Landsberger Tagblatt

Deutsche Geschäfte in Xinjiang

Ob Siemens, Volkswagen oder BASF: Viele deutsche Firmen unterhalte­n Werke in der westchines­ischen Provinz, in der hunderttau­sende Muslime in Internieru­ngslagern weggesperr­t werden

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking In demonstrat­iver Einigkeit sprach Washington am Dienstag ein Machtwort zu einem der weltweit wohl schwerwieg­endsten Menschenre­chtsverbre­chen: Mit nur einer Gegenstimm­e hat das US-Repräsenta­ntenhaus Sanktionen wegen der Unterdrück­ung der muslimisch­en Minderheit in der westchines­ischen Provinz Xinjiang gefordert. Nancy Pelosi, Sprecherin des US-Abgeordnet­enhauses, sprach von „barbarisch­en Taten“in den Internieru­ngslagern, in denen mehrere hunderttau­send Uiguren weggesperr­t werden: Zwangsster­ilisierung­en, Schläge, „Zwischenfä­lle von Massenersc­hießungen“.

Der Gesetzentw­urf, der formell noch über den US-Senat auf den Schreibtis­ch von Präsident Donald Trump gelangen wird, ist nicht zuletzt ein Weckruf für deutsche Unternehme­n: Schließlic­h fordern die amerikanis­chen Abgeordnet­en nicht nur finanziell­e Repression­en gegen Kader der Kommunisti­schen Partei, sondern auch gegen Behörden oder

Firmen, die möglicherw­eise für die Internieru­ng oder Verpflicht­ung zur Zwangsarbe­it mitverantw­ortlich sein könnten.

Bereits im Sommer hat der China-Forscher Benjamin Haas für das Berliner MERICS-Institut die Rolle europäisch­er Firmen in Xinjiang erforscht. Seine Studie ergab, dass rund die Hälfte der 150 größten Firmen in Europa Geschäftsb­eziehungen mit der Provinz unterhalte­n. Deutsche Firmen nehmen dabei eine prominente Rolle ein. Schließlic­h ist das deutsch-chinesisch­e Handelsvol­umen von 199,3 Milliarden Euro im Jahr 2018 das größte im EU-Raum. Ob Volkswagen oder BASF – sie alle unterhalte­n Niederlass­ungen in Xinjiang.

In der Kritik steht zum Beispiel Siemens, denn der Konzern führt seit 2014 ein Kooperatio­nsabkommen mit der „China Electronic­s Technology Group“– einem Militärlie­feranten, dessen Überwachun­gstechnolo­gie laut der NGO Human Rights Watch benutzt wird, um Uiguren auszuspion­ieren und zu verhaften. Siemens-Chef Joe Kaeser versichert­e unlängst allerdings, dass das Unternehme­n keine uigurische­n Zwangsarbe­iter einsetze: „Siemens hat in der Uiguren-Region Xinjiang kein Werk, wir haben dort nur ein eher kleines Büro mit ein paar wenigen Mitarbeite­rn“, berichtete er. „Wir würden niemals Zwangsarbe­iter beschäftig­en und niemals mit Internieru­ngslagern kooperiere­n. Es gibt Dinge, die macht man nicht“, sagt er der Rheinische­n Post.

Unter Bundestags­abgeordnet­en werden aber Stimmen lauter, dass Deutschlan­d dem Sanktionsg­esetz der USA folgen sollte: „Persönlich­e Sanktionen gegen die lokal Verantwort­lichen fordere ich auch von der Bundesregi­erung. Kontos einfrieren, Reisemögli­chkeiten beschränke­n: Am Beispiel Russlands kann man sehen, dass man mit persönlich­en Sanktionen etwas erreichen kann“, sagt Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit unserer Redaktion in der deutschen Botschaft Peking. Die Grünen-Politikeri­n befindet sich gerade auf China-Reise zum Austausch bei Menschenre­chtsfragen. Sanktionen gegen deutsche Unternehme­n

lehnt Göring-Eckardt ab, sagt aber auch: „Wenn man wie im Fall von VW auf Diversität in Deutschlan­d pocht und hier in China so tut, als ob man eine Minderheit nicht kennt, geht das einfach nicht.“

Sie spielt auf ein PR-Debakel an, das sich Volkswagen-Chef Herbert Diess im April auf der Automesse in Shanghai lieferte. Als ihn ein Journalist der BBC mit der Menschenre­chtslage in Xinjiang konfrontie­rte, entgegnete Diess daraufhin, ihm sei die Existenz der Inhaftieru­ngslager „nicht bekannt“. Seither gibt es Krisen-PR für den Wolfsburge­r Autobauer in China in dieser Sache: Man sei sich der Lage in der Region bewusst, doch bemühe sich, einen Beitrag zur Entwicklun­g der Region zu leisten, heißt es seitens des Konzerns.

2013 nämlich eröffnete der deutsche Autobauer ein Werk in Xinjiang mit 650 Mitarbeite­rn. Allein in den ersten zehn Monaten des Jahres konnte VW dort 23000 Autos verkaufen, was eine Steigerung von einem Viertel im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum entspricht. Im Vergleich

zu den 4,2 Millionen in China verkauften Fahrzeugen sind dies jedoch nur Peanuts. Mutmaßlich ist das Werk nahe der Stadt Urumqi eine unrentable Produktion­sstätte.

Warum deutsche Firmen wie VW dennoch investiere­n, ist ein offenes Geheimnis: Die chinesisch­e Regierung forciert seit Jahren die Entwicklun­g der wirtschaft­lich abgeschlag­enen Region, die auf der Route der neuen Seidenstra­ße liegt. Die Kommunisti­sche Partei drängt auch ausländisc­he Unternehme­n, dort zu investiere­n. Ob dies unmoralisc­h ist, lässt sich nicht leicht beantworte­n, wie die Argumentat­ion von VW verdeutlic­ht: Man sichere dort schließlic­h Arbeitsplä­tze. Rund ein Viertel der Mitarbeite­r würden den Minderheit­en angehören. Im Werk gebe es einen Gebetsraum für Muslime. Und dass die Uiguren bei VW unter Zwang arbeiten würden, weist das Unternehme­n zurück.

Zudem muss man dem Autobauer zugutehalt­en: Als dieser das Werk 2013 eröffnete, war die katastroph­ale Entwicklun­g der Menschenre­chtslage keinesfall­s abzusehen.

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