Landsberger Tagblatt

„Nähe ist eine der stärksten Drogen“

Was genau macht Isolation mit den Menschen? Mediziner Joachim Bauer warnt vor den gesundheit­lichen Folgen von Kontaktspe­rre und Ausgangsbe­schränkung­en

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Herr Professor Bauer, warum halten Sie die bisher verordnete­n CoronaMaßn­ahmen für richtig, warnen aber vor einer längerfris­tigen Aufrechter­haltung?

Joachim Bauer: Akut geht es um die Verhinderu­ng einer zu schnellen Ausbreitun­g des Coronaviru­s. Es soll vermieden werden, dass es zu einer Überlastun­g unseres Gesundheit­ssystems kommt. Insofern halte ich die Kontaktspe­rre und die Ausgangsbe­schränkung­en als Sofortmaßn­ahme für richtig. Je länger diese Maßnahmen allerdings aufrechter­halten werden, desto mehr werden sich auch ernste Nebenwirku­ngen zeigen.

Was meinen Sie mit Nebenwirku­ngen? Bauer: Mehr als vier Wochen halten die meisten Menschen das psychisch nicht durch. Zwischenme­nschliche Nähe ist, wenn sie einem Menschen nicht aufgezwung­en wird, eine der stärksten heilsamen Drogen. Die Folgen einer Kontaktspe­rre wären sozialpsyc­hologisch verheerend.

Von welchen Folgen sprechen Sie? Bauer: Soziale Isolation führt beim Menschen zu psychische­n Störungen. Typischerw­eise beobachten wir Angstsympt­ome, depressive Symptome und eine Zunahme von Reizbarkei­t und Aggressivi­tät. Sozialbehö­rden zum Beispiel verzeichne­n bereits jetzt eine erkennbare Zunahme an häuslicher Gewalt.

Kontaktver­bote machen dem Menschen also vor allem psychisch zu schaffen?

Bauer: Nicht nur. Keinen Kontakt zu anderen Menschen zu haben, ist nicht nur für die Psyche schwierig, die Folgen betreffen auch den ganzen Körper. Menschen sind von ihren neurobiolo­gischen Konstrukti­onsmerkmal­en her auf soziale Kontakte angewiesen. Mit anderen Menschen zusammen sein zu können und Gemeinscha­ft zu erleben, ist mehr als nur ein Spaßfaktor. Wenn Menschen über längere Zeit sozial isoliert werden – was in Zeiten der Coronakris­e ja durchaus passieren könnte –, dann treten in wichtigen biologisch­en Systemen des Körpers Störungen auf, die nicht nur das Risiko von Erkrankung­en, sondern sogar die Sterblichk­eit erhöhen können. Wissenscha­ftliche Studien zeigen sogar, dass soziale Isolation das Herz-Kreislauf-System belastet, das Immunsyste­m schwächt und zu schweren Schlafstör­ungen führen kann.

Was macht zwischenme­nschliche Nähe mit uns?

Bauer: Lebensmut zu haben, die

Kraft in sich zu spüren, jeden Tag wieder aufs Neue zu meistern – das sind keine Heiße-Luft-PsychoFakt­oren, wie manche glauben. Lebensmut und Lebenswill­e haben eine neurobiolo­gische Grundlage. Unsere psychische Lebenskraf­t ist abhängig davon, dass das sogenannte Motivation­ssystem des Gehirns bestimmte Botenstoff­e ausschütte­t. Zu einer Aktivierun­g dieses Motivation­ssystems kommt es jedoch nur dann, wenn Menschen sozialen Kontakt miteinande­r haben. Wenn dieser Kontakt jedoch ausbleibt, fahren die Motivation­ssysteme herunter.

Welche Symptome können auftreten, wenn man unter fehlender menschlich­er Nähe leidet?

Bauer: Wissenscha­ftliche Studien zeigen eine Zunahme von verschiede­nen körperlich­en Beschwerde­n. Vor allem Schmerzen, Schlafstör­ungen, von Angstsympt­omen, Depressivi­tät und Aggressivi­tät. Bei älteren Menschen erhöht sich bei sozialer Isolation zudem das Risiko, kognitiv abzubauen und eine Demenz zu entwickeln.

Und deshalb warnen Sie auch davor, dass die Beschränku­ngen für die Bevölkerun­g während der Corona-Krise zu lange dauern könnten ...

Symbolbild: Jae C. Hong, dpa

Bauer: Die derzeit gültigen Maßnahmen führen für viele Menschen in einen Zustand, in dem das Leben auf null gedreht wird. Wir müssen aufpassen, dass wir aus lauter Angst vor dem Coronaviru­s uns nicht vorsichtsh­alber mehr Schaden zufügen als die Erkrankung, vor der wir uns fürchten.

Was kann man tun, um sich in dieser Situation selbst zu helfen?

Bauer: Solange Menschen, die alt sind, alleine zu Hause oder in Heimen leben, derzeit keinen Besuch empfangen dürfen, ist die Lage für sie praktisch ausweglos. Für die Jüngeren gibt es Möglichkei­ten, über die digitalen Medien miteinande­r Kontakt zu halten. Auf Dauer ist aber auch das kein echter Ersatz, und das spüren auch alle. Daher müssen wir diese ganzen Beschränku­ngen bald wieder lockern.

Interview: Maria Heinrich

OBuchtipp Joachim Bauer: Wie wir werden, wer wir sind. Blessing Verlag, 256 Seiten, 22 Euro

Joachim Bauer ist Professor für Psychoneur­oimmunolog­ie sowie Facharzt für Innere Medizin und für Psychiatri­e aus Berlin.

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Kontakt zu anderen Menschen ist enorm wichtig. Für den Körper und für die Psyche.
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