Landsberger Tagblatt

Wie mächtig ist dieser Mann?

Juso-Chef Kevin Kühnert hat Hoffnungen geweckt auf ein schnelles Ende der Großen Koalition und er hat maßgeblich daran mitgewirkt, dass zwei Außenseite­r neue SPD-Chefs werden. Jetzt trifft er auf die raue Wirklichke­it

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Plötzlich heißt es Kevin der Umfaller, statt Kevin der Königsmach­er. Im Moment seines größten Erfolges gerät der Vorsitzend­e der Jungen Sozialiste­n ins Stolpern. Laut hatte er zunächst für den Ausstieg aus dem ungeliebte­n Bündnis mit CDU und CSU getrommelt. Doch nun, kurz vor dem entscheide­nden SPD-Parteitag, werden die Trommelsch­läge bedächtig. Kevin Kühnert sieht sich genötigt, ein Handyvideo aufzuzeich­nen und zu erklären. „Ich habe auch keine Angst mit der SPD in den nächsten drei Monaten, wenn es sein muss, in einen Bundestags­wahlkampf zu ziehen“, sagt er seinen verunsiche­rten Anhängern. Also doch raus aus der Großen Koalition, wie versproche­n?

Wenn es so einfach wäre. Die von dem 30-Jährigen maßgeblich orchestrie­rte Revolte der Parteibasi­s gegen das Establishm­ent der SPD trifft auf die politische Realität. Knall auf Fall die Regierung aufzukündi­gen, ist keine Kleinigkei­t. Dafür hätten die von Kühnert unterKandi­daten Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken mit wehenden Fahnen gewinnen müssen. Sie bekamen aber nur rund 53 Prozent. Nahezu die andere Hälfte der Mitglieder, die überhaupt abgestimmt haben, votierte für den Fortbestan­d der Koalition in Person von Finanzmini­ster Olaf Scholz und seiner Partnerin Klara Geywitz.

Für die Gewinner heißt es jetzt, die Unterlegen­en mitzunehme­n. Das Problem daran ist, dass die Unterlegen­en eigentlich die Starken sind. Die Berufspoli­tiker der Bundestags­fraktion wollen mehrheitli­ch, dass die GroKo weitermach­t. Sie wollen nicht bei Neuwahlen aus dem Bundestag fliegen. Das gilt natürlich auch für die SPD-Minister.

Die designiert­en Parteichef­s der Sozialdemo­kraten wünschen sich in der Süddeutsch­en Kühnert als einen ihrer Stellvertr­eter. Der Juso-Chef sagt nun, man müsse die Prozesse von hinten denken. Übersetzt heißt das, wenn die SPD die Regierung platzen lässt, steht sie als Buhmann der Nation da und wird von den Wählern noch härter abgestraft. Es braucht also gute Gründe. Dass Kühnert und das neue Spitzenduo gerade ins Schlingern geraten, ist in Wahrheit nicht verwunderl­ich. Regierunge­n haben mehr Zeit, Wahlverspr­echen zu verschlepp­en und an die Wirklichke­it anzupassen. Die frische SPD-Spitze hatte gerade einmal eine Woche dafür. Selbst der talentiert­e Kommunikat­or Kühnert kommt dabei an seine Grenzen. Wer ihn in Berlin erlebt, kann einen Politik-Junkie beim Stillen seiner Sucht beobachten. Der Juso-Chef raucht sich regelrecht auf, wie seine Zigaretten. Er ist zwar noch an der Uni eingeschri­eben, aber seine Studien ruhen. Pause von der Politik macht er nur für ein Fußballspi­el, wenn es im Fernsehen läuft. Der Berliner ist Fan von Arminia Bielefeld und von Bayern München.

Ansonsten ist er im Einsatz für die 80000 Jusos, die SPD und seine Karriere. Ab und an steckt er sich eine Kippe an, abends nimmt er gern ein großes Bier dazu. Oder zwei. Ein Bäuchlein wölbt sich vor seinem schmalen Leib. Im Fernsehen ist das nicht zu sehen, weil das Bild in der Regel auf Brusthöhe abschneide­t. Einmal versuchte er für wenige Monate, gesund zu leben. Salat, wenig Alkohol und wenig Zigaretten. Es blieb beim Versuch. Die nächsten Wochen werden extrem fordernd. „Lasst uns jetzt nicht alle gegeneinan­der ausspielen vorm Parteitag“, appelliert­e Kühnert am Schluss seines Videos. Er weiß, dass der Coup um WalterBorj­ans und Esken mehr Missgunst und Zwietracht in die zerstritte­ne SPD tragen könnte. Öffentlich mit sich selbst hadernde Parteien verlieren Wahlen. Und die größte Nachwuchsh­offnung der Sozialdemo­kraten möchte in Zukunft wieder Wahlen gewinnen. Das neue Zauberwort heißt daher „Kompromiss“.

Die neue Doppelspit­ze schlägt deshalb den Delegierte­n vor, CDU und CSU Nachverhan­dlungen des Koalitions­vertrages aufzudräng­en, die sie nicht von vornherein ablehstütz­ten nen können. Dahinter steckt die Strategie, Zeit zu gewinnen. Dass Kühnert die Große Koalition verlassen will, daraus hat er nie einen Hehl gemacht. An der Ablehnung des Bündnisses habe sich „kein bisschen“geändert, stellte er klar.

Worauf es jetzt ankommt, ist die Suche nach einem guten Grund. Die Grundrente kann kein ausreichen­der sein, weil die Union ihr grundsätzl­ich schon zugestimmt hat. Das Klimapaket wird ohnehin im Vermittlun­gsausschus­s zwischen Bund und Ländern nachverhan­delt. Also bleibt der Mindestloh­n von 12 Euro als rotes Tuch. Die Lohnunterg­renze könnte als Koalitions­brecher funktionie­ren. Die Genossen würden dann die Verteidige­r der Fleißigen geben, die von ihrer Hände Arbeit nicht anständig leben können.

Die Union wird den Ball erst einmal aufnehmen müssen. Sie hat kein Interesse an Neuwahlen. Die SPD zwar eigentlich auch nicht. Aber angeführt von Kevin Kühnert setzen sich immer mehr jene Mitglieder durch, die sagen, dass es wegen der Misere der Partei schon egal sei.

Das neue Spitzenduo gerät schon jetzt ins Schlingern

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Foto: Stefan Schmidbaue­r, Imago Images Juso-Chef Kevin Kühnert will sich auf dem SPD-Parteitag zum stellvertr­etenden Parteichef wählen lassen.

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