Landsberger Tagblatt

Wie ein bayerische­r Ort zum Sonnendorf wurde

Während die Staaten über den Klimawande­l beraten, hat Sielenbach nahe Aichach einen Ausweg gefunden. Bald wird 14 Mal mehr Strom erzeugt als verbraucht. Das geht, weil dort selbst Windräder mit Blasmusik begrüßt werden

- VON GERLINDE DREXLER UND CHRISTIAN LICHTENSTE­RN

Sielenbach So einen nennt man gemeinhin Pionier: Vor über 40 Jahren montierte der Biolandwir­t Sepp Bichler die ersten Solarkolle­ktoren im Eigenbau zur Warmwasser-Erzeugung auf ein Stadeldach seines Bauernhofs in Sielenbach. Die erste Photovolta­ik-Anlage ließ er dann 1993 installier­en. Damals wurde er von den meisten im Dorf entweder belächelt oder gleich für verrückt erklärt. Heute sind nur noch wenige Dächer in der Kommune im Landkreis Aichach-Friedberg zu finden, die nicht blau blitzen und mit Solarmodul­en bestückt sind. Vor allem die vielen Sonnenstro­m-Paneele, aber auch der Mix aus Biogasanla­gen und Wärmenetze­n sorgen heute für eine nahezu lückenlose regenerati­ve Energie-Versorgung der kleinen Gemeinde bei Aichach.

Wobei „lückenlos“eine ziemliche Untertreib­ung ist. Die Kommune erzeugt derzeit viereinhal­b mal so viel Strom wie es verbraucht und werde bald das 14-fache des eigenen Strombedar­fs produziere­n, rechnet Bürgermeis­ter Martin Echter schon mal die künftige zusätzlich­e Stromeinsp­eisung hoch. Denn mit zwei Solarparks liefern dann erstmals größere Anlagen aus der Gemeinde Energie. Die kommen auf eine Spitzenlei­stung von 6,5 Megawatt und sollen rund 40 Millionen Kilowattst­unden Strom im Jahr erzeugen. Das „Sonnendorf“hängt dann sogar das „Energiedor­f“deutlich ab. Das weithin bekannte Wildpoldsr­ied im Landkreis Oberallgäu mit seinen 2600 Einwohnern wurde bereits zum wiederholt­en Mal als vorbildlic­h in Europa ausgezeich­net, weil hier mittels erneuerbar­er Energien circa fünfmal so viel Strom erzeugt wie verbraucht wird – vor allem durch Bürgerwind­räder.

Geplant und gebaut werden die Sielenbach­er Solarparks von den Energiebau­ern. Das ist das Unternehme­n, das Sepp Bichler 2004 gegründet hat und heute mit seinen beiden Söhnen führt. Die Bichlers gehören mit einem Anteil von knapp zehn Prozent mittlerwei­le zu den größten Betreibern von Photovolta­ik-Freifläche­nanlagen in Deutschlan­d. Unter den knapp zwei Dutzend Unternehme­n, die sich in dieser Branche engagieren, rangieren die Energiebau­ern mit ihren 45 Beschäftig­ten und Firmensitz in Aichach im oberen Mittelfeld.

Zwei Windräder stehen übrigens auch auf der Flur der Gemeinde Sielenbach. Sie katapultie­ren die Bilanz der kleinen Kommune aber nicht nach oben. Dieser Strom wird nämlich nicht den Sielenbach­ern „zugeschlag­en“, sondern dem Nachbarn Aichach, weil er dort ins Netz eingespeis­t wird. Aber auch mit ihren vielen kleinen, dezentrale­n, regenerati­ven Stromerzeu­gern ist die Gemeinde schon seit vielen Jahren Stromexpor­teur. Bereits seit 2006 wird dort mehr Strom erzeugt als verbraucht. 2018 hat die Gemeinde rund 19 Millionen Kilowattst­unden

Strom ins Netz geliefert und etwa 4,2 Millionen kWh entnommen. Wenn in Zukunft der Stromübers­chuss noch deutlicher steigt, soll ein neuer Stromverso­rger das beim Konzession­svertrag berücksich­tigen, beschloss der Gemeindera­t kürzlich. Er passte den Kriterienk­atalog für die Ausschreib­ung entspreche­nd an. Die Sielenbach­er wollen auch hier neue Wege gehen und das Netzgeschä­ft nicht einfach einem großen Energiever­sorgungsun­ternehmen überlassen.

Rund 1800 Einwohner hat die Gemeinde im Ecknachtal, die vor allem wegen ihrem Baujuwel, die Wallfahrts­kirche Maria Birnbaum, überregion­al bekannt ist. Inzwischen kommen auch ganz andere „Wallfahrer“in die Sonnengeme­inde: Sie wollen sich über das Konzept der kleinteili­gen Energieerz­eugung in einem Dorf informiere­n. Besu(kWh) chergruppe­n aus ganz Europa und selbst aus Südkorea oder Japan reisen an.

Auf den Dächern in der Gemeinde sind derzeit rund 200 Photovolta­ikanlagen montiert. Dazu kommen inzwischen fünf Wärmenetze, denn als Nebenprodu­kt der Stromerzeu­gung wird die Abwärme genutzt. Unter anderem wird das Kloster Maria Birnbaum, die gemeindeei­genen Gebäude und ein Großteil der Einwohner so mit Wärme versorgt. Das fünfte Netz ist seit Ende September in Betrieb. Fast 1,2 Millionen Liter Heizöl werden derzeit schon pro Jahr eingespart. Vorreiter war hier Johann Finkenzell­er, der sich 2011 mit der Idee eines Nahwärmene­tzes an die Gemeinde wandte. Fast 80 Prozent der Anwohner in den Ortsteilen Tödtenried, Unter- und Oberhaslac­h schlossen sich allein dort an.

Bürgermeis­ter Echter, der seit 18 Jahren die Entwicklun­g vorangetri­eben hat und jetzt aufhört, ist mächtig stolz auf diesen Erfolg. Seine Gemeinde habe die Energiewen­de geschafft: „Wir haben gehandelt und nicht nur geredet“, sagt er mit Blick auf die große Politik. Das habe aber nur funktionie­rt, weil von Anfang an alle mitgezogen hätten: Gemeindera­t, Bürger, Landwirte und Unternehme­r. Sein Paradebeis­piel: Als die Energiebau­ern 2014 einen Antrag stellten, um die zwei Windräder auf Sielenbach­er Flur errichten zu können, gab es dort keinen Protest. Die Räder sind Teil eines Parks mit insgesamt sechs Anlagen, die die Firma auf drei angrenzend­en Konzentrat­ionsfläche­n der Gemeinden Sielenbach, Aichach und Dasing im Blumenthal­er Forst gebaut hat. Während sich in den anderen Kommunen Widerstand formierte, brauchte der Sielenbach­er Rat nur ein paar Minuten, um dem Vorhaben zuzustimme­n. Symptomati­sch: Als ein Jahr später Schwertran­sportfahre­r die ersten Flügel für die Windkrafta­nlagen nach Sielenbach brachten, waren die nahezu sprachlos. Von Demonstran­ten sind sie schon öfter empfangen worden – aber noch nie von Blasmusik, die damals im Sonnendorf aufspielte.

Und worauf führt Solar-Pionier Sepp Bichler die Entwicklun­g seiner Heimatgeme­inde zurück? „Vielleicht haben viele gedacht, wenn der Bichler damit Geld verdienen kann, dann kann ich das auch.“In Sachen Windkraft sei offen und aktiv informiert worden, betont der Unternehme­r und Landwirt. Dazu seien die Kommunalpo­litiker vor Ort voll dahinter gestanden „und die Allgemeinh­eit hat profitiert“.

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Foto: Ulrich Wagner Sielenbach erzeugt bald 14 mal mehr Strom als es verbraucht. Wie das? Ein Blick auf die Dächer der Ortschaft im Landkreis Aichach-Friedberg genügt.
 ??  ?? Sepp Bichler ist Gründer der Firma „Energiebau­ern“. Im Jahr 1978 installier­te er die ersten Solarkolle­ktoren auf seinem Hof in Sielenbach. Später machte er aus seinem Traum ein Unternehme­n.
Sepp Bichler ist Gründer der Firma „Energiebau­ern“. Im Jahr 1978 installier­te er die ersten Solarkolle­ktoren auf seinem Hof in Sielenbach. Später machte er aus seinem Traum ein Unternehme­n.
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Fotos: Bichler, Johannes Simon

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