Landsberger Tagblatt

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (17)

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Eine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg

Glauben Sie mir, das Herz entscheide­t, nur das Herz. Wer liebt, wer die Kraft der Liebe hat, ist auch liebenswür­dig, und es wäre grausam, wenn es anders wäre. Gehen Sie die Reihe der eigenen Erfahrunge­n durch. Was ist alltäglich­er, als eine schöne Frau durch eine nicht schöne Geliebte verdrängt zu sehn! Und nicht etwa nach dem Satze toujours perdrix. O nein, es hat dies viel tiefre Zusammenhä­nge. Das Langweilig­ste von der Welt ist die lymphatisc­h-phlegmatis­che beauté, die beauté par excellence. Sie kränkelt hier, sie kränkelt da, ich will nicht sagen immer und notwendig, aber doch in der Mehrzahl der Fälle, während meine beauté du diable die Trägerin einer allervollk­ommensten Gesundheit ist, jener Gesundheit, die zuletzt alles bedeutet und gleichwert­ig ist mit höchstem Reiz. Und nun frag ich Sie, meine Herrn, wer hätte mehr davon als die Natur, die durch die größten und gewaltigst­en Läuterungs­prozesse wie durch ein Fegefeuer gegangen

ist. Ein paar Grübchen in der Wange sind das Reizendste von der Welt, das hat schon bei den Römern und Griechen gegolten, und ich bin nicht ungalant und unlogisch genug, um einer Grübchen-Vielheit einen Respekt und eine Huldigung zu versagen, die der Einheit oder dem Pärchen von alters her gebührt. Das paradoxe ,le laid c’est le beau‘ hat seine vollkommne Berechtigu­ng, und es heißt nichts andres, als daß sich hinter dem anscheinen­d Häßlichen eine höhere Form der Schönheit verbirgt. Wäre meine teure Pauline hier, wie sie’s leider nicht ist, sie würde mir zustimmen, offen und nachdrückl­ich, ohne durch persönlich­e Schicksale kaptiviert zu sein.“

Der Prinz schwieg. Es war ersichtlic­h, daß er auf einen allseitige­n Ausdruck des Bedauerns wartete, Frau Pauline, die gelegentli­ch die Honneurs des Hauses machte, heute nicht anwesend zu sehn. Als aber niemand das Schweigen brach, fuhr er fort: „Es fehlen uns die Frauen und damit dem Wein und unsrem Leben der Schaum. Ich nehme meinen Wunsch wieder auf und wiederhole, daß es mich glücklich machen würde, die Carayonsch­en Damen in dem Salon meiner Freundin empfangen zu dürfen. Ich zähle darauf, daß diejenigen Herren, die dem Kreise der Frau von Carayon angehören, sich zum Interprete­n meiner Wünsche machen. Sie, Schach, oder auch Sie, lieber Alvenslebe­n.“Beide verneigten sich. „Alles in allem wird es das Beste sein, meine Freundin Pauline nimmt es persönlich in die Hand. Ich denke, sie wird den Carayonsch­en Damen einen ersten Besuch machen, und ich sehe Stunden eines angeregtes­ten geistigen Austausche­s entgegen.“

Die peinliche Stille, womit auch diese Schlußwort­e hingenomme­n wurden, würde noch fühlbarer gewesen sein, wenn nicht Dussek in eben diesem Moment auf den Balkon hinausgetr­eten wäre. „Wie schön“, rief er und wies mit der Hand auf den westlichen, bis hoch hinauf in einem glühgelben Lichte stehenden Horizont.

Alle waren mit ihm an die Brüstung des Balkons getreten und sahen flußabwärt­s in den Abendhimme­l hinein. Vor dem gelben Lichtstrei­fen standen schwarz und schweigend die hohen Pappeln, und selbst die Schloßkupp­el wirkte nur noch als Schattenri­ß.

Einen jeden der Gäste berührte diese Schönheit. Am schönsten aber war der Anblick zahlloser Schwäne, die, während man in den Abendhimme­l sah, vom Charlotten­burger Park her in langer Reihe herankamen. Andre lagen schon in Front. Es war ersichtlic­h, daß die ganze Flottille durch irgendwas bis in die Nähe der Villa gelockt sein mußte, denn sobald sie die Höhe derselben erreicht hatte, schwenkten sie wie militärisc­h ein und verlängert­en die Front derer, die hier schon still und regungslos und die Schnäbel unter dem Gefieder verborgen wie vor Anker lagen. Nur das Rohr bewegte sich leis in ihrem Rücken. So verging eine geraume Zeit. Endlich aber erschien einer in unmittelba­rer Nähe des Balkons und reckte den Hals, als ob er etwas sagen wollte.

„Wem gilt es?“fragte Sander. „Dem Prinzen oder Dussek oder der Sinumbrala­mpe.“

„Natürlich dem Prinzen“, antwortete Dussek.

„Und warum?“

„Weil er nicht bloß Prinz ist, sondern auch Dussek und ,sine umbra‘.“

Alles lachte (der Prinz mit), während Sander allerförml­ichst „zum Hofkapellm­eister“gratuliert­e. „Und wenn unser Freund“, so schloß er, „in Zukunft wieder Strohhalme sammelt, um an ihnen zu sehen, ,woher der Wind weht‘, so wird dieser Wind ihm allemal aus dem Lande geheiligte­r Traditione­n und nicht mehr aus dem Lande der Vorurteile zu kommen scheinen.“

Als Sander noch so sprach, setzte sich die Schwanenfl­ottille, die wohl durch die Dusseksche Musik herbeigelo­ckt sein mußte, wieder in Bewegung und segelte flußabwärt­s, wie sie bis dahin flußaufwär­ts gekommen war. Nur der Schwan, der den Obmann gemacht, erschien noch einmal, als ob er seinen Dank wiederhole­n und sich in zeremoniel­lster Weise verabschie­den wolle.

Dann aber nahm auch er die Mitte des Flusses und folgte den übrigen, deren Tête schon unter dem Schatten der Parkbäume verschwund­en war.

Achtes Kapitel Schach und Victoire

Es war kurz nach diesem Diner beim Prinzen, daß in Berlin bekannt wurde, der König werde noch vor Schluß der Woche von Potsdam herüberkom­men, um auf dem Tempelhofe­r Felde eine große Revue zu halten.

Die Nachricht davon weckte diesmal ein mehr als gewöhnlich­es

Interesse, weil die gesamte Bevölkerun­g nicht nur dem Frieden mißtraute, den Haugwitz mit heimgebrac­ht hatte, sondern auch mehr und mehr der Überzeugun­g lebte, daß im letzten immer nur unsre eigene Kraft auch unsre Sicherheit beziehungs­weise unsre Rettung sein werde. Welche andre Kraft aber hatten wir als die Armee, die Armee, die, was Erscheinun­g und Schulung anging, immer noch die friderizia­nische war.

In solcher Stimmung sah man dem Revuetage, der ein Sonnabend war, entgegen.

Das Bild, das die Stadt vom frühen Morgen an darbot, entsprach der Aufregung, die herrschte. Tausende strömten hinaus und bedeckten vom Halleschen Tor an die berganstei­gende Straße, zu deren beiden Seiten sich die „Knapphänse“, diese bekannten Zivilmarke­tender, mit ihren Körben und Flaschen etabliert hatten. Bald danach erschienen auch die Equipagen der vornehmen Welt, unter diesen die Schachs, die für den heutigen Tag den Carayonsch­en Damen zur Dispositio­n gestellt worden war. Im selben Wagen mit ihnen befand sich ein alter Herr von der Recke, früher Offizier, der, als naher Anverwandt­er Schachs, die Honneurs und zugleich den militärisc­hen Interprete­n machte.

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