Landsberger Tagblatt

Angst vor Eingriffen ins freie Internet

EU-Pläne Was das neue Urheberrec­ht für das Netz wirklich bedeutet und warum jetzt vor allem die großen Betreiber von Plattforme­n gefordert sind. Es geht sogar auch ohne Filter

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Viele tausend Bundesbürg­er gehen an diesem Samstag auf die Straße. Sie wollen das neue Urheberrec­ht der EU und vor allem die umstritten­en Uploadfilt­er verhindern. Am Dienstag will das EU-Parlament darüber entscheide­n. Der Streit ist eskaliert. Um was geht es eigentlich? Verändern die geplanten Eingriffe das freie Internet wirklich? Hier der aktuelle Stand.

Warum braucht die EU ein neues Urheberrec­ht?

Die geltenden Rechtsvors­chriften stammen von 2001. Da gab es das Geschäftsm­odell von Google und anderen noch nicht. Da diese Konzerne urheberrec­htlich geschützte Werke nutzen, um ein attraktive­s Umfeld für Werbung und andere Inhalte zu schaffen, muss der in der analogen Welt übliche Schutz für Musik, Filme, Texte in das digitale Netz übertragen werden.

Was verändert sich für den Nutzer?

Der entscheide­nde Sprung besteht darin, dass die Verantwort­ung für Inhalte verlagert wird – vom Nutzer, der sie hochlädt, auf die Plattform, die sie verbreitet. Die Befürworte­r sagen, dass damit jenen Abmahnanwä­lten das Handwerk gelegt wird, die bisher User mit Klagen überzogen haben. Und es gibt noch einen wichtigen Punkt: Die Urheberrec­htsrichtli­nie schafft kein neues Recht. Sie gewährleis­tet nur, dass die bestehende­n Vorschrift­en für geschützte Werke auf das Netz übertragen werden. Das Regelwerk führt keine neuen Auflagen für OnlinePlat­tformen ein. Es will nur sicherstel­len, dass bestehende Verpflicht­ungen besser eingehalte­n werden.

Der Artikel 13 zwingt die OnlinePlat­tformen zum Einsatz von Uploadfilt­ern. Ist das kein Eingriff in das freie Internet?

Eine Bemerkung vorneweg: Der Artikel 13 ist in der Endfassung zum Artikel 17 geworden… Tatsächlic­h kommt das Wort Uploadfilt­er im Gesetzeste­xt nicht vor. Aber das ist Wortklaube­rei, weil Unternehme­n wie Youtube, wo pro Minute 400 Videos hochgelade­n werden, eine automatisc­he Lösung brauchen. Die Filter arbeiten lückenhaft. Das heißt: Sie stoppen auch immer wieder mal den Upload legaler Inhalte. Die Kritik müsste aber an die Unternehme­n oder die Entwickler von Filtern gehen, nicht an die Politik. Denn der Grundsatz, dass ein Konzern für die gewinnbrin­gende Verwertung geschützte­r Inhalte bezahlen muss, ist ja unbestritt­en.

Die Filter arbeiten ungenau, vor allem, wenn es um Parodien, Persiflage­n oder zitierte Werke geht. Die sind legal, verschwind­en aber aus dem Netz.

Nein. Die EU-Richtlinie enthält eine ausdrückli­che Aufforderu­ng, das kostenlose und ungehinder­te Hochladen und Teilen von Werken zum Zitieren, zur Äußerung von Kritik, für Rezensione­n, für Karikature­n, Parodien oder Persiflage­n zu schützen. Das betrifft auch Memes (Collagen von Texten, Bildern oder Videos) und animierte Bilder im GIF-Format.

Es ist doch für die Konzerne gar nicht möglich, für jedes weltweit hochgelade­ne Werk die Rechte zu klären und Lizenzen einzuholen?

Dieses Argument einiger PlattformB­etreiber ist eigentlich nicht nachvollzi­ehbar. Es gibt in allen EUStaaten und darüber hinaus Rechteverw­ertungsges­ellschafte­n, mit devorhande­nen nen man Vereinbaru­ngen treffen kann, sodass die Künstler an den Umsätzen beteiligt werden. Ein derartiges Abkommen reicht aus, um den Anforderun­gen des digitalen Urheberrec­htes Genüge zu tun. Die EU-Vorschrift­en verlangen außerdem den Nachweis, dass sich der Betreiber bemüht hat, den Urheber ausfindig zu machen und an den Einnahmen zu beteiligen. Experten, die das neue Recht befürworte­n, verweisen gerne auf Musik-Streamingd­ienste wie Spotify, denen es ja auch gelingt, für die angebotene­n Musikstück­e aus aller Welt die notwendige­n Lizenzen zu erwerben.

Sind alle Online-Plattforme­n betroffen?

Nein. Anbieter, die weniger als drei Jahre auf dem Markt sind (zum Beispiel Start-ups), die einen Jahresumsa­tz von weniger als zehn Millionen Euro machen und weniger als fünf Millionen Einzelbesu­cher im Monat haben, müssen weitaus geringere Vorschrift­en einhalten. Hinzu kommen zahlreiche Ausnahmen für lexikalisc­he Plattforme­n (Wikipedia) oder wissenscha­ftliche Foren.

Union und Sozialdemo­kraten haben sich in ihrem Koalitions­vertrag gegen Uploadfilt­er ausgesproc­hen. Muss die Regierung jetzt ihre eigenen Verspreche­n brechen?

Nein, denn die Vorgaben der EU lassen den Mitgliedst­aaten Raum für eigene Regelungen. Mit anderen Worten: Die deutsche Regierung könnte Uploadfilt­er verbieten und einen anderen Weg gehen – zum Beispiel eine Abgabe für Rechteinha­ber, wie sie bisher schon bei Druckern und Speicherme­dien fällig wird. Tatsächlic­h gehört dieser Punkt zu den Schwächen der Vorschrift­en, weil es eben keine europäisch­e Vollharmon­isierung gibt.

Wie wird das Europäisch­e Parlament am Dienstag entscheide­n?

Unter dem Eindruck des Widerstand­s in der Bevölkerun­g gibt es Überlegung­en, das Urheberrec­ht zwar zu billigen, aber den bisherigen Artikel 13 noch rauszunehm­en. Dann müsste später nachgearbe­itet werden, zumal es einige interessan­te Alternativ­vorschläge (übrigens auch aus dem Bundestag) gibt.

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Foto: Stefan Boness, imago Auch vor drei Wochen gingen in Berlin Menschen auf die Straße, um gegen das geplante neue EU-Urheberrec­ht zu protestier­en.

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