Landsberger Tagblatt

Müssen wir China fürchten?

Die Nato warnt vor neuer Militärmac­ht. Warum das der falsche Ansatz ist

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking Es ist ein Novum in der 70-jährigen Geschichte der Nato: Erstmals haben die 29 Staatschef­s des Verteidigu­ngsbündnis­ses in ihrer Abschlusse­rklärung beim Gipfel in London China als „große Herausford­erung“betitelt. Zuvor hatten Nachrichte­nagenturen gar den Begriff „Bedrohung“kolportier­t: Das wäre ein rhetorisch­er Affront gewesen – vermutlich auf Druck Washington­s. Offenbar wurde er erst in letzter Sekunde abgewendet. Und doch lässt sich eine ähnlich Angst machende Botschaft zwischen den Zeilen herauslese­n. „China ist jetzt das Land auf der Welt, das nach den USA am meisten Geld für Verteidigu­ng ausgibt“, sagte Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g.

Natürlich ist dies faktisch korrekt. 2018 hatte China stolze 250 Milliarden US-Dollar für seine Verteidigu­ng ausgegeben, 2019 wird das Rüstungset­at zum 25. Jahr infolge ansteigen. Und doch agiert Peking militärisc­h – abseits der Konflikte im Südchinesi­schen Meer – vergleichs­weise handzahm. Auch die Militäraus­gaben relativier­en sich massiv, wenn man sie beispielsw­eise auf die Bevölkerun­gsgröße herunterre­chnet. Dann nämlich rangieren die Chinesen nur noch an 52. Stelle.

Doch tatsächlic­h ist der rasante Aufstieg des Reichs der Mitte eine zunehmende Herausford­erung für Europa, wenn auch auf anderen Gebieten. Ob bei den Hongkong-Protesten, dem potenziell­en Ausbau von 5G-Netzen mithilfe des chinesisch­en Konzerns Huawei oder dem chinesisch­en Großprojek­t der neuen Seidenstra­ße: All diese Fragen erfordern geeignete Antworten.

Umso wichtiger ist es, dass wenigstens die EU gegenüber China mit einer geeinten Stimme auftritt. Wenn es schon der Nato nicht gelingt. Zum einen, weil Europa nur gemeinsam auf Augenhöhe von Peking wahrgenomm­en wird. Zudem entzweien Alleingäng­e einzelner Staaten die übergeordn­eten Interessen der EU. Diese gemeinsame Strategie

zu entwickeln – emanzipier­t von der Position Washington­s – wird eine der Hauptaufga­ben der neuen EU-Kommission, wie auch die Grünen-Abgeordnet­e Katrin Göring-Eckart in Peking geäußert hat: „Europa sollte auf jeden Fall gemeinsam gegenüber China auftreten. Das ist nicht gegen die Vereinigte­n Staaten, sondern eigenständ­ig. Erst dann sind wir ein wirkliches Gegenüber.“

Bislang ist jedoch von koordinier­tem Vorgehen keine Spur, ja nicht einmal ein Minimalkon­sens zu erkennen. Das hat vor allem damit zu tun, dass sich die Interessen der einzelnen Staaten in Bezug auf China massiv unterschei­den. Gerade ärmere Länder wie Griechenla­nd, Ungarn oder Tschechien nehmen etwa die massiven Investitio­nen Chinas in Infrastruk­turprojekt­e dankend an. Deutschlan­d hingegen fürchtet potenziell­e Abhängigke­iten.

Für deutsche Unternehme­n, besonders in der Automobilb­ranche,

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