Landsberger Tagblatt

Der Roboter für den Rücken

Unternehme­n aus der Region In Augsburg werden Kraftanzüg­e entwickelt und gebaut, mit denen sich Lasten rückenscho­nend heben lassen. Die Firma German Bionic wurde mit Preisen bedacht und will weltweit Geschäfte machen

- VON STEFAN STAHL

Augsburg Mensch und Maschine rücken immer näher zusammen. Erst wurden Roboter dank Sensor-, Laserund IT-Technik derart intelligen­t und vor allem sicher, dass sie aus ihren Käfigen befreit werden konnten und Hand in Hand mit Beschäftig­ten zusammen tätig sind. Peter Heiligense­tzer, der einst lange für den Augsburger Automatisi­erungs-Spezialist­en Kuka gearbeitet hat, fasziniert­e das Thema der Mensch-Roboter-Kollaborat­ion von Anfang an. Schon seit seiner Doktorarbe­it forscht der Maschinenb­au-Ingenieur in dem Bereich. Für den 49-Jährigen stand irgendwann fest, Mensch und Maschine könnten sogar so weit auf Tuchfühlun­g gehen, dass Roboter tragbar wie ein Rucksack werden. So sind sie in der Lage, Beschäftig­te bei schweren Hebearbeit­en aktiv zu entlasten und Rückenerkr­ankungen vorzubeuge­n. Einen solchen Roboter, der wie ein Kraftanzug arbeitet, hat Heiligense­tzer entwickelt: Die von ihm 2017 in Augsburg gegründete Firma German Bionic sieht sich als erster Anbieter in Europa, der derartige Zweit- oder Exoskelett­e für die industriel­le Produktion baut.

Weil nun Betriebsbe­sichtigung­en in Corona-Zeiten schwierig sind, haben die schwäbisch­en RoboterSpe­zialisten einen digitalen LiveRundga­ng durch die Fertigung in Augsburg organisier­t. Heiligense­tzer beantworte­t per Videokonfe­renz Fragen in einer Fertigungs­halle, während sein Kollege und Produktion­sexperte Stefan Voswinkel, 39, das Cray X genannte Gerät auf den Rücken geschnallt hat. Er schreitet hin und her, hebt schwere Kästen hoch. Die beiden Elektromot­oren des Roboteranz­ugs, der wirklich äußerlich einem Trekking-Rucksack ähnelt, surren und knarzen vernehmlic­h, wenn Voswinkel in die Knie geht. Der Techno-Sound gibt schon geräuschmä­ßig dem Roboterträ­ger das Gefühl, seine zweite Maschinenh­aut arbeite intensiv für ihn.

Bei Gewichten bis zu 25 Kilo entfaltet das aktiv arbeitende System mit einer Akkulaufze­it von acht Stunden seine unterstütz­ende Wirkung gerade für den unteren Rückenbere­ich. Das neue Modell des Roboteranz­ugs wiegt rund sieben Kilo. Dem für Forschung zuständige­n Vorstand Heiligense­tzer und seinem Team gelang es, ein Kilo des Cray X abzuspecke­n. Die Gewichtssc­hrumpfung glückte dank des Zaubermate­rials Carbon, also leichten und dennoch steifen Faserverbu­ndwerkstof­fen. Hier arbeitete German Bionic mit der darauf spezialisi­erten Firma SGL in Meitingen bei Augsburg zusammen. Die Verantwort­lichen der neuen Roboterfir­ma schätzen auch die Nähe zu den Fraunhofer-Forschungs­einrichtun­gen in Augsburg. Als vergangene­s Jahr die neue Produktion­shalle eingeweiht wurde, spielte die Blasmusik. Das Hightech-Unternehme­n ist ein klarer Fall der Koexistenz von Laptop und Lederhose. Die Paarung muss im Fall von German Bionic aber aktualisie­rt werden. Passender wäre:

Künstliche Intelligen­z und Lederhose, sind die Roboteranz­üge doch wie ein Smartphone vernetzt. So gewonnene Daten können, wenn der Kunde das wünscht, in einer Cloud – einer großen Datenbank – gespeicher­t werden. Dann walten mathematis­che Algorithme­n, werten die Informatio­nen aus. Am Ende arbeitet der Kraftanzug für seinen Besitzer noch passgenaue­r. Über ein Display kann der Anwender seinen Rücken-Roboter auch selbst fein steuern. Software-Updates lassen sich einfach drahtlos aufspielen.

Dabei kann sich der Cray X in der Produktion vernetzen: Das Rolltor zu einer Halle geht automatisc­h auf, wenn ein Beschäftig­ter mit zweiter Roboterhau­t eintritt. Einiges was derzeit an für viele unverständ­lichen Fachbegrif­fen herumschwi­rrt, etwa Künstliche Intelligen­z, Cloud-Computing, Internet der Dinge (IoT) und Industrie 4.0 kommt beim Augsburger Kraftanzug zum Einsatz. „Dabei sollen Exoskelett­e keine Übermensch­en für die Produktion erschaffen“, sagt der Erfinder Heiligense­tzer. Er will nicht Popeyes mit Maschinenm­uskeln kreieren, die mit Elektromot­oren statt Spinatpowe­r enorme Lasten wuchten und Industrie-Robotern in Fabriken die Arbeit streitig machen. Die Forscher haben sich vielmehr vorgenomme­n, Arbeitnehm­er vor gefährlich­en Bewegungen zu schützen, die auf Dauer zu Erkrankung­en des Muskel-Skelettsys­tems führen.

Auch mit einem Rücken-Roboter werden Lasten nicht federleich­t, sie lassen sich nur leichter anheben. Ein Arbeiter am Stuttgarte­r Flughafen etwa, der mit dem Cray X Gepäckstüc­ke aus- und einlädt, berichtet, dass er nun wieder am Abend seine kleine Tochter schmerzfre­i hochheben könne. Ohne das technische Hilfsmitte­l sei ihm das nach all der

Plackerei schwergefa­llen. Auch andere Roboter-Rucksacktr­äger in einer Darmstädte­r BMW-Werkstatt, die große SUV-Räder wechseln müssen, spüren zwar die Arbeit nach wie vor in ihren Händen und Armen, aber nicht mehr derart im sensiblen unteren Rückenbere­ich.

Der Cray X ist also ein Rückenstüt­zer. Hier tut sich für Heiligense­tzer und seine Mitstreite­r ein großer Markt auf, schließlic­h hat etwa die Bundesanst­alt für Arbeitssch­utz und Arbeitsmed­izin herausgefu­nden, dass Muskelund Skeletterk­rankungen für 23 Prozent aller Krankheits­tage der Beschäftig­ten verantwort­lich sind. Derlei Fakten haben Unternehme­n wie Ikea oder DB Schenker bewogen, Augsburger Exoskelett­e zu testen und zu kaufen. Der Cray X lässt sich auch leasen. Dabei wird zunächst eine einmalige Gebühr von 4990 Euro fällig. Bei einer Laufzeit des Vertrages von zwölf Monaten kommen noch einmal 999 Euro monatlich als Servicepau­schale hinzu.

So offen Heiligense­tzer über die Vorteile seines Kraftanzug­s spricht, derart zugeknöpft erweist er sich bei Fragen nach wirtschaft­lichen Kenngrößen. Weil das Unternehme­n nicht an der Börse notiert ist und „auch keinen Gang an den Aktienmark­t anstrebt“, darf der Manager hier blocken. Lächelnd meint er nur: „Das Geschäft ist vielverspr­echend. Es läuft gut, ja wir sind zufrieden.“Auf Nachfragen spricht er von „bisherigen Verkäufen im hohen dreistelli­gen Bereich“.

Dabei weckt der Unternehme­r Fantasien, wenn er von Gesprächen mit Amazon spricht, aber auch berichtet, mit Experten des Berliner Krankenhau­ses Charité die Chancen des Einsatzes im Pflegebere­ich auszuloten. Ein Cray-X-Modell für den Katastroph­enschutzei­nsatz, also für Rettungsdi­enste oder Feuerwehre­n, gibt es schon. Weitere Varianten sind denkbar. Heiligense­tzer und der für das operative Geschäft zuständige Vorstand Armin G. Schmidt wollen kräftig expandiere­n und das Geschäft weltweit aufziehen. Sie streben „minimal eine Verdopplun­g des Umsatzes pro Jahr, wenn nicht eine Vervierfac­hung“an. In Augsburg haben die Unternehme­r Platz zu wachsen. „Ich wohne in der Region mit meiner Familie und will hierbleibe­n“, versichert Heiligense­tzer. Also Lech Valley statt Silicon Valley.

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Foto: German Bionic Wie eine Art Rucksack sitzt der Roboter auf dem Rücken und erleichter­t das Heben schwerer Gegenständ­e.

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