Söder nimmt sich Österreich zum Vorbild
Bayern folgt der Wiener Linie, will die Sperren aber auch nicht zu früh lockern
München Bayern folgt bei der Corona-Bekämpfung weiterhin dem Vorbild Österreichs – allerdings mit einem Zeitverzug von etwa drei Wochen. Das hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Dienstag klargestellt und damit auch Hoffnungen auf eine baldige Lockerung der Beschränkungen in Bayern und Deutschland eine Absage erteilt. Entgegen ersten Meldungen vom Montagabend sei im Nachbarland „mehr verlängert als gelockert worden“. Lediglich kleineren Läden werde dort in einem ersten Schritt erlaubt, wieder zu öffnen. Deshalb solle sich niemand täuschen. „Wir sind noch lange nicht über den Berg.“Es werde nach Ostern „nicht einfach so weitergehen wie vorher“, sagte Söder und deutete an, dass nicht nur Gastronomie und Geschäfte, sondern auch die Schulen über den 19. April hinaus in Bayern geschlossen bleiben könnten.
Wie es danach weitergehen könne, werde nächste Woche zwischen Bund, Ländern und dem Expertenrat besprochen. „Wer zu früh lockert, wer zu schnell etwas riskiert, der könnte einen Rückfall verantworten“, sagte Söder und kündigte an, dass zunächst Perspektiven, Stufen und Zeitachsen zu entwickeln sein werden. Auch hier verwies er auf Österreich. Er habe „Sympathie für das Wiener Modell“. Der Grundgedanke sei: „So lange wie nötig, so sicher wie möglich, aber auch so viele Freiheitschancen wie möglich umzusetzen.“Am Ende werde ein Dreiklang stehen: Anpassung an die Situation und Erleichterungen, Auflagen mit hohem Schutz und ein noch intensiveres Nachverfolgen der Infektionsketten.
„Hochwahrscheinlich“sei beispielsweise, dass eine Lockerung der Beschränkungen mit der Verpflichtung einhergehe, Masken zu tragen. Dass es Änderungen in jenen Bereichen geben könnte, wo es nicht möglich ist, Abstand zu halten, sei dagegen nicht wahrscheinlich, sagte Söder und nannte Veranstaltungen, Gastronomie, Diskotheken und Hotels. Ob und wann welche Geschäfte wieder öffnen dürfen, werde man gemeinschaftlich auf nationaler und bayerischer Ebene diskutieren. „Menschenleben“, so Söder, „gehen einfach vor Shoppingtouren.“
Vergleichsweise vage blieb der Ministerpräsident in der Frage, wann die Schulen ihren Betrieb wieder aufnehmen. „Aus meiner Sicht ist klar: Wir wollen erreichen, dass diejenigen, die Abschlussklassen haben, eine Möglichkeit haben, diese zu bestehen“, sagte Söder. Das müsse aber nicht automatisch im normalen Schulbetrieb erfolgen. Das könne auch in anderer Form erreicht werden. Außerdem müsse man die Lehrpläne für das laufende Schuljahr anpassen. Und klar ist aus seiner Sicht auch, dass es nicht möglich sein wird, Grundschülern eine Maskenpflicht zu verordnen.
Nach Einschätzung der FDP sollen die Schulen zu den ersten Einrichtungen
FDP will Schulen bald wieder öffnen
gehören, die wieder öffnen. „Jedem Experten ist klar, dass wir den gegenwärtigen Shutdown nicht auf Dauer durchhalten können“, betonte der Geschäftsführer der liberalen Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, gegenüber unserer Redaktion. Auch in hoch automatisierten Betrieben, in denen Beschäftigte die Abstände einhalten können, sollte es möglich sein, die Tätigkeit bald wieder aufzunehmen.
Im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus sieht Söder Fortschritte: „Der positive Trend in Bayern setzt sich glücklicherweise fort.“Binnen eines Tages habe es ein Plus bei den Infektionen von 4,8 Prozent gegeben, die Verdopplungszeit liege nun bei 8,6 Tagen. Am Freitag waren es noch sechs Tage.
Herr Buschmann, Österreich hat die Lockerung seiner Corona-Maßnahmen angekündigt. Sollte Deutschland nachziehen?
Marco Buschmann: Wir brauchen in Deutschland eine Debatte über Exit-Optionen. Dabei geht es nicht um Alles oder Nichts. Vielmehr müssen wir für jeden einzelnen Lebensbereich aufzeigen, unter welchen Bedingungen man dort Lockerungen durchführen kann. Jedem Experten ist klar, dass wir den jetzigen Shutdown nicht auf Dauer durchhalten können.
Die Bundesregierung sieht den Zeitpunkt, über Lockerungen zu diskutieren, noch nicht gekommen. Muss im Moment nicht die Rettung von so vielen Menschenleben wie möglich im Vordergrund stehen?
Buschmann: Ich möchte auch Menschenleben retten. Es geht um medizinisch vertretbare Lockerungen. Es muss jedem klar sein, dass die Aufrechterhaltung des Shutdowns zu großen medizinischen Problemen führt. Das gilt etwa bei der medizinischen Behandlung anderer Krankheiten als Covid-19 und bei psychosozialen Krankheiten, die stressbedingt sind, etwa Depression. Die schlichte Behauptung, es gehe nur um Geld oder Leben, trägt nicht.
Wie lange kann Deutschland Ihrer Meinung nach die Maßnahmen maximal aufrechterhalten?
Buschmann: Ich halte nichts davon, ein konkretes Datum zu nennen. Wir wissen aber, dass jeder Monat zu extremen Belastungen führt. Eine Exit-Debatte muss sich an klaren Kriterien ausrichten, die medizinisch und ethisch gesichert sind. Wenn wir Erkenntnisse darüber haben, dass bestimmte Verhaltensmuster von Menschen nicht zu Infektionen führen, dann muss man dieses Verhalten auch wieder erlauben. Zeigt die Forschung etwa, dass sich Menschen so gut wie nie im Einzelhandel anstecken, muss man Einzelhandel auch wieder zulassen. Gegebenenfalls mit den entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen.
Was könnten weitere Schritte auf dem Weg zurück zur Normalität sein? Buschmann: In hoch automatisierten Betrieben, wo Maschinenbediener die Abstände zueinander einhalten können, sollte es möglich sein, die Tätigkeit wieder aufzunehmen. Und auch in Bereichen, wo die Gefahr schwerer Corona-Verläufe niedrig ist, etwa in Schulen, müssen wir über die Wiedereröffnung nachdenken. Das sind die Debatten, die wir führen müssen. Dabei geht es weniger um konkrete Daten im Kalender, sondern um Kriterien, was medizinisch verantwortbar und grundrechtlich geboten ist. Denn wir müssen aus dem Ausnahmezustand raus.
Was droht andernfalls?
Buschmann: Zahlreiche Experten haben auf die medizinischen und psychosozialen Schäden hingewiesen. Ökonomen weisen auf die enormen Kosten jeder weiteren Woche hin. Damit sind auch die Staatseinnahmen und die Finanzierung des Gesundheitswesens verbunden. Mehrere Wissenschaftler warnen, dass es zu ideologischen Radikalisierungen kommen könne. Denn wenn die Menschen merken, dass die Lage schlimmer wird, suchen sich einige leider immer wieder Sündenböcke. Selbst die Wohlfahrtsverbände haben vor sozialen Unruhen gewarnt. Ich verstehe diese Hinweise nicht als Panikmache. Sie verdeutlichen die Notwendigkeit, zu Lösungen bei der Exit-Debatte zu kommen.
Interview: Bernhard Junginger