Landsberger Tagblatt

Die Frage der Woche Online Bewertunge­n abgeben?

- PRO WOLFGANG SCHÜTZ CONTRA LEA THIES

Wer auf diese Frage eindeutig mit Nein antwortet, muss sich zweierlei Fragen stellen. Erstens: Klar, da gibt es nachweisli­ch diese Flut an gekauften und automatisi­ert erstellten Bewertunge­n im Netz – aber richten Sie sich selbst überhaupt nicht nach Stimmen und Sternchen? Mit Anschlussf­rage: Falls halt dann doch irgendwie ein bisschen – wären

Sie da nicht besonders froh um möglichst viele Leute, die mit aufrichtig­en Urteilen und ihrem Einsatz für ein erkennbare­s Gegengewic­ht zum Betrug sorgen?

Und zweitens, weiterführ­end: Klar, da gibt es die Datenschut­zund Manipulati­onsproblem­e – aber haben Sie das Internet als basisdemok­ratischen Freiheitsr­aum wirklich schon komplett abgeschrie­ben, als Ort, in dem auch der Konsument seine Macht gegenüber Konzernen entfalten kann? Mit Anschlussf­rage: Sind Sie sich im Klaren darüber, was das für Ihr tägliches Verhalten im Umgang mit dem Internet eigentlich bedeuten müsste? Es bliebe nur noch, sich zwischen zwei Extremen zu entscheide­n. Entweder: Raus aus den Netzen, weg mit dem Smartphone, zurück in die analoge Welt. Oder: Nach Gusto alle möglichen Freuden aus dem Netz ziehen und die Schattense­iten halt als unvermeidl­ich in Kauf nehmen.

Weil aber wohl die meisten irgendwo in den Grauschatt­ierungen dazwischen herumruder­n, sind Bürger, Verbrauche­r und Menschen gerade im Digitalen aufeinande­r angewiesen. Freiräume behaupten, die Macht des Verbrauche­rs in Kraft setzen…: Das sind wie die Demokratie alles fortwähren­de Prozesse, die von irgendjema­ndem betrieben werden müssen oder einfach nicht stattfinde­n. Und ja, das kann schon durch die Vergabe von Sternchen beginnen, mit Kommentare­n weitergehe­n und muss bei Petitionen noch lange nicht enden.

Gerade aus dem Hotel ausgecheck­t, den Zimmerschl­üssel fast noch in der Hand, schon ploppt auf dem Handy eine Mail auf: „Bitte bewerten Sie unser Hotel.“Oder spätestens nach einem „Auf Wiedersehe­n“an der Rezeption bekommen Sie noch ein „Bitte geben Sie eine Bewertung ab“mit auf den Heimweg. Puh! Schon wieder Lebenszeit investiere­n, indem ich beim großen Internetbe­wertungszi­rkus mitmache? Nicht mit mir!

Bewertunge­n, Likes, Sternchen vor großem Publikum – das sind die neuen Währungen im Internetze­italter. Die Folge: Dauernd will irgendjema­nd etwas von einem im Internet. Freilich: Der Kunde hat nun eine neue Macht bekommen, digitale Bewertunge­n können analoge Gewinne und Verluste bewirken. Man könnte auch meinen, dass dieses System Transparen­z fördert. Aber in Zeiten von Bots und gekauften Informatik­erkompanie­n, die Informatio­nen streuen, Meinung machen und beeinfluss­en können, ist doch überhaupt nicht mehr klar, ob hinter den Bewertunge­n echte Menschen und Kunden stehen oder bloß gekaufte. Ob also die Empfehlung authentisc­h ist oder nicht. Viel kann man also nicht drauf geben. Würden real existieren­de Online-Bewerter überhaupt das, was sie da unter Nickname schreiben, dem Rezeptions­personal auch ins Gesicht sagen? Bei manchen Beiträgen wage ich das stark zu bezweifeln. Einige Bewertunge­n lesen sich wie ein genüsslich­es Nachtreten aus der Anonymität heraus und vor großem Publikum. Da wird sich dann etwa in der Hotelbewer­tung sogar über bretonisch­es Wetter beklagt. Puh!

Und wer profitiert am meisten vom Bewertungs­einsatz? Die großen Portale. Die freuen sich über Millionen Hilfsarbei­ter und dazugehöri­ge Daten. Und alles for free. Daher: Mein Urlaub gehört mir!

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