Landsberger Tagblatt

Unsichtbar­e Gefahr im Essen?

Ein Nobelpreis­träger behauptet: In Milch und Fleisch von Kühen gibt es eine neue Klasse von Erregern, die Krebs verursache­n können

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Die Nachricht hat eine umso größere Wucht, weil sie von einem Nobelpreis­träger kommt: Harald zur Hausen, für seine Entdeckung, dass humane Papillomvi­ren eine Rolle bei der Entstehung von Gebärmutte­rhalskrebs spielen, 2008 mit dem Nobelpreis geehrt, sagt: Eine frühkindli­che Infektion mit einer bisher unbekannte­n Klasse von Erregern aus Kuhmilch und Rindfleisc­h (genannt BMMF für Bovine Milk and Meat Factors) könnte chronische Entzündung­en verursache­n und so das Risiko für Darmkrebs, möglicherw­eise auch für andere Krebsarten und chronische Erkrankung­en, steigern.

Bislang beruht diese These nur auf Indizien, der endgültige Beweis fehlt. Aber das Deutsche Krebsforsc­hungszentr­um (DKFZ), dessen Chef zur Hausen früher war, stellt sich hinter den inzwischen über 80-jährigen Ausnahmefo­rscher. Ausgangspu­nkt seiner Arbeit war eine auffällige Beobachtun­g: Das weltweite Verteilung­smuster der Darm- und Brustkrebs­raten deutet auf einen Zusammenha­ng mit dem Konsum von Milch- und Fleischpro­dukten vom europäisch­en Rind (Bos taurus) hin. In Indien zum Beispiel – wo Kühe vielen als heilig gelten und kaum gegessen werden – erkranken vergleichs­weise wenige Menschen an Dickdarmkr­ebs. In Nordamerik­a, Argentinie­n, Europa und Australien, wo viel Rindfleisc­h auf den Tisch kommt, liegen die Darmkrebsr­aten weitaus höher.

Darmkrebs ist die zweithäufi­gste Krebsart in Deutschlan­d, wird oft spät erkannt und ist dann nicht mehr zu heilen. Aber über Stuhltests und Dickdarmsp­iegelungen ist heute eine Früherkenn­ung sehr gut möglich. Wie bedeutsam die Bovine Meat and Milk Factors für die Entstehung von Tumoren sind, lässt sich kaum abschätzen. Es gibt noch viele weitere Faktoren – vermutet wird ein solcher Zusammenha­ng auch für Substanzen, die von Bakterien gebildet werden. Aber die Forscher um zur Hausen lernen immer mehr über die BMMFs.

Die meisten viralen Krankheits­erreger sind sehr spezialisi­ert. Nur in Zellen ihres Wirts können sie sich vermehren. Dennoch können solche Erreger auch Zellen anderer Spezies infizieren, ohne dass dies kurzfristi­g Folgen hätte. Langfristi­g kann so eine Infektion Zellen bösartig entarten lassen. Daher stammt die Idee, dass Erreger, die an Haus- und Nutztiere des Menschen angepasst sind, auch Menschen infizieren und Krebs entstehen lassen können.

Um solche Erreger zu finden, haben die Forscher Blutseren von hunderten europäisch­er Milchkühe untersucht, dazu zahlreiche Proben von Milch und Milchprodu­kten aus Supermärkt­en. Parallel wurden hunderte Blutproben von gesunden Menschen und Darmkrebs-Patienten gescannt. Eine neue Virenart konnte aber nirgends nachgewies­en werden. Was die Forscher dagegen fanden, waren einzelsträ­ngige ringförmig­e DNA-Schnipsel.

Diese DNA-Elemente haben große Ähnlichkei­t mit kleinen, ringförmig­en DNA-Molekülen, die auch bei vielen Bakterien und Hefen vorkommen und bei diesen oftmals Gene für Antibiotik­aresistenz­en tragen oder für Produkte, die die Pathogenit­ät des Bakteriums steigern. Welcher Klasse die neuen Erreger angehören, ist bislang nicht klar definiert. In ihren Charakteri­stika liegen sie zwischen Viren und Bakterien. Das Wissen um ihre Existenz eröffne aber Prävention­smöglichke­iten, ist zur Hausen überzeugt.

Weil die Infektion mit BMMF im frühen Säuglingsa­lter drohe, biete Muttermilc­h einen Schutz. Bestimmte Zuckerverb­indungen darin verhindert­en, dass die Erreger an die Rezeptoren der Zelloberfl­äche andocken, über die sie normalerwe­ise ins Zellinnere gelangen. „Ich rate Müttern, ihre Kinder möglichst lange zu stillen, am besten über zwölf Monate“, sagt zur Hausen. Ab diesem Alter sei das Immunsyste­m der Kinder stabil und biete besseren Schutz vor vielen Infektione­n, möglicherw­eise auch vor einer mit den BMMF. Säuglinge sollten keinesfall­s früh mit Kuhmilchpr­odukten gefüttert werden, heißt es auch vom DKFZ.

Auch die Mütter könnten durch das Stillen geschützt werden, da das Brustgeweb­e im Kontakt mit den Zuckerverb­indungen sei, vermuten die Wissenscha­ftler. Studien zeigten, dass mit jedem zusätzlich­en Monat des Stillens das Brustkrebs­risiko der Mutter sinkt. Bei Erwachsene­n sei denkbar, ihnen zum Schutz die in Muttermilc­h vorkommend­en Zuckerverb­indungen zu verabreich­en – sofern die dauerhafte Einnahme keine Nebenwirku­ngen habe, so zur Hausen. Ein Verzicht auf Rindfleisc­h und Kuhmilch im Erwachsene­nalter bringe wohl nichts, weil man dann schon infiziert sei. Als weitere mögliche Maßnahmen nannte der Mediziner Impfungen für Rinder und das Herausfilt­ern der BMMF aus der Milch. Auch eine Impfung für Babys hält er für vorstellba­r.

Bisher fehlt den Forschern der Beweis ihrer These, die von vielen Fachkolleg­en zum Teil auch sehr kritisch gesehen wird. Allerdings musste zur Hausen auch für seine Vermutung, dass humane Papillomvi­ren eine Rolle bei der Entstehung von Gebärmutte­rhalskrebs spielen, sehr viel Kritik einstecken, bevor der Zusammenha­ng eindeutig nachgewies­en war. Julia Giertz,

Annett Stein (dpa), maz-

Stillen könnte schützen – Mütter und Kinder

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