Vorsprung durch Abstand
Autobauer wie Audi nehmen die Produktion schrittweise nach Wochen weitgehenden Stillstands wieder auf. Um die Beschäftigten zu schützen, mussten viele Details geklärt werden
Ingolstadt Achim Heinfling spricht unaufgeregt in die Kamera. Der Werkleiter des Ingolstädter AudiStandorts trägt eine helle Jacke. Rechts auf seiner Brust steht sein Name, links prangen die vier Ringe. Er wendet sich in einer Videobotschaft an die Öffentlichkeit, um zu erklären, dass ab kommender Woche die Produktion in Ingolstadt wieder schrittweise anlaufen soll. „Schrittweise“ist das Wort der Stunde. Es fällt ein ums andere Mal, ob bei Daimler, VW oder Audi. Nur die BMW-Verantwortlichen geben sich noch zugeknöpft, wann die Fertigung zum Teil wieder laufen könnte. Ende der Woche wird wohl mehr Klarheit herrschen, heißt es hinter den Kulissen in München.
Audi-Mann Heinfling ist deutlich auskunftsfreudiger. „Wir haben jeden einzelnen Arbeitsplatz unter die Lupe genommen.“Für Audi arbeiteten zuletzt 44458 Mitarbeiter in Ingolstadt. Am baden-württembergischen Standort Neckarsulm sind es 16 935. Das Unternehmen hatte Mitte März verkündet, dass die Produktion an den europäischen Standorten vorübergehend heruntergefahren werden muss. Rund die Hälfte der rund 61393 Beschäftigten in Deutschland sind in Kurzarbeit. Wie viele der Mitarbeiter nach dem teilweisen Anlauf der Produktion wieder voll tätig werden können, steht noch nicht fest. Auf alle Fälle werden diese Beschäftigten veränderte Arbeitsplätze vorfinden, die so umgestaltet wurden, dass der Schutz vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus gewährleistet ist. Abstand ist dabei oberstes Gebot. Der AudiSlogan „Vorsprung durch Technik“wird in diesen Monaten notgedrungen durch das Motto „Vorsprung durch Abstand“ergänzt. Um die nötige Distanz zwischen den Beschäftigten sicherzustellen, kamen auch „pfiffige Ideen von Mitarbeitern wie kleine transparente Trennwände“zum Einsatz, berichtet Heinfling. Solche Lösungen haben den Vorteil, dass zwei Audianer etwa bei der Verkabelung der Heckpartie eines Autos nebeneinander arbeiten können und sicher sind, obwohl sie nicht den Mindestabstand von 1,5 Metern einhalten können. Die Schutzfolie lässt sich mit zwei Magneten an der Kofferraumklappe des Autos derart befestigen, dass sich die beiden Monteure zwar sehen, aber vor einer Tröpfchen-Infektion geschützt sind. Bei manchen komplizierteren Einbauten wie etwa dem Dachhimmel, wo mehrere Fachkräfte anpacken müssen, geht es nicht ohne zusätzliche Vorkehrungen. Hier tragen die Beschäftigten künftig einen Mund- und Nasenschutz. All die Sicherheitsmaßnahmen haben Audi-Experten mit den Betriebsräten abgestimmt – ein aufwendiger Prozess mit reichlich Detailarbeit. Werksleiter Heinfling sagt: „Ein Arbeitsplatz gilt nur als
Corona-ready, wenn alle der Neuorganisation zustimmen.“Dabei wurde auch das Umfeld der Arbeitsplätze darauf abgeklopft, ob alles eben wirklich Corona-bereit ist. Hier haben die Spezialisten den Weg der Beschäftigten von zu Hause über die Drehkreuze und die Produktionshallen bis hin zu den Essensausgaben begutachtet. Es ist also enorm aufwendig, in Pandemiezeiten eine Autoproduktion so wieder in Schwung zu bringen, dass die Beschäftigten einem maximal niedrigen Infektionsrisiko ausgesetzt sind.
Bei Audi werden die Mitarbeiter vorab schriftlich informiert, was auf sie zukommt, wenn sie wieder Autos bauen dürfen. Um die Sicherheit der Arbeitsplätze zu bewerten, kam bei den Ingolstädtern das Ampel-System zum Einsatz. Wenn bei manchen Arbeitsplätzen ein rotes Licht „aufleuchtete“, weil der nötige Abstand zwischen den Mitarbeitern von 1,5 Metern nicht eingehalten werden konnte, kamen etwa transparente Trennwände und zum Teil auch Mund- und Nasenschutz ins Spiel, sodass die Ampel auf Gelb und schließlich auf Grün sprang.
Das Audi-Sicherheitssystem überzeugte auch die Spezialisten der Volkswagen-Konzernmutter in Wolfsburg und wurde von ihnen übernommen. Ob nun in Ingolstadt oder im größten zusammenhängenden Automobilwerk der Welt in Wolfsburg mit rund 70000 Mitarbeitern: Zunächst einmal wird in Corona-Zeiten die Produktion mit einer Schicht aufgenommen. In Wolfsburg etwa soll es mit dem Golf losgehen. Dabei fahren die Autohersteller wohl längere Zeit auf Sicht. Um einschätzen zu können, wie hoch der Produktionsbedarf ist, brauchen die Verantwortlichen verlässliche Informationen des Vertriebs. Hier wiederum lichtet sich der Nebel erst, wenn die Autohäuser wieder wie in Bayern am 27. April öffnen. In der Branche heißt es jedenfalls, das Interesse der hiesigen Verbraucher, ein Auto zu kaufen, sei gar nicht mal so gering. Der südeuropäische Markt hänge aber nach wie vor durch, während in China gerade der Bedarf an teuren deutschen Premium-Fahrzeugen schon deutlich angestiegen sei.
Die Absatz-Situation ist also noch unübersichtlich. Fest steht, dass Autohersteller wie Volkswagen oder Audi zuletzt erwartungsgemäß massive Einbrüche hinnehmen mussten, die natürlich empfindlich auf den Gewinn drücken. Nun wollen AutoManager verhindern, die Produktion zu stark hochzufahren. Sie treibt die Angst um, dann womöglich bei einem stärkeren erneuten Aufflammen der Pandemie in wichtigen Automärkten wieder eine ProduktionsVollbremsung hinlegen zu müssen.
Mund- und Nasenschutz für Beschäftigte