Ansturm auf Soforthilfe-Gelder
Wirtschaft Bayerns Unternehmen beantragen eineinhalb Milliarden Euro Unterstützung. Experten rechnen lange Zeit mit nachträglichen Prüfungen wegen Betrugs. Auch ehrlichen Firmen droht Ärger
Augsburg Wer erfahren möchte, wie es den kleinen und mittelständischen Unternehmen in der CoronaKrise geht, spricht am besten mit Sabine Beck – aber die hat eigentlich kaum Zeit. Denn während der Einzelhandel ruht, Cafés und Restaurants geschlossen sind, Theater zubleiben und manchen Handwerksbetrieben die Aufträge wegbrechen, versuchen Beck und ihre Mitarbeiter eine Flut von Anträgen auf Soforthilfe zu bewältigen. Sabine Beck leitet bei der Regierung von Schwaben den Bereich Wirtschaft, Landesentwicklung und Verkehr.
Wenn ein schwäbischer Unternehmer einen Antrag auf Soforthilfe stellt, landet dieser auf den Schreibtischen von Beck und ihren Kollegen – 30 700 Anträge waren das bislang. Seit drei Wochen, erzählt Beck, arbeitet die ganze Abteilung etwa zwölf Stunden am Tag. Auch an den Wochenenden. „Es geht jetzt wirklich darum, den Betroffenen schnell zu helfen“, sagt Beck.
Laut dem Soforthilfe-Programm können Unternehmen mit bis zu 250 Mitarbeitern, die wegen der Corona-Krise von Liquiditätsengpässen bedroht sind, Gelder erhalten – und müssen sie nicht wieder zurückzahlen. Am 1.April ist ein SoforthilfeProgramm des Bundes dazugekommen, das alle Unternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern auffangen soll. Die Nachfrage nach diesen Geldern ist hoch. Laut Wirtschaftsministerium waren aus ganz Bayern bis Montag etwa 230 000 Anträge auf Soforthilfe eingegangen. Insgesamt entspricht die Summe der eingegangenen Anträge knapp 1,5 Milliarden Euro. Ausgezahlt wurden bislang 474 Millionen Euro.
Auch der Bund der Selbstständigen in Bayern (BDS) hat seine Mitglieder befragt, wie viel Prozent Soforthilfen beantragt hätten – etwa 55 Prozent – und wie viele von ihnen schon einen positiven Bescheid erhalten hätten – rund 30 Prozent. Aber es gibt zwei Haken: Zum einen glaubt nur etwa ein Drittel der Mitglieder, dass die Gelder ausreichen werden, um Liquiditätsengpässe für die kommenden drei Monate auszugleichen. Zum anderen dauert es zwischen sechs und zwölf Tagen, bis das Geld auf den Konten eingeht. Zu lange, findet der Verband: Die Bewilligung dürfe höchstens 48 Stunden dauern, sagt Verbandspräsidentin Gabriele Sehorz.
Doch das schnelle Geld birgt auch eine Gefahr: die des Betrugs. Unternehmer, die eigentlich keinen Anspruch auf Hilfen hätten, könnten staatliche Gelder bekommen. Ministerpräsident Söder hatte eine nachträgliche Prüfung der Anträge angekündigt, um gegen Glücksritter und Trittbrettfahrer vorzugehen. Denkbar sei, „bei der Steuererklärung 2020 ein besonderes Augenmerk auf Unstimmigkeiten zu legen, da hier ja sowieso Angaben zum Umsatz, Aufträgen, Betriebsmittelkosten gemacht werden“, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium.
Die nachträgliche Prüfung könnte nicht nur schwarzen Schafen zum Verhängnis werden, sondern auch zahlreichen gut meinenden Antragstellern Ärger bereiten, wie der Augsburger Steuerrechtsexperte Ulrich Derlien von der Kanzlei Sonntag & Partner warnt. „Dem mühelosen Antragsverfahren stehen hohe inhaltliche Voraussetzungen der Zuschüsse gegenüber, die nur allzu leicht übersehen werden“, sagt er. So sei etwa allein der Wegfall von Einnahmen nicht ausreichend, sie müssten deutlich unter die Verbindlichkeiten fallen. Auch bei leichtfertig falschen oder unvollständigen Angaben drohten Verfahren wegen Subventionsbetrug oder falscher eidesstattlicher Versicherung.
„Der Corona-Welle könnte eine Strafverfolgungswelle folgen, weil sich die Antragsteller anders als etwa beim Bafög nicht auf eine Bewilligungsprüfung verlassen könnten“, warnt Derlien. Die Behörden hätten jedoch bis 2025 Zeit, nachträglich die Fälle aufzurollen. Dem Anwalt zufolge schwingen die Finanzämter dabei immer öfter die Strafrechtskeule: „Selbst der kleinste Verdacht von Ungereimtheiten in der Erklärung von steuerlichen Sachverhalten hat die Eröffnung von belastenden und langwierigen Steuerstrafverfahren zur Folge.“Deshalb sollten Antragsteller auch in der Corona-Krise zusammen mit ihrem Steuerberater penibel alle Beweise sichern.