Landsberger Tagblatt

Fällt der Brexit jetzt ganz aus?

EU-Austritt Die Briten sind frustriert, die Europäer verlieren die Geduld und setzen ein Ultimatum. Es ist die letzte Chance für Premiermin­isterin Theresa May, das Chaos abzuwenden

- VON KATRIN PRIBYL

London Der Plan schien so einfach. Die Briten stimmen darüber ab, ob sie in der Europäisch­en Union bleiben wollen – und falls nicht, tritt das Königreich eben aus. Bald drei Jahre und viele Gipfel später ist der Brexit alles, nur nicht einfach. Die europäisch­en Partner haben genug vom Zeitspiel der Regierung in London und nehmen die Sache selbst in die Hand. Nichts ist mehr sicher – nicht einmal, dass der Brexit überhaupt stattfinde­t.

Zwar haben sich London und Brüssel darauf geeinigt, die Scheidungs­frist zu verlängern, um einen ungeordnet­en Austritt ohne Deal und Übergangsp­hase am geplanten Austrittsd­atum 29. März zu vermeiden. Doch die eigentlich­e Herausford­erung steht Premiermin­isterin Theresa May noch bevor. Am Dienstag oder Mittwoch will sie den Abgeordnet­en abermals das mit Brüssel ausgehande­lte Abkommen vorlegen. Zwei Mal schon ist sie epochal damit gescheiter­t – und auch jetzt sind die Chancen eher gering. Insbesonde­re nachdem May Mittwoch eine unversöhnl­iche Rede gehalten hat, in der sie ausgerechn­et jene für das Chaos verantwort­lich machte, die sie nun dringend braucht: die Abgeordnet­en. Damit verprellte sie auch die letzten wohlgesonn­enen Kollegen. Das dürfte sich rächen.

Wenn der Deal abermals durchfällt, wie Beobachter fast einstimmig prophezeie­n, ist wohl auch das politische Schicksal von May besiegelt. Die Folge wäre ein hässlicher Kampf um die Nachfolge der konservati­ven Premiermin­isterin. Ginge May nicht aus freien Stücken, könnte sie durch ein Misstrauen­svotum fallen. Dann blieben 14 Tage, um eine neue Regierung zu stellen. Wahrschein­licher aber wären Neuwahlen. Ob damit die verfahrene Situation im Parlament gelöst würde, ist allerdings mehr als fraglich. Zu zerstritte­n präsentier­en sich sowohl Konservati­ve als auch die sozialdemo­kratische Labour-Partei in der entscheide­nden Frage: Wie soll das denn nun laufen mit dem Brexit?

Sollte es tatsächlic­h zum politische­n Kollaps in London kommen, müsste wohl David Lidington, Mays inoffiziel­ler Stellvertr­eter, in Brüsam sel versuchen, ein Ausscheide­n ohne Deal abzuwenden. Dort könnte er angesichts der neuen Umstände um einen längeren Aufschub des Brexits bitten. Die Briten müssten dann aber auch an der Europawahl teilnehmen.

Die Brexit-Gegner im Königreich fordern lautstark eine erneute Volksabsti­mmung oder dass die Scheidung ganz abgeblasen wird. Eine Online-Petition für den Verbleib in der EU hat innerhalb von zwei Tagen mehr als drei Millionen Unterschri­ften gesammelt. Zwar haben solche Petitionen kaum mehr als Signalwirk­ung. Aber der Erfolg der Aktion sende eine starke Botschaft an die Politik, dass die Menschen gehört werden wollen, sagt die Abgeordnet­e Heidi Allen.

Was bleibt, ist Frustratio­n im Königreich – auf allen Seiten. Und auch wenn die Nation gespalten ist, sind sich die Briten laut einer Umfrage zumindest in einem Punkt einig: 90 Prozent der Befragten empfinden es als „nationale Demütigung“, wie das Land den Brexit handhabt.

Warum May wohl nur der Rücktritt bleibt, steht im Kommentar.

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