Landsberger Tagblatt

Ein Poet, der aufwecken will

Was passiert, wenn zwei CSU-Kommunalpo­litiker Konstantin Wecker einladen? 450 Besucher wollen sich das in der Sport- und Kulturhall­e in Hurlach nicht entgehen lassen

- VON ROMI LÖBHARD

Hurlach Es zeuge ja schon von einer gehörigen Portion Mut, wenn zwei „schwarze“Kommunalpo­litiker einen wie ihn einladen, meinte Landrat Thomas Eichinger (CSU) zu Beginn eines wahrlich beeindruck­enden Abends in der mit 450 Plätzen bestückten und Tage vorher bereits restlos ausverkauf­ten Sport- und Kulturhall­e Hurlach. Im Rahmen der Kreiskultu­rtage „Mut“gastierte dort Konstantin Wecker, dessen politische Gesinnung eher nicht diese Farbe aufweist.

Was aber den Liedermach­er mit dem Landrat und dem Gastgeber, Hurlachs Bürgermeis­ter Wilhelm Böhm (ebenfalls CSU), über alle Couleur hinweg verbindet, das wurde gleich zu Beginn deutlich. Der zunehmend sich in Rage redende und entspreche­nd den Flügel mehr und mehr traktieren­de Künstler redete, ja schrie es förmlich hinaus: „Wovor fliehen die Menschen? Vor unseren Waffen, unserer Ausbeutung!“

Er prangerte auch den „Fahnen schwenkend­en Unsinn“an und die Verharmlos­ung der Nazidiktat­ur (Gaulands „Vogelschis­s“), warnte vor „Trump, Putin, Orban, Gauland, Söder (ja, auch dem bayerische­n Ministerpr­äsidenten)“. Nicht jeder, der der braunen Ideologie von „Volk, Nation und Vaterland“nachlaufe, sei ein Nazi, sagte Wecker. „Aber sie haben sich die Nazibrille aufsetzen lassen.“

Nach dieser vehementen „Klärung meines politische­n Standpunkt­s“singt ein gemäßigter­er Wecker von den „Gespenster­n, die wieder mal aus Fleisch und Blut sind“, und die EU-Hymne überstrahl­t den Text. Dafür hat Johannes Barnikel – „seit mehr als 25 Jahren mein musikalisc­her Lebensgefä­hrte“– am Flügel Platz genommen.

Der einfache wie keine Inhalte verratende Titel der Veranstalt­ung „Solo zu zweit“vervollstä­ndigt sich – der Musiker, Dichter, Schriftste­ller wendet sich mehr und mehr der Poesie zu. Wecker singt ins Herz gehende Balladen, trägt zum Weinen schöne Gedichte vor und hat bei allem, was er bietet, das Publikum auf seiner Seite.

Mit der zunehmende­n Weisheit des Alters, Wecker ist fast 72, scheint das Charisma des ewigen Weltverbes­serers stärker geworden zu sein. Er singt von der Liebe, die immer frei sein will, und liest Poesie wie „manche schreiben keine Lieder, die sind Melodie“. Und bevor es zu poetisch wird, berichtet Wecker aus der Latrine. Im Klo nebenan ächzt einer mit anderer Gesinnung: „Das ist der Punkt, wo man sie kriegen müsste – beim Scheißen.“

Bei Hommagen an den Physiker Hans Peter Dürr und den Kabarettis­ten Werner Schneyder wird es tiefsinnig – wahlweise hochwissen­schaftlich oder in Wiener Schmäh verpackt. Zwischendu­rch beleuchtet Wecker die eigene Vergangenh­eit, erinnert sich voller Unverständ­nis an selten blödes Machogehab­e und Suchtsumpf.

Das ist die eine Seite, die andere ist das Wunder des Vaterseins und die Erinnerung an ein „wunderbare­s Elternhaus“. Besonders berührend: Eine „1959 in unserer Mietwohnun­g im vierten Stock eines Altbaus aufgenomme­ne Tonbandauf­nahme“: Der Bub Konstantin singt die „Traviata“, Vater Alexander, „ein erfolglose­r Opernsänge­r, der nur für uns blühte“, den Alfredo. Und im Rückblick sagt der erwachsen gewordene Bub über seinen Vater „du hattest Größe, ich hatte Glück“.

Zeitweise ist die Poesie schon sehr berührend, und zwischen dem Romantik verheißend­en, hell leuchtende­n Vollmond draußen und dem Liedermach­er drinnen verwischen die Grenzen. Doch Wecker, dessen Name schon Programm ist, will nicht er-, sondern aufwecken. Er will die Menschen zum erfüllten Leben animieren, sie vor allem aus ihrer politische­n Trägheit reißen. Und so kriegt er, bevor es rührselig wird, immer wieder die Kurve.

Der Vater hatte Größe, der Sohn hatte Glück

 ?? Foto: T. Jordan ?? Mal ganz poetisch, mal ganz politisch: Konstantin Wecker (im Hintergrun­d sein musikalisc­her Partner Johannes Barnikel) bei seinem Auftritt in Hurlach.
Foto: T. Jordan Mal ganz poetisch, mal ganz politisch: Konstantin Wecker (im Hintergrun­d sein musikalisc­her Partner Johannes Barnikel) bei seinem Auftritt in Hurlach.

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