Wiesn wäre Deutschlands Ischgl geworden
Verstand besiegt Herz. Das Oktoberfest fällt aus. Zum ersten Mal seit mehr als 70 Jahren. Die ernsten Mienen am Dienstagmorgen verrieten es: Leicht gefallen ist die Absage keinem. Ebenso wenig wie die Schließung der Schulen, Gaststätten und Friseurläden. So schmerzhaft sie für viele ist, so richtig und vernünftig ist die Entscheidung. Zehntausende Menschen, dicht gedrängt an Biertischen, am Hendl-Stand, in der Schlange am Karussell: Die Wiesn wäre zum Ischgl Deutschlands geworden.
Social Distancing beim „Prosit der Gemütlichkeit“? Atemschutzmasken zur Tracht? Polizisten, die auf die Einhaltung von Abstandsregeln hinweisen? Vergiss’ es! Das Oktoberfest ist gelebtes Brauchtum, gelebte Freude, gelebte Ungezwungenheit. Obazda und Maßkrug werden munter hin- und hergereicht, es wird geherzt, geprostet und eingehakt. Und das ist auch gut so, das gehört zur Wiesn wie der weiß-blaue Himmel zu Bayern. Ein Oktoberfest „light“kann und sollte es nicht geben.
Den Wirten, den Bedienungen, den Schaustellern und Vereinen: Ihnen allen wäre es sehr zu wünschen gewesen, dass schon jetzt ein Ende der Pandemie absehbar gewesen wäre. Es wäre uns allen zu wünschen gewesen. Die Realität ist eine andere. Wir lernen gerade, wie schnell wir lockern und wie viel wir wieder zulassen können. Wir haben noch nicht einmal ein mögliches Datum, zu dem ganz normale Restaurants in Augsburg, Nördlingen oder Neu-Ulm wieder öffnen können. Da ist es gut, auch den Oktoberfest-Beteiligten in München frühzeitig reinen Wein einzuschenken: Großveranstaltungen mit zehntausenden Menschen aus ganz Europa wird es in diesem Jahr ganz sicher nicht mehr geben.