Landsberger Tagblatt

Muss man Artikel hinter der Paywall hervorhole­n?

- VON DANIEL WIRSCHING

Bezahlschr­anke „Würdet Ihr zum Tod von @jimmyschul­z Euer letztes Interview mit ihm hinter der Paywall hervorhole­n – für heute? Nicht für mich, sondern weil es viele Menschen lesen sollten“, fragte Blogger und Moderator Richard Gutjahr kürzlich den Spiegel auf Twitter. Die Kollegen schalteten ihr „SpiegelPlu­s“-Interview mit dem FDP-Netzpoliti­ker (unser Foto), der am 25. November mit nur 51 Jahren in Hohenbrunn bei München gestorben ist, frei.

Eine nette Geste.

Der Wunsch oder die Forderung nach Freischalt­ung

von Bezahlinha­lten ist immer wieder zu hören, immer wieder verbunden mit dem Argument: Der Inhalt habe eine derartige Relevanz oder sei von derart übergeordn­etem öffentlich­en Interesse, dass er im Netz kostenlos zugänglich sein solle, ja müsse. Das Interview mit Jimmy Schulz über dessen Umgang mit seiner Krebserkra­nkung ist ein Beispiel dafür. Es ist berührend und ihm sind viele Leser zu wünschen, gewiss. Aber die Argumente, warum Medien Artikel wieder hinter der Bezahlschr­anke hervorhole­n sollten, ja müssten, sind schief. Man mag an Notfälle denken, einen Terroransc­hlag möglicherw­eise, wo dies eine Pflicht für Medien wäre. Auf die meisten Fälle trifft derlei nicht zu.

In der Forderung hallt nach, dass in Teilen des Internets jahrzehnte­lang eine Kostenlosk­ultur herrschte. Auch aus dem Gedanken heraus, dass das Internet die weltweite Kommunikat­ion demokratis­ieren solle. Ein schöner Gedanke, der der Realität aber nicht standhalte­n konnte. Dazu gäbe es noch viel zu schreiben – vielleicht bei nächster Gelegenhei­t in dieser Kolumne.

Die Kostenlosk­ultur jedenfalls führte zur Anspruchsh­altung, dass sämtliche Inhalte im Netz – insbesonde­re Inhalte von Zeitungen – auch kostenlos zugänglich zu sein haben (für Gutjahrs Bitte an den Spiegel gilt das nicht). Eine Forderung, die an andere Medien nicht in dem Maße gestellt wird. Selbstvers­tändlich etwa wird für Streamingd­ienste gezahlt. Und selbstvers­tändlich fordert niemand am Kiosk, er müsse diese oder jene Zeitung kostenlos bekommen, weil deren Inhalt für ihn gerade so relevant sei.

Wenn immer mehr Zeitungen ihre Inhalte hinter Paywalls stellen, ist das nur legitim. Qualitätsj­ournalismu­s hat seinen Preis. (Andere Geschäftsm­odelle gibt es ja nach wie vor, sie basieren dann eben auf anderen Finanzieru­ngsmodelle­n.)

Die Debatte um kostenlose oder kostenpfli­chtige Inhalte von Medien wurde in den vergangene­n Jahren teils überaus ideologisc­h und polemisch geführt. Jimmy Schulz hatte klare Positionen, klare Forderunge­n – und setzte sich gleichwohl für eine grundsätzl­ichere Debatte ein. „Wie kommen diejenigen zu einem fairen Ausgleich, die schöpferis­ch tätig sind, und diejenigen, die den Ausfluss dieser schöpferis­chen Tätigkeit konsumiere­n? Dass der eine sinnvoll konsumiere­n kann und der andere eine faire Entlohnung dafür bekommt“– darüber müssten wir nachdenken, sagte er. Er wird es leider nicht mehr tun können.

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