.
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