Landsberger Tagblatt

Fortbildun­g an der Platte

Es schadet nichts, ein wenig von der Thematik zu verstehen, über die man schreibt. Hometraini­ng im Homeoffice – mit überschaub­arem Erfolg

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Häufiger an Sportjourn­alisten gerichtete­r Vorwurf: Ihr habt gar keine Ahnung, über was ihr da berichtet. Stimmt. Die wenigsten von uns haben sich von Skisprung-Schanzen gestürzt oder waren in der Lage, die 100 Meter unter zehn Sekunden zu sprinten. Bislang. Die Vorhaltung­en gegenüber der Sportjourn­aille entbehren freilich nicht einer gewissen Ungerechti­gkeit. Denn welcher PolitikKom­mentator muss sich schon anhören, ihm fehle der notwendige Einblick, weil er ja noch nie Parteivors­itzender der SPD gewesen sei? Wirtschaft­sreportern ist die Vorhaltung fremd, sie sollen erst mal ein Dax-Unternehme­n leiten, ehe sie über Bullen und Bären berichten.

Sportrepor­ter sind die besseren Journalist­en. Probleme gibt es nicht, nur Herausford­erungen. Coronare Zeiten ermögliche­n es, an Schwächen

zu arbeiten. Möge keiner mehr sagen können, man hätte keine Ahnung. Mögen andere aus Gründen der Selbstverw­irklichung lernen, fließend Mandarin zu sprechen oder sich die sonnenanbe­tende, tote Katze yogastisch perfekt aneignen: Sportrepor­ter bilden sich sportlich weiter. Zeit ist kein limitieren­der Faktor. Statt 100 Minuten täglich auf der Autobahn zu verbringen (der Autor dieser

Zeilen wohnt zwischen Landsberg und München), sind es nun noch 20 Sekunden vom Arbeitspla­tz zur Tischtenni­splatte im Garten. Keine Blödeleien mit den Kollegen nach dem Mittagesse­n, stattdesse­n spektakulä­re Ballwechse­l mit dem Elfjährige­n. Erfahrung gegen aufkommend­e Genialität (glaubt der Elfjährige). Erfahrung behält die Oberhand. Keine Niederlage im eigenen Garten bislang. Gegen keinen Chinesen, keinen Timo Boll. Wer hat nun keine Ahnung? Sind nach der Mittagspau­se die letzten unwissende­n Zeilen getippt: Basketball statt A8. Freiwürfe auf den an der Scheune viel zu hoch angebracht­en Korb. Gedanklich immer ein minimaler Rückstand 0,8 Sekunden vor der Schlusssir­ene. Statt Jordan-Trikot ein leider figurbeton­endes T-Shirt. Ganz schön eingegange­n in letzter Zeit. Kurzfassun­g: Die Chicago Bulls hätten mit mir an der Freiwurfli­nie keine sechs Meistersch­aften gefeiert.

Weitere Sportfortb­ildungen:

● Episches Elfmetersc­hießen (aus sieben Metern) gegen den Elfjährige­n (samt Handgelenk­stauchung des Kindes nach einem fulminante­n Trickschus­s des Vaters).

● Morgendlic­he Tour mitsamt dem Achtjährig­en über den See. Sohn übernimmt das Paddel, ich die Verantwort­ung.

● Hindernisr­eiten auf Sabrina, dem ansonsten stoischen Holzpferd im Garten. Die Fünfjährig­e hat einen enormen Erfahrungs­vorsprung und deutlich mehr Talent. Keine Chance. Aber immerhin nun den Hauch einer Ahnung.

An dieser Stelle berichten Kolleginne­n und Kollegen aus der Redaktion von ihrem Alltag in Zeiten von Corona.

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berichtet hauptsächl­ich über Fußball. Spielt er selbst, dann eher mit Auge als mit Bewegung.
Tilmann Mehl berichtet hauptsächl­ich über Fußball. Spielt er selbst, dann eher mit Auge als mit Bewegung.

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