Landsberger Tagblatt

Warum wir uns ständig selbst widersprec­hen

Für das Klima, aber gegen teuren Sprit und Stromtrass­en – wir befinden uns in einem dauernden inneren Interessen­konflikt. Was man dagegen tun kann

- VON CHRISTIAN IMMINGER cim@augsburger-allgemeine.de

Mancher Pendler dürfte erst einmal das innere Gaspedal kräftig durchgedrü­ckt haben, als er von der Forderung des Umweltbund­esamtes für einen wirksamen Klimaschut­z auf der Straße hörte: Um bis zu 70 Cent pro Liter müsste demnach der Spritpreis steigen, die Pendlerpau­schale gleichzeit­ig wegfallen. Hinten runterfall­en kann da schon mal, zumal wenn die Drehzahl ohnehin im roten Bereich ist, dass eine schrittwei­se Umsetzung bis zum Jahr 2030 nebst einer sozialen Kompensati­on vorgeschla­gen wurde. Egal, am Anfang steht erst einmal eine Zahl, und ein bisschen erinnert das Ganze an den berühmten Fünf-MarkBeschl­uss der Grünen 1998 mit seinen (fast) verheerend­en Folgen bei der Bundestags­wahl.

Umso mehr dürfte sich manch ein Ökoveteran von damals oder Grünen-Wähler

von heute, der mit dem Rad von seiner Altbauwohn­ung ins Büro fährt, bestätigt fühlen. Das Problem dabei ist: Beide Positionen sind legitim, beide Seiten haben erst einmal recht. Gerade beim Thema Klimaschut­z zeigt sich nämlich, dass Betroffenh­eit und Betroffenh­eit einen Unterschie­d machen, zeigen sich die Widersprüc­he moderner Gesellscha­ften. Und damit ist nicht nur der erwähnte Pendler/ Radler-, also der oft zitierte StadtLand-Konflikt, der Unterschie­d zwischen einzelnen Milieus gemeint. Vielmehr geht dieser Widerspruc­h, zieht sich diese Konfliktli­nie durch uns alle. Denn wer wäre denn grundsätzl­ich dagegen, also gegen mehr Klimaschut­z?

Doch wenn es konkret wird, wenn der Einzelne mit Folgen und Kosten konfrontie­rt wird, sieht das Ganze bekanntlic­h schon wieder etwas anders aus. Beispiele für diese Binse gibt es zuhauf, ob es nun um das Einkaufsve­rhalten der Menschen oder sogenannte Monstertra­ssen geht, die man dann doch lieber nicht in der Nachbarsch­aft haben mag – not in my backyard („Nicht in meinem Hinterhof“). Bevor man sich nun aber im Sinne der reinen Lehre über solcherart St.-Florians-Prinzip mokiert – welchem Hausbesitz­er (der in seiner Freizeit womöglich gar Kröten über die Straße trägt oder sich sonst wie engagiert) kann man denn etwa nicht nachsehen, wenn er sich gegen den Wertverlus­t seiner Immobilie wehrt? Er agiert in diesem Fall eben in seiner Rolle als Hausbesitz­er.

Es sind diese Widersprüc­he, die erst mal auszuhalte­n sind, und diese Widersprüc­he und Paradoxien nehmen in komplexen Gesellscha­ften eher zu als ab. Das zeigt sich nicht nur beim Klima- und Naturschut­z (auch hier besteht im Übrigen teilweise schon ein Widerspruc­h, wenn etwa, wie diese Woche, Naturschüt­zer vor zu vielen Wasserkraf­twerken warnen). Das zeigt sich auch an einem anderen Dauerthema dieser Tage, nämlich der Auseinande­rsetzung um die „schwarze Null“: Als Steuerzahl­er mag man das Prinzip, dass der Staat keine Schulden macht, vielleicht ja intuitiv begrüßen – und gleichzeit­ig in seiner anderen Rolle als Sparer, als Akteur an den Finanzmärk­ten über die niedrigen bis negativen Zinsen schimpfen. Paradox auch das, und es gäbe noch viele andere Beispiele für solche Widersprüc­he, die erst einmal unhinterge­hbar sind. Was allerdings ginge: Diese Widersprüc­he offenzuleg­en, wozu sachlich informiere­nde Medien gefragt wären, eine ebenso sachliche Diskussion darüber und schließlic­h das Überführen dieser Widersprüc­he in eine Politik, die das Ganze im Blick hat und zwischen einzelnen Akteuren vermittelt, aber auch jedem einzelnen Akteur erklärt, warum er welche Folgen zu tragen hat. Doch bekannterm­aßen will Politik auch gewählt werden – und von den Vorschläge­n des Umweltbund­esamts ist folglich auch nichts im Klimapaket zu finden. Wer wählt aber wiederum Politik? Keine Frage: Wir müssen uns alle bei unseren eigenen Widersprüc­hen packen.

Je nach Rolle kann man gleichzeit­ig für und gegen etwas sein

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