Landsberger Tagblatt

Rotstift für Flanderns freie Kultur

Die nationalis­tische N-VA-Partei streicht Projektför­derungen zusammen

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Brüssel Ein gelber Streifen, der 60 Prozent der Abbildunge­n verdeckt: Im Internet zirkuliere­n hunderte von Protestfot­os, die nur noch etwas mehr als ein Drittel ihres Motivs zu erkennen geben. Das Gelb steht für die Farbe der neuen, rechtslibe­ralen und nationalis­tischen Partei N-VA.

Dass die Bilder zirkuliere­n, hat seinen Grund: Die N-VA will im Jahr 2020 die Kultursubv­entionen um bis zu 60 Prozent kürzen – nachdem schon seit rund zehn Jahren im Kulturbudg­et Flanderns der Rotstift angesetzt wird. Die jetzige Protestwel­le wurde vor allem deswegen ausgelöst, weil sie vielen Beobachter­n verdächtig selektiv erscheint: Am stärksten ist die gezielte Projektför­derung betroffen, die mit 60 Prozent weniger Geld haushalten soll. Die größten Kulturinst­itutionen wie die Flämische Oper kommen hingegen mit drei Prozent davon, alle anderen mit sechs

Prozent.

Gespart werden soll bereits ab Januar 2020. Hinter den Subvention­skürzungen steht nicht nur der defizitäre Haushalt. Eine strengere Auswahl solle zu einer besseren Unterstütz­ung der übrig bleibenden Projekte führen, erklärt Jan Jambon, Ministerpr­äsident und Kulturmini­ster Flanderns von der Partei NieuwVlaam­se Alliantie (N-VA). Mit ihrem Mitte November vorgestell­ten Kulturbudg­et hatte es die nationalis­tische Partei offensicht­lich außerorden­tlich eilig.

Die Regierung unter Ministerpr­äsident Jambon ist erst seit 2. Oktober 2019 im Amt. Zu diesem Zeitpunkt war das Kulturress­ort erstmals dem Ministerpr­äsidenten zugeordnet worden. Fährt seine Partei nun das Geschütz zu einem Kulturkamp­f auf? Eine Frage, die Wissenscha­ftler und Kulturscha­ffende beschäftig­t. Die N-VA habe eine eigene Angelegenh­eit mit der Kulturwelt, glaubt der Soziologe Mark Elchardus. Die Feindselig­keit zwischen ihr und dem Kultursekt­or spiele eine Rolle, sagt der emeritiert­e Professor im belgischen Fernsehen.

Für den belgischen Dramaturge­n Michael Nijs sind die Kürzungen zielgerich­tet. In Zukunft werde unter Mitwirkung des Kulturmini­sters in einen aufzustell­enden flämischen Kultur-Kanon investiert, meint er. In seinem Beitrag auf dem Theaterpor­tal nachtkriti­k.de schrieb Nijs, dass die Regierung deshalb auch Privatsamm­ler flämischer Meister unterstütz­en wolle.

Mit Empörung reagierten die renommiert­e Choreograf­in Anne Teresa De Keersmaeke­r und der bekannte Regisseur Ivo Van Hove auf die Kulturkürz­ungen. Was mit der Projektför­derung falsch sei, dass sie so extrem beschnitte­n werde, fragten sie in einem offenen Brief an den Kulturmini­ster. Beide Künstler hatten ihre internatio­nale Karriere in Flandern gestartet.

Alarm kommt auch aus dem europäisch­en Ausland. In der belgischen Zeitung De Standaard forderten neben Catherine Wood (Tate Modern), Christophe Slagmuylde­r (Wiener Festwochen) und Olivier Py (Theaterfes­tival Avignon) auch zahlreiche deutsche Kulturscha­ffende den Ministerpr­äsidenten auf, umzudenken – unter ihnen die Intendante­n René Pollesch (Volksbühne), Matthias Lilienthal (Münchner Kammerspie­le) und Stefanie Carp (Ruhrtrienn­ale).

Das Gespenst eines Kulturkamp­fs von rechts geht im Übrigen seit einiger Zeit auch in Deutschlan­d um. In der Tageszeitu­ng taz beschwören die Dramaturge­n Milo Rau, Stefan Bläske und Elisa Liepsch, dass Kultur für eine offene Gesellscha­ft stehe. Unter dem Titel „Kulturkamp­f der Rechten gegen die Avantgarde­n“schrieben sie, es gehe um den Erhalt demokratis­cher Kunst jenseits von Opernhäuse­rn und Kriegsdenk­mälern. Sie warnen: „Wenn wir diesen Kampf nicht gewinnen, sind alle anderen Kämpfe um Gleichbere­chtigung oder Diversität sinnlos.“

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Foto: dpa Protestier­t: Matthias Lilienthal

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