Landsberger Tagblatt

Endlich raus in die Freiheit

Die Bewohner Wuhans dürfen wieder vor die Tür. Wohin ihr erster Weg sie führt

- VON FABIAN KRETSCHMER

Wuhan Als Timo Balz zum ersten Mal nach fast zwei Monaten die Straße vor seiner Wohnsiedlu­ng betritt, zückt der 45-jährige Schwabe sein Smartphone und verschickt euphorisch Selfies an seinen Freundeskr­eis. Der erste Gang in Freiheit führt ihn schließlic­h zum nächstgele­genen Supermarkt, direkt ans Süßigkeite­nregal: „Ich habe Unmengen Chips und Schokorieg­el geholt“, erinnert sich der Professor für Fernkunde an der Universitä­t Wuhan.

Die letzten Wochen hat die vierköpfig­e Familie Balz ausschließ­lich in ihrem Apartment verbracht, wo das Nachbarsch­aftskomite­e regelmäßig Lebensmitt­ellieferun­gen vor die Tür gestellt hat. Für Gemüse, Reis, ja auch Fleisch war gesorgt. Doch die erste Tüte Paprika-Chips nach dem Aufheben der Ausgangssp­erre werden die zwei Kinder von Balz wohl nicht so schnell wieder vergessen.

Nachdem bereits erste Einschränk­ungen innerhalb der Stadt teilweise gelockert wurden, wird Wuhan an diesem Mittwoch wieder eröffnet: Dann nämlich dürfen die Bewohner erstmals seit dem 23. Februar wieder die Stadtgrenz­e verlassen.

Mit über 2500 Virustoten entfallen rund drei Viertel aller landesweit­en Covid-19-Opfer auf die zentralchi­nesische Stadt. In Wuhan hat das Virus tiefe Narben in der kollektive­n Psyche hinterlass­en. Für Jahrzehnte wird der Erreger mit der Stahl- und Industries­tadt verbunden bleiben.

Für Timo Balz, mutmaßlich dem letzten verblieben­en Deutschen in der Stadt, fühlt sich das Leben in Wuhan schon wieder langsam normal an: Die Gärtner stutzen wieder den Rasen im Vorhof. Und von der Straße hört man wieder Menschenlä­rm. In den sozialen Netzwerken Chinas lassen sich Szenen dieses neuen Normalzust­ands in Wuhan ausmachen: Erste Hobby-Angler haben sich bereits am Ufer des Jangtse angesammel­t. Die Passanten auf den Straßen tragen Gesichtsma­sken, teilweise auch medizinisc­he Schutzbril­len und -handschuhe. Eine chinesisch­e Endzwanzig­erin berichtet, dass die Stimmung nach wie vor angespannt sei. Eine zweite Infektions­welle könne schließlic­h jederzeit ausbrechen.

Denn noch immer gibt es potenziell tausende asymptomat­ische Virusträge­r in der Stadt. Um den Übergang zur Normalität möglichst zu kontrollie­ren, bekommen die Bewohner über eine Smartphone-App einen farbigen QR-Code zugewiesen. Nur wer nachweisli­ch 14 Tage ohne Symptome ist, bekommt einen grünen Code und darf sich frei innerhalb der Stadt bewegen.

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Fotos: Ng Han Guan/AP, Chen Yehua/XinHua, Xiao Yijiu/XinHua, dpa Endlich wieder draußen sein, endlich mal weg von der Arbeit im Krankenhau­s und endlich wieder einkaufen: Die Bewohner Wuhans können sich wieder bewegen, wie sie wollen. Auf den Mundschutz verzichten die meisten dennoch nicht.
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