Die Angst vor Gewalt wächst
Die Krise bedeutet für viele Stress zu Hause. Eltern reagieren mitunter aggressiv darauf. Eine Expertin gibt Tipps, wie Familien die ungewöhnliche Situation meistern können
Landkreis Lagerkoller. Dieser Begriff ist in letzter Zeit häufiger zu hören. Seit 21. März gilt in Bayern eine Ausgangsbeschränkung. Das beeinflusst auch das Familienleben. Denn häusliche Quarantäne bedeutet auch Stress für Familien. Man verbringt deutlich mehr Zeit miteinander als sonst, man langweilt sich, man streitet. Gestresste Eltern reagieren mitunter aggressiv. Und so steigt nicht nur bei der Landsberger Polizei vor den Osterfeiertagen die Sorge, dass die Situation in manchen Familien eskaliert.
Michael Strohmeier ist der stellvertretende Leiter der Landsberger Polizeiinspektion. Er und seine Kollegen sprechen von häuslicher Gewalt, wenn Erwachsene gegenüber Kindern oder dem Partner Gewalt anwenden. Eine Steigerung der Fälle hat er noch nicht festgestellt. „Der Lagerkoller kommt noch nicht so zum Tragen, weil die Leute bei dem schönen Wetter raus können“, sagt er. Dennoch macht er sich Sorgen, dass sich die Situation über die Feiertage ändern könnte. Denn an Ostern und an Weihnachten würden
Fälle von häuslicher Gewalt schon in normalen Zeiten häufen. Eine „gereiztere Stimmung“sei durchaus feststellbar – auch der Polizei gegenüber. Fingerspitzengefühl sei in diesen Tagen im Umgang mit manchem Bürger gefragt.
Dass der Corona-Ausnahmezustand eine Belastungsprobe für Familien ist, sagt auch Margit EradesPeterhoff. Sie ist die Leiterin der SOS-Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern in Landsberg. Eltern seien im Homeoffice und müssen Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit unter einen Hut bringen. Kleine Kinder benötigen mehr Zuwendung und Beschäftigung, die Schulkinder Unterstützung bei den Schularbeiten. Das alles führe Eltern an die Grenzen – körperlich, psychisch und emotional.
„Die Lage spitzt sich zu“, sagt die erfahrene Familienberaterin. Gerade in Familien, in denen Eltern mit Ängsten, Zwängen, Depression oder Suchtproblemen belastet seien, sieht sie die Gefahr, dass es jetzt in den Osterferien zu Fällen von häuslicher Gewalt kommt. In der ungewöhnlichen Situation der Ausgangsbeschränkung falle es vielen Erwachsenen schwer, Nischen zu finden, wo sie für sich abschalten können. Zudem könnten die Großeltern nicht einspringen.
Margit Erades-Peterhoff nennt ein aktuelles Beispiel aus dem Landkreis: Ein Mann, der immer wieder gewalttätig gegenüber seiner Frau und seinen drei Kindern werde. Viele Fälle dringen aber nicht nach außen. Zumal sich Kinder und Jugendliche derzeit auch nicht an Kindergärtnerin,
Lehrer, Schulsozialarbeiter oder Trainer wenden können, wenn sie Probleme mit den Eltern haben. „Diese Anlaufstellen gibt es gerade nicht.“So sei es umso wichtiger, dass sich Nachbarn, Bekannte und Verwandte in Verdachtsfällen an Polizei oder Jugendamt wenden. Und auch die Mitarbeiter der SOSBeratungsstelle seien in diesen Krisenzeiten für Familien aus dem Landkreis da.
Doch wie gelingt es in der aktuellen Situation, dass es erst gar nicht zu einer Eskalation kommt? Die Hesich rausforderung in einer Familie sei es, dass jeden Tag die Bedürfnisse von allen berücksichtigt werden. Margit Erades-Peterhoff empfiehlt Familienkonferenzen, in denen darüber gesprochen und der Tag klar strukturiert wird. Eltern sollten ohne die Kinder miteinander darüber sprechen, wie Erziehung in dieser ungewöhnlichen Situation aussehen sollte. Härte und Strenge empfiehlt die Familienberaterin nicht. „Üben Sie Gelassenheit“, sagt sie.
Wichtig sei es, die Zeit auch zu nutzen, für Spiele, gemeinsames Kochen, aber auch gemeinsame Computerspiele oder Filmabende. Einmal am Tag sollte auch darüber geredet werden, was gut und was schlecht gelaufen ist. Für jeden in der Familie sollte es zudem möglich sein, den „Pausenknopf zu drücken“und Zeit für sich zu haben, meint Erades-Peterhoff. O
Kontakt Die Mitarbeiter der SOS-Beratungsstelle sind in diesen Krisenzeiten für Familien aus dem Landkreis da. Sie sind montags bis freitags von 9 bis 12 Uhr und von 13 bis 17 Uhr unter der Telefonnummer 08191/911890 oder auch per E-Mail unter fbz-landsberg@sos-kinderdorf.de erreichbar.
Der Tag sollte klar strukturiert werden