Der Dießener Maestro del Gelato ist tot
Patrizio Visentin betrieb bis 2017 die Eisdiele in der Prinz-Ludwig-Straße in Dießen. Dann ging er nach Bergamo, um dort seinen Ruhestand zu verbringen. Jetzt ist er am Coronavirus gestorben
Dießen/Bergamo Jahrelang war er eine Dießener Institution, bekannt und beliebt bei Jung und Alt: Patrizio Visentin betrieb von Februar 2011 bis Herbst 2017 mit seiner Frau Giuditta das „Casa Del Gelato“an der Prinz-Ludwig-Straße. Praktisch jeder in der Marktgemeinde kannte den freundlichen Mann mit dem leicht schelmischen Lächeln, der seine Gäste mit immer neuen Eiskreationen verwöhnte. Um seinen Lebensabend zu genießen, zog das Ehepaar Visentin vor zwei Jahren zurück nach Italien. Doch nun erreichte Dießen eine erschütternde Nachricht: Vergangenen Montag ist Patrizio Visentin im Alter von nur 67 Jahren an einer Infektion mit dem Coronavirus verstorben.
Täglich erreichen uns neue Horrornachrichten über die Todesraten in Italien und insbesondere aus dem Epizentrum der Corona-Pandemie, der Stadt Bergamo nordöstlich von Mailand. Dort musste vergangene Woche das Militär den Transport von Toten zu Krematorien außerhalb der Stadt übernehmen, weil die Kapazitäten in Bergamo für die große Zahl der Verstorbenen nicht mehr ausreichten. Noch bedrückender wird dieses Szenario, wenn man sich klar macht, dass hinter jedem Toten ein Einzelschicksal, trauernde Familien und Freunde stehen – und wenn man einen der Toten selbst gekannt und geschätzt hat. So wie eben Patrizio Visentin.
Giuditta und Patrizo Visentin stammen aus der Region Venetien. Doch schon vor Jahrzehnten verschlug es sie nach Deutschland, zunächst nach Nordrhein-Westfalen. In Mülheim an der Ruhr betrieben sie lange Zeit ein legendäres Eiscafé, Stammlokal von Schauspielern und Künstlern, darunter etwa der bekannte Musiker und Komödiant Helge Schneider. 2011 nutzten sie die Gelegenheit, ihrer Heimat wieder ein Stück näherzurücken und eröffneten in Dießen ein kleines Eiscafé: Das Casa Del Gelato direkt an Dießens wichtigster Verkehrsader, der Prinz-Ludwig-Straße. Dementsprechend laut und lebendig ging es hier meist zu, typisch italienisch eben. Und während Giuditta vorne an der Theke die Gäste mit Eis und Kaffee versorgte (manchmal auch mit einem Glas Grappa di Prosecco) und dabei immer für einen Ratsch über Gott und die Welt zu haben war, werkelte der eher wortkarge Patrizio buchstäblich im Hintergrund und mischte an der Eismaschine seine Kreationen: BasilikumLimone, Cheesecake-Erdbeer, Holunder-Joghurt – vor allem aber sein unerreichtes Schokoladeneis, für das er grundsätzlich nur aus Italien mitgebrachte Schokolade verwendete.
Während Giuditta gerne noch ein bisschen in Dießen geblieben wäre, wollte Patrizio vor etwas mehr als zwei Jahren unbedingt zurück nach Italien. Und weil sie nach all den Jahrzehnten in Deutschland in ihrer Heimatregion Venetien kaum noch alte Bekannte und Verwandte hatten, zog es die Visentins nach Bergamo, in die Nähe ihrer Tochter Lisa, die inzwischen in Mailand in einer Patentanwaltskanzlei arbeitete.
Kaum eine Region ist so betroffen von Corona wie die Lombardei und besonders schlimm ist es in Bergamo, so schlimm, dass das Gesundheitssystem dort längst kollabiert. Laut Bürgermeister gibt es in Bergamo praktisch keine Familie mehr, die nicht von Corona betroffen wäre. Patrizio Visentin infizierte sich mit dem heimtückischen Virus. Am Montag vergangener Woche erlag er der Krankheit, nur sechs Tage nach seinem 67. Geburtstag. Sein Körper habe den Kampf gegen das Coronavirus verloren, schreibt seine Frau Giuditta aus Bergamo und bedankt sich für die Anteilnahme von Freunden am Ammersee. Sie ist inzwischen bei ihrer Tochter und deren
Die Witwe appelliert: Bleibt zu Hause
Ehemann untergekommen – in Quarantäne, wie die ganze Region. „Wir sind alle gesund und wir dürfen, wie alle anderen, nicht raus gehen“, schreibt Giuditta. „Hier ist es wirklich eine Katastrophe.“Und sie hat noch einen Rat für ihre Freunde in Bayern, wo das Coronavirus längst ebenfalls angekommen ist und wo inzwischen auch eine Ausgangsbeschränkung gilt: „Bleibt zu Hause.“