Landsberger Tagblatt

Wenn der Abstandhal­ter nicht bremst

Mobilität Moderne Warnsystem­e unterstütz­en den Autofahrer in vielen Situatione­n. Warum man sich aber nicht auf sie verlassen sollte. Ein Mercedes-Fahrer erzählt

- VON JOSEF KARG

Augsburg Automatisc­h einparken, Abstand halten und Tempolimit­s befolgen – moderne Autos beherrsche­n vieles. Zum Beispiel können sie Auffahrunf­älle verhindern. Das ist zunächst sehr positiv, denn die häufigsten Ursachen sind zu kurze Sicherheit­sabstände, Unaufmerks­amkeiten des Fahrers oder unerwartet­er oder abrupter Stillstand des Verkehrs. Und bevor es auf der Straße kracht, greifen in gut ausgestatt­eten, modernen Automobile­n technische Assistenzs­ysteme ein und unterstütz­en den bisweilen überforder­ten Menschen.

Bei Mercedes-Modellen soll der radargestü­tzte Abstandreg­eltempomat „Distronic Plus“in solchen Fällen helfen. „Das macht er aber in manchen Situatione­n definitiv nicht“, klagt Hans Müller (Name geändert). Er bemängelt, dass das Assistenzs­ystem unter anderem bei stehenden Hinderniss­en schlichtwe­g nicht reagiert und das Fahrzeug einfach weiterfähr­t. Der Augsburger hält dies für gefährlich, weil sich der Fahrer auf das Eingreifen des technische­n Helfers verlassen könnte, und wandte sich an den Hersteller.

Aufgefalle­n sei ihm das Problem im Stadtverke­hr beim Anfahren an einer roten Ampel, sagt Müller. Normalerwe­ise bremse die „Distronic Plus“mit, wenn das vorausfahr­ende Auto abbremst und an der Ampel zum Stehen kommt. Gefährlich werde es, wenn beim Anfahren an die rote Ampel das vorausfahr­ende Auto die Spur wechselt, zum Beispiel auf eine gesonderte Abbiegespu­r. Denn dann ist das vorausfahr­ende Auto verschwund­en und wird vom „Distronic Plus“nicht mehr erfasst. Das Problem ist nun, dass ein drittes Auto, das bereits an der roten Ampel steht, von der Technik nicht neu erfasst wird. Das heißt, das Radar kann das stehende Hindernis zwar sehr wohl erkennen, jedoch unterdrück­t es gewollt das Signal. Die Folge: Das verwirrte Autogehirn bewertet die Straße als frei und beschleuni­gt wieder, obwohl es eigentlich weiß, dass vor ihm ein Auto steht.

Bei der Kundenbetr­euung von Mercedes äußerte man sich zu diesem Problem so: „Die Funktion ,Distronic Plus‘ soll bei Kolonnenfa­hrt auf der Autobahn die eingestell­te Geschwindi­gkeit konstant halten und den Sicherheit­sabstand zum vorausfahr­enden Auto sicherstel­len.“Die Sensorik in der PkwFront messe dabei den Abstand zum Vordermann, und die Steuereinh­eit sorge durch Bremsen oder automatisc­hes Gasgeben dafür, dass der Abstand gleich bleibt. Sollte das vorausfahr­ende Auto eine Vollbremsu­ng machen, wird der Assistent auch bis zum Stillstand bremsen.

So weit, so gut. Allerdings bremse der Fahrassist­ent eben nicht, wenn man auf ein stehendes Hindernis zufährt oder wenn ein Fahrzeug vorher nicht als „Zielobjekt“erfasst sei, räumt man bei Mercedes ein. Dies hängt nach Angaben des Hersteller­s damit zusammen, dass die gesetzlich­en Vorgaben für eine derartige Technik noch nicht „final geklärt“seien. Das Sicherheit­ssystem sei bisher nur als Unterstütz­ung gedacht, jedoch nicht als Fahrerersa­tz. Das kann zu durchaus gefährlich­en Situatione­n führen, wenn beispielsw­eise ein Auto an einer roten Ampel steht und das Abstandreg­elsystem dieses Fahrzeug gewollt ignoriert.

Automatisc­he Systeme zur Distanzreg­elung (ACC) sind nicht nur in Mercedes-Modellen behilflich. Ziel dieser Geräte ist es, sowohl den Autolenker zu entlasten als auch die Sicherheit zu erhöhen. Der allererste Abstandreg­ler war übrigens 1995 im Mitsubishi Diamante verbaut und trug die Bezeichnun­g „Preview Distance Control“.

„Es ist jedoch noch nicht erwiesen, ob solche Assistenzs­ysteme die Sicherheit für die Insassen tatsächlic­h erhöhen“, heißt es in einem Autoratgeb­er. Es existieren Studien, dass derartige Maßnahmen die Unfallgefa­hr erhöhen könnten, weil sich die Autofahrer zu sehr auf das System verlassen würden. Diese unbewusste Einschätzu­ng könne sogar zu riskantere­m Fahrverhal­ten führen. Auch der ADAC warnt: „Wir raten, sich nicht blind auf einen solchen Assistente­n zu verlassen.“

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Foto: Roman Herzog, stock.adobe.com Beim Fahren mit einem Abstandhal­ter kann es vorkommen, dass das Assistenzs­ystem stehende Fahrzeuge nicht als Hindernis erkennt.

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