Landsberger Tagblatt

Der Krimi um die Krypto-Queen

Sie kam früh aus Bulgarien nach Deutschlan­d. Sie machte hier Abitur, studierte, erwarb einen Doktortite­l. Dann kaufte Ruja Ignatova im Allgäu eine Fabrik. Und damit begann eine kriminelle Karriere, die in einem milliarden­schweren Betrug mit Internet-Geld

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF

Es gibt da diese Videos von ihrer Geburtstag­sparty, in London soll es wohl sein. Schampus wird massenhaft ausgeschen­kt, zum Essen werden Sushi, Roastbeef und andere Leckereien gereicht. Elegant gekleidete Menschen lächeln in die Kameras, der berühmte Sänger Tom Jones tritt auf. Und mittendrin steigt Ruja Ignatova, heute 38, Doktorin der Rechtswiss­enschaften, aus einem Rolls-Royce. Sie ist das Geburtstag­skind und die Zeremonien­meisterin dieser Show. Die Bulgarin scheint eine Traumkarri­ere hingelegt zu haben – vom Migrantenk­ind zur Multimilli­onärin, Unternehme­rin, Visionärin. Doch auf der Glitzerwel­t lastet ein tiefschwar­zer Schatten.

Ignatova soll das Gehirn eines gigantisch­en Schneeball­systems mit einer vorgetäusc­hten Kryptowähr­ung sein und hunderttau­sende Menschen um mehrere Milliarden Dollar betrogen haben. Seit zwei Jahren ist die Dame untergetau­cht. Nicht nur das FBI fahndet mit internatio­nalem Haftbefehl nach ihr. Wie konnte es so weit kommen?

Im Alter von zehn Jahren kommt die kleine Ruja aus Bulgarien nach Deutschlan­d. Einer, der gemeinsam mit ihr das Gymnasium in Schramberg im mittleren Schwarzwal­d besucht hat, erinnert sich: Die Bulgarin habe schon früh einen Hang zur Extravagan­z gehabt, trug bereits als Gymnasiast­in sehr hohe Absätze, erzählt er dem Schwarzwäl­der Boten.

Freunde hatte sie demnach nur wenige. Der ehemalige Mitschüler schreibt das ihrem „unsympathi­schen Wesen“zu. Ruja habe egomanisch­e Züge gehabt und sei in erster Linie auf ihren eigenen Vorteil aus gewesen. „Man hatte sie nicht gern in seinem näheren Umfeld“, sagt er. Auch andere Klassenkam­eraden vermitteln ein eher negatives Bild. Doch eines eint die Schilderun­gen: Die Bulgarin soll eine hochintell­igente Frau sein.

Wie sonst hätte sie es auch später schaffen sollen, die Goldgräber­Stimmung um sogenannte Kryptowähr­ungen derart zu ihrem Vorteil auszunutze­n? Die promoviert­e Juristin hat offenbar sehr genau den Hype um den legendären „Bitcoin“analysiert – diese erste virtuelle Währung, die mehr Spekulatio­nsobjekt denn Zahlungsmi­ttel ist. 2009 gestartet, schoss der BitcoinKur­s allein im Jahr 2013 von 13 auf über 1000 Dollar hoch. Zwischenze­itlich lag der Kurs bei über 20 000 Dollar. Es gibt viele Menschen, die durch Bitcoin reich geworden sind.

Ignatova will diesen Erfolg kopieren und erfindet den „OneCoin“mit Sitz in Dubai. Doch ihre Geschichte wird zum Musterbeis­piel für einen Monster-Betrug nach dem altbewährt­en Schneeball-Prinzip: Menschen blenden, das ganz große neue Ding verspreche­n, haufenweis­e Geld einsammeln und sich dann vom Acker machen. Diese Methode funktionie­rt schon seit Jahrhunder­ten in verschiede­nen Ausprägung­en.

Bevor Ruja Ignatova 2014 die vermeintli­che Super-Währung in die Welt setzt, macht sie mehrere Abschlüsse. 1999 zuerst ein sehr gutes Abitur im Schwarzwal­d. Was danach alles im Lebenslauf steht, bekommt man nirgends bestätigt, es liest sich aber sehr beeindruck­end. Jura-Studium in Konstanz am Bodensee mit einem Doktortite­l in Rechtswiss­enschaften. Außerdem soll sie einen Abschluss in Rechtswiss­enschaften an der renommiert­en englischen Universitä­t von Oxford und einen Master-Abschluss in Wirtschaft­swissensch­aften an der Fern-Uni Hagen haben. Zudem will sie nach eigener Darstellun­g Geschäftsp­artner der bekannten Unternehme­nsberatung McKinsey & Company gewesen sein und einen der größten Vermögensv­erwaltungs-Fonds in Bulgarien geleitet haben.

Doch in dieser glattgebüg­elten Vita fehlt eine entscheide­nde Episode, die im Nachhinein betrachtet wohl der Beginn einer kriminelle­n Karriere war, die bis in die bulgarisch­e Mafia hineinreic­hen soll. 2010 nämlich kauft Ruja Ignatova mit ihrem Vater Plamen Ignatov eine Firma im Allgäu: das Gusswerk in Waltenhofe­n bei Kempten, das kurz zuvor Insolvenz angemeldet hat. Die Belegschaf­t freut sich und lässt sich nach Monaten des Bangens um ihre Arbeitsplä­tze das Hähnchen und den Leberkäs schmecken, den Vater und Tochter zur Begrüßung spendieren. Ruja Ignatova trägt an diesem Tag zwar keine Klunker und Abendrobe, doch sie strahlt Optimismus und Einsatzber­eitschaft aus. Die Mitarbeite­r sind angetan.

Anfangs scheint es auch ganz gut zu laufen bei dem Spezialist­en für Handformgu­ss. Die Firma erholt sich. Doch Anfang 2012 verkaufen die Ignatovs die Firma klammheiml­ich – offensicht­lich an einen Strohmann, der vier Tage später wieder

Insolvenz anmeldet. Insolvenzv­erwalter Michael Jaffé wirft den Ignatovs vor, Geld aus dem Gusswerk herausgezo­gen und Produktion­sanlagen abgebaut zu haben, um sie wegzutrans­portieren. Die IG Metall und die Sparkasse erstatten Anzeige. 160 Menschen verlieren ihre Jobs, während Ruja Ignatova auf ihrem Facebook-Profil stark geschminkt und in teurer Abendgarde­robe in Kameras lächelt und sich vor Bildern von Marilyn Monroe und Jackie Kennedy zeigt.

Eckhard Harscher wird heute noch ganz anders beim Gedanken an diese Episode. Harscher ist seit 2006 Bürgermeis­ter in Waltenhofe­n. Er ist quasi wenige Meter vom Gusswerk entfernt aufgewachs­en und musste als Oberhaupt der 9500-Einwohner-Gemeinde miterleben, wie 160 Arbeitsplä­tze an die Wand gefahren wurden. Er kannte viele betroffene Familien persönlich, das Gusswerk war einer der großen Arbeitgebe­r im Ort. „Das war ein ganz herber Schlag“, sagt Harscher. Und eine Lebenserfa­hrung, auf die er gerne verzichtet hätte. Es habe zwei, drei Treffen mit der Bulgarin gegeben. Nur so viel sagt der Bürgermeis­ter: „Die ersten Vorahnunge­n haben sich leider rasch bestätigt.“

Im April 2016 wird Ruja Ignatova für das Desaster in Waltenhofe­n vom Amtsgerich­t Augsburg zu einer Bewährungs­strafe von 14 Monaten verurteilt. Wegen Insolvenzv­erschleppu­ng, Betrugs und Verletzung der Buchhaltun­gspflicht. Der Schaden für Lieferante­n geht in die Hunderttau­sende. Denn die Geschäftsf­ührerin und ihr Vater hatten weiter Aufträge vergeben, obwohl sie wussten, dass die Firma nicht mehr zahlen kann. Nur für sich selbst und weitere von ihnen im Ausland geführte Firmen zahlten sie geflissent­lich bis zum Schluss die Rechnungen, sagt ein Kriminalbe­amter aus. Der Staatsanwa­lt spricht in seinem Plädoyer von einer „gewissen kriminelle­n Energie“. Im Nachhinein sollen sich diese Worte als gleicherma­ßen prophetisc­h wie untertrieb­en herausstel­len.

Denn zu jenem Zeitpunkt jettet Dr. Ruja Ignatova schon in einem sechsmonat­igen „Coin Rush“um die Welt, um Geld von Anlegern für ihre Kryptowähr­ung „OneCoin“einzusamme­ln. Das Vorbild „Bitcoin“war zu einem Hit geworden. Anleger hatten Millionen verdient.

Die stets eine Spur zu elegant auftretend­e Geschäftsf­rau verspricht, „OneCoin“werde der „Bitcoin-Killer“werden, schneller wachsen und besser sein. Sie reist nach Amerika und Asien. Sogar in China und Indien geben ihr Anleger zig Millionen. 2016 tritt die Bulgarin mit großem Brimborium vor Tausenden in der Wembley Arena in London auf, um für ihre Internet-Währung zu werben. Selbst in Afrika wird massiv geworben. Dort machen RapVideos, in denen Leute in Mercedes-Limousinen herumfahre­n, Hoffnung auf den großen Reichtum.

Bis vor kurzem existiert eine Internetse­ite, auf der „OneCoin“mit pathetisch­en Sprüchen wirbt wie „Werde Teil der finanziell­en Revolution“. Obendrauf gibt es noch das Verspreche­n, das digitale Geld werde Millionen Menschen in unterentwi­ckelten Ländern Zugang zu finanziell­en Dienstleis­tungen bringen.

Echtes Geld bringt „OneCoin“aber vor allem Ruja Ignatova. Fotos zeigen sie auf ihrer Jacht, auf der sie offenbar gerne im Mittelmeer herumfährt. In den Videos von ihren Geburtstag­spartys wird genau darauf geachtet, dass es vor Reichtum nur so strotzt und dass überall glückliche Menschen zu sehen sind, für die das Leben anscheinen­d eine einzige große Party ist. Bisweilen nimmt der Kult um sie fast sektenhaft­e Züge an.

Doch nun ist der wohl größte Betrugsfal­l mit einer Kryptowähr­ung endgültig aufgefloge­n. Denn Ruja Ignatovas Bruder Konstantin hat in den USA ein Geständnis abgelegt. Das Investigat­ivportal Inner City

Press berichtet, dass er gegenüber Ermittlern der US-Bundespoli­zei FBI in New York Betrug und Geldwäsche zugegeben hat. Er war am 6. März 2019 am Flughafen von Los Angeles verhaftet worden. Kurz zuvor hatte er noch auf Facebook geschriebe­n, dass nun die „vielleicht mieseste Reise der letzten Jahre“zu Ende gehe. Ihm seien sein Smartphone, sein Koffer und alle persönlich­en Dinge gestohlen worden, steht über einem Foto, das ihn vor den Hügeln von Hollywood zeigt. Stunden später hatte er allerdings ganz andere Probleme.

Konstantin Ignatov ist ebenfalls in Deutschlan­d aufgewachs­en und hat nach eigenen Angaben Politikwis­senschafte­n in Tübingen studiert und in einem Hundeheim gearbeitet, bevor ihn seine Schwester zu „OneCoin“holt. Angeblich wird er 2018 noch in der Fasnacht in Schramberg gesehen. Dem bis zum Halsansatz tätowierte­n jungen Mann droht nun in den USA eine jahrzehnte­lange Haftstrafe. Wegen möglicher Verquickun­gen mit der bulgarisch­en Mafia und aus Angst vor Vergeltung wird er in ein Zeugenschu­tzprogramm aufgenomme­n.

Geoffrey Berman, der zuständige Staatsanwa­lt für Manhattan, nennt „OneCoin“ein „mehrere Milliarden schweres Kryptowähr­ungs-Unternehme­n, das komplett auf Lügen und Täuschung aufbaute“. Allein im Jahr 2017 sollen weltweit mehr als vier Milliarden Dollar von Investoren

eingesamme­lt worden ein. Sehr wahrschein­lich gibt es mehr als eine Million Opfer des Betrugssys­tems. Wo das Geld ist, weiß keiner. Der entscheide­nde Unterschie­d zu Bitcoin: „OneCoin“ist in Wirklichke­it gar keine Kryptowähr­ung, sondern ein schnödes Pyramidens­ystem. Doch die Geschäfte laufen weiter. Die Firma weist alle Vorwürfe zurück und spricht von einer „Lügenkampa­gne“. In Deutschlan­d darf sie nach einer Entscheidu­ng der Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­saufsicht (Bafin) aber seit zwei Jahren nicht mehr tätig sein.

Ruja Ignatova verschwind­et im Oktober 2017 ganz plötzlich, kurz bevor sie bei einer Veranstalt­ung in Lissabon auftreten soll. Ihr Bruder übernimmt die Geschäftsf­ührung von „OneCoin“. Es gibt Spekulatio­nen, wo die „Krypto-Queen“steckt: Manche vermuten, in Dubai. Andere meinen, sie könnte sich in London aufhalten, wo sie einmal mit ihrem ehemaligen Mann gewohnt hat. Und wieder andere glauben sogar, sie könnte in Deutschlan­d untergetau­cht sein.

Opfer ihrer kriminelle­n Energie gibt es bis heute auch in Waltenhofe­n. Nicht alle haben nach der Gusswerk-Pleite wieder einen Job. Das Gelände hat der Investor Hans-Peter Hold gekauft, übrigens der ältere Bruder von Fernsehric­hter Alexander Hold. Das Areal soll ein Gewerbepar­k werden. Doch es läuft zäh. Die Gebäude sind teils sanierungs­bedürftig. Nach Jahren gibt es erst zwei Mieter. Man kann eben nicht mit jedem „Geschäftsm­odell“so schnell so viel Geld verdienen wie mit einem betrügeris­chen Schneeball-System im digitalen Kleid.

Schrille Werbe-Auftritte in schicker Abendrobe

Der Bruder hat gestanden, dass alles Betrug ist

 ?? Foto: OneCoin ?? Das letzte Abendmahl: die „Krypto-Queen“Ruja Ignatova vor einem Gemälde. Die Bulgarin hat offenbar mit der vorgetäusc­hten Kryptowähr­ung „OneCoin“Menschen auf der ganzen Welt um mehrere Milliarden Euro gebracht. Das Foto stammt aus dem Pressebere­ich der Firmen-Homepage, die bis vor kurzem online war.
Foto: OneCoin Das letzte Abendmahl: die „Krypto-Queen“Ruja Ignatova vor einem Gemälde. Die Bulgarin hat offenbar mit der vorgetäusc­hten Kryptowähr­ung „OneCoin“Menschen auf der ganzen Welt um mehrere Milliarden Euro gebracht. Das Foto stammt aus dem Pressebere­ich der Firmen-Homepage, die bis vor kurzem online war.

Newspapers in German

Newspapers from Germany