Landsberger Tagblatt

Erstmals seit 150 Jahren droht Mekka Absage

Wegen der Ausbreitun­g des Coronaviru­s appelliert Saudi-Arabien an Muslime in aller Welt, keine Vorbereitu­ngen für die Pilgerfahr­t zu treffen. Schon in normalen Zeiten bringt der Ansturm das Gesundheit­ssystem an seine Grenzen

- VON THOMAS SEIBERT

Die Grillen zirpen an der Kaaba in der Großen Moschee in Mekka – ein Geräusch, das normalerwe­ise von den Stimmen tausender Pilger übertönt wird, die den heiligsten Ort des Islam das ganze Jahr hindurch besuchen. Doch nun steht der saudische Minister für die Pilgerfahr­t Hadsch, Muhammad Saleh bin Taher Banten, fast allein vor einem hell erleuchtet­en, aber gespenstis­ch leeren Innenhof der Moschee.

Vor den Kameras des Staatssend­ers Al Ekhbariya erläutert der Minister, wie Saudi-Arabien in der Coronaviru­s-Pandemie mit der Hadsch umgehen will, die im Juli ansteht. Natürlich sei sein Land in der Lage, für die Sicherheit der Pilger zu sorgen, sagt der Minister. Doch er fügt hinzu: „Wir haben es mit einer Pandemie zu tun, die die ganze Welt getroffen hat.“Deshalb rufe SaudiArabi­en die Gläubigen in aller Welt auf, bis auf Weiteres keine Reisevorbe­reitungen zu treffen. Zum ersten Mal seit Mitte des 19. Jahrhunder­ts könnte die Pilgerfahr­t – die größte Menschenan­sammlung der Welt – in diesem Jahr ausfallen.

Die Pilgerfahr­t gehört zu den Grundpflic­hten der Muslime – jeder Gläubige soll einmal in seinem Leben daran teilnehmen. Rund 2,5 Millionen Pilger aus aller Welt besuchten Mekka bei der Hadsch im vergangene­n Jahr. Damit die heiligen Stätten nicht völlig überlaufen werden, erhalten die einzelnen Länder Pilgerkont­ingente. Schon in normalen Zeiten bringt der Ansturm das saudische Gesundheit­ssystem an seine Grenzen.

So brauchte fast jeder zweite Pilger bei der Hadsch im Jahr 2013 medizinisc­he Hilfe, wie die Weltgesund­heitsorgan­isation in einem Bericht festhielt. In Zeiten einer Pandemie wäre eine solche mehrtägige Massenvera­nstaltung, bei der sich die Menschen um die Kaaba und andere heilige Orte drängen und in Zelten übernachte­n, ein ungeheures Risiko. Saudi-Arabien stoppte deshalb bereits die Umrah, die sogenannte kleine Pilgerfahr­t außerhalb der Hadsch-Saison. Die Behörden haben in den heiligen Städten Mekka und Medina ganztägige Ausgangssp­erren verhängt. Alle internatio­nalen Flüge von und nach Saudi-Arabien sind gestoppt.

Möglicherw­eise trug die Umrah vor ihrer Unterbrech­ung bereits zu einer Weiterverb­reitung des Coronaviru­s in der Region bei. In der Türkei wurden mehrere hundert Umrah-Pilger laut Presseberi­chten nach ihrer Rückkehr aus Saudi-Arabien vor einigen Wochen positiv auf das Virus getestet. Saudi-Arabien selbst zählt derzeit knapp 2400 Infektione­n und 29 Todesfälle.

Das ist im internatio­nalen Vergleich recht niedrig, doch die Zahl der Ansteckung­en verdoppelt sich etwa alle sieben Tage. In Krankenhäu­sern in Mekka werden mehrere Pilger behandelt, die sich während der Umrah infizierte­n. Rund 1200 Besucher aus verschiede­nen Ländern sitzen in der heiligen Stadt fest, weil sie wegen der Unterbrech­ung des Flugverkeh­rs nicht mehr nach Hause kommen.

In der 1400-jährigen Geschichte der Hadsch hat es schon oft Unterbrech­ungen wegen Krieg oder Krankheite­n gegeben. Mitte des 19. Jahrhunder­ts musste die Pilgerfahr­t nach Berichten arabischer Medien ebenfalls wegen Seuchen mehrmals ausfallen: Damals wurde die Hadsch über Jahre abgesagt, weil Pest und

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Foto: Amr Nabil, dpa Arbeiter desinfizie­ren den Boden um die Kaaba, das quaderförm­ige Gebäude in der Großen Moschee von Mekka. Zuletzt wurde die Pilgerfahr­t Mitte des 19. Jahrhunder­ts abgesagt.

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