Landsberger Tagblatt

„Mit Profis meine ich nicht Politiker“

Interview FDP-Chef Christian Lindner verteidigt seine Aussage, die streikende­n Schüler sollten den Klimaschut­z den Profis überlassen, und kann sich ein Treffen mit Greta Thunberg vorstellen. Und er erklärt, warum er Jamaika nicht nachtrauer­t

- Interview: Stefan Lange und Bernhard Junginger

Herr Lindner, wie tief sitzt nach einem Jahr Großer Koalition der Stachel der vergebenen Chance, in einer JamaikaKoa­lition selbst mitzuregie­ren? Lindner: Für uns ist das Geschichte. Viele Interviews kreisen darum, obwohl wir nach vorne schauen. Wir fühlen uns durch das, was danach passiert ist, in unserer harten und schwierige­n Entscheidu­ng bestärkt. Seither war eine inhaltlich­e und personelle Neuaufstel­lung zu beobachten. Damals scheiterte zum Beispiel die von uns geforderte Abschaffun­g des Solis an der CDU. Jetzt gibt es neue Worte, wenngleich keine Taten. Um eine Wirtschaft­sflaute zu verhindern, müsste das zusammen mit Investitio­nen aber bald kommen. Die Grünen wiederum sind leider nach links gerückt.

Nach aktuellen Umfragen scheint auch die Konstellat­ion Schwarz-Grün möglich. Dann wäre die FDP weiter in der Opposition, das kann Sie doch kaum ruhig schlafen lassen?

Lindner: Wir warten einfach ab. Wir werben nicht für Koalitione­n, sondern für unsere Überzeugun­gen. Ein Wahlkampf mit einer schwarzgrü­nen Spekulatio­n wäre spannend. Da würden die sehr konservati­ve Gesellscha­ftspolitik von Frau Kramp-Karrenbaue­r und ihr Wunsch nach dem Bau eines europäisch­en Flugzeugtr­ägers auf grüne Steuererhö­hungsfanta­sien prallen. Und auf die grüne Weigerung, die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsl­ändern zu erklären. In einem solchen Wahlkampf würde die Rolle der FDP besonders deutlich werden, die für Marktwirts­chaft und Weltoffenh­eit, aber auch für klare Regeln steht.

Setzt die Große Koalition die richtigen Schwerpunk­te?

Lindner: Sehen Sie nur den Haushalt, der mit Müh und Not mit einer tiefroten Null zusammenge­zimmert wurde. Ausgerechn­et bei der Bildung soll gekürzt werden und es sind keine zusätzlich­en Mittel für Grundlagen­forschung in Sachen künstliche­r Intelligen­z vorgesehen. Die FDP will dagegen eine Investitio­nsoffensiv­e für Bildung und Digitalisi­erung.

Die Konjunktur schwächelt aber. Wo würden sie den Rotstift ansetzen, wenn gespart werden muss?

Lindner: Etwa bei überflüssi­gen Subvention­en wie dem Baukinderg­eld. Auch wir wollen zielgerich­tet Altersarmu­t bekämpfen. Deshalb sollen künftig der eigene Rentenansp­ruch und die eigene Vorsorge nicht auf die sogenannte Grundsiche­rung angerechne­t werden. Aber mit der Gießkanne zu verteilen, wie es die Große Koalition plant, ohne die Bedürftig- zu berücksich­tigen, das ist mit uns nicht zu machen. Schon die Rente mit 63 halte ich für töricht. Die am besten qualifizie­rten Facharbeit­er mit den höchsten Renten in Zeiten des Fachkräfte­mangels zulasten der Jungen mit einer Stilllegun­gsprämie zu versehen, ist verrückt.

Kann bei der Europawahl EVP-Spitzenkan­didat Manfred Weber mit der Unterstütz­ung der Liberalen rechnen? Lindner: Die Bürgerinne­n und Bürger entscheide­n, wie das Europäisch­e Parlament aussieht und wie dann die europäisch­en Spitzen aussehen. Wir gehen in diese Wahl als eine liberale Parteienfa­milie, die gut ein Drittel der Regierungs­chefs in Europa stellt. Wir sind ein Machtfakto­r. Wir wollen die seit Jahr und Tag in Europa bestehende informelle Große Koalition brechen, weil der Status quo für Europa schädlich ist. Wir wollen endlich Fortschrit­te etwa beim digitalen Binnenmark­t, der Asylpoliti­k oder beim Handel. lehnen wir eine Vergemeins­chaftung von Risiken und Finanzen ab. Eine gemeinsame Arbeitslos­enversiche­rung übrigens auch.

Nur im letzten Punkt unterschei­den Sie sich von Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron …

Lindner: Das stimmt, aber in vielen anderen wesentlich­en Forderunge­n stimmen wir überein. Deshalb hat die Partei von Herrn Macron die Nähe zu den Liberalen gesucht. Wir stehen uns näher als Manfred Weber und Viktor Orbán.

Der Frage nach einer Unterstütz­ung von Weber sind Sie jetzt ausgewiche­n. Sie wollen sich noch nicht festlegen? Lindner: Nein. Denn es geht nicht um die Person. Ich habe mit Herrn Weber kein Problem, im Gegenteil, er ist ein respektier­ter und angesehene­r Politiker. Aber es geht um inhaltlich­e Fragen und nicht um Postengesc­hacher. Was ich Ihnen allerkeit dings sagen kann: Die Kommission­spräsident­schaft ist für den EVPSpitzen­kandidaten kein Erbhof. Wir werden jedenfalls nicht die Herren Berlusconi und Orbán mittelbar unterstütz­en, wenn die EVP da keinen klaren Schnitt macht.

Zurück nach Deutschlan­d. Greta Thunberg ist kommende Woche in Berlin. Werden Sie sie treffen?

Lindner: Ob ein Dialog gewünscht ist, weiß ich nicht. Überrasche­nd fand ich, dass Greta Thunberg sich offen für Kernenergi­e geäußert hat. Das müssten dann vor allem die Grünen mit ihr besprechen.

Was würden Sie ihr sagen?

Lindner: Kernkraft ist in Deutschlan­d eine Schlacht der Vergangenh­eit. Ich lehne ab, dass den Menschen mit dem Klimawande­l Angst gemacht wird. Das Ozonloch haben wir durch kluges Handeln bekämpft. Dieser Mut sollte Vorbild sein. Ansonsten bin ich Anhänger der SchulGleic­hzeitig pflicht. Demonstrat­ionen sollten in der Freizeit stattfinde­n. Auch für Erwachsene ist ja der politische Streik am Arbeitspla­tz untersagt.

Haben Sie nie geschwänzt?

Lindner: Ich war kein großer Schulschwä­nzer, nein. Und heute beteilige ich mich als Mitglied eines Parlaments erst recht nicht daran, Schulschwä­nzen heiligzusp­rechen. Für den Klimaschut­z kann man sich auch in der Freizeit einsetzen.

Sie sind ja der Meinung, da sollten die Profis ran?

Lindner: Ja. Damit meine ich die Ingenieure und Techniker, die konkret CO2 einsparen können. Wir Politiker, aber auch Journalist­en und Schüler können sich für Einsparzie­le einsetzen. Den technische­n Weg müssen wir aber anderen überlassen. Die politische Einmischun­g hat zu teurer Planwirtsc­haft ohne Klimaeffek­t geführt. Grüne wollen Flugreisen verbieten, wir wollen Wissenscha­ftler das Flugzeug mit Wasserstof­fantrieb entwickeln lassen. Die Grünen machen Klimapolit­ik mit dem erhobenen Zeigefinge­r, wir mit Technik.

Aber mit der Äußerung über Profis haben Sie es sich mit der jungen Generation, die sie als Partei gezielt ansprechen, ganz schön verscherzt? Lindner: Nein, bei den Protesten gegen Uploadfilt­er im Internet sind wir deren erste Adresse. Ich nehme junge Menschen ernst. Deshalb rede ich ihnen nicht nach dem Mund. Zu den Freitagsde­monstratio­nen gehen die Politiker, die aber den Rest der Woche nichts für den Klimaschut­z tun. Ich sage ganz offen, dass ich gegen Schwänzen bin und dass wir beim Klimaschut­z eine andere Politik brauchen, mit der wir Technologi­e-Experten offen und konkret arbeiten lassen.

Aber bei Uploadfilt­ern wissen doch auch viele nicht, worum es geht. Müsste man das nicht auch den Profis überlassen?

Lindner: Wie gesagt, mit Profis meine ich nicht Politiker. Und bei den Uploadfilt­ern ist es sogar ähnlich. Da müssen nicht Politiker, sondern Vertragspa­rtner, Experten und Praktiker andere Wege finden, Urheberrec­hte zu schützen als mit massenhaft­er Zensur. Genauso sollten wir Laien nicht darüber entscheide­n, ob E-Auto, Wasserstof­f-Brennstoff­zelle oder synthetisc­her Kraftstoff besser ist. Gegen diese Form von Planwirtsc­haft wende ich mich. Da kann es noch so viel Häme geben, da lasse ich mich von meinen Überzeugun­gen nicht ablenken.

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Foto: Gärtner, Photothek; Imago FDP-Chef Christian Lindner sieht seine Partei bei der Europawahl näher bei Emmanuel Macron als bei dem CSU-Mann Manfred Weber: „Die Kommission­spräsident­schaft ist für den EVP-Spitzenkan­didaten kein Erbhof.“

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