Neustart mit Nebengeräuschen
Geht es nach den Machern der Bundesliga, soll der Betrieb am 9. Mai wieder anlaufen: mit möglichst wenig Menschen und vielen Tests. Welche Szenarien auch noch denkbar sind – und warum die Fanszene heftige Kritik übt
Frankfurt am Main Diese Livestream-Show sollte Millionen Fans ein Stück Normalität suggerieren. Die perfekt orchestrierte Abfolge aus besonders zuversichtlichen Wortbeiträgen von Spitzenpolitikern, Top-Funktionären und Liga-Boss Christian Seifert bei Bild live sollte dem Fußballvolk vor allem ein Gefühl geben: Es könnte trotz Coronavirus-Pandemie sehr bald wieder losgehen mit der Bundesliga.
Die Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) und Markus Söder (CSU) nannten konkret den 9. Mai, zwischen Bayerns Karl-Heinz Rummenigge und Dortmunds Hans-Joachim Watzke gab es erste Spitzen, wer die Schale nach oben recken dürfe. In der aktuellen Lage mutete die betonte Business-as-usual-Konkurrenzhaltung fast schon skurril an. Der Pay-TV-Sender Sky reagierte mit einem euphorischen Jubeltweet und einer Anzeige, als wäre ein Neustart nicht ab 9. Mai denkbar, sondern ab morgen beschlossen. Vor der nächsten DFLMitgliederversammlung an diesem Donnerstag ist der Optimismus der Verantwortlichen deutlich gestiegen. Mit einer Fortsetzung und der Zahlung der letzten FernsehgeldRate könnten einige Vereine eine drohende Insolvenz abwenden. Klar scheint auch: Können DFL und Profiklubs mit ihrem Sicherheitskonzept für die Geisterspiele bis Mitte Mai an den Start gehen, dürfte das eine Vorreiterrolle im derzeit lahmgelegten Weltsport bedeuten. Ein Gedanke, mit dem auch Frankfurts Sportvorstand Fredi Bobic liebäugelt. „Wenn wir uns in Deutschland durch die gute Arbeit in der Politik, der Medizin und in den Unternehmen als Erste Schritt für Schritt zurück in die Normalität bewegen könnten, wäre das ein positives Signal für den globalen Sport und würde Deutschland richtig nach vorne bringen“, sagte Bobic dem Kicker. Der frühere Nationalspieler erhofft sich dadurch schon jetzt einen „riesigen Vorteil“, „eine große Chance“und „für uns positive Effekte“. Auch an anderen Eventualitäten habe die DFL unter Seiferts Führung gründlich gearbeitet. „Wenn das Paket voraussichtlich in dieser Woche fertig ist, wird sich zeigen, dass der Fußball in der Krise einen sehr professionellen Job gemacht hat. Viele andere Verbände tun sich damit total schwer“, erklärte Bobic selbstbewusst.
Deutlich weniger euphorisch zeigte sich die Fanorganisation „Unsere Kurve“. Der Interessenszusammenschluss hat den Profifußball vor einer Wiederaufnahme der Bundesliga mit Geisterspielen unter Druck gesetzt und ein Umdenken gefordert. „Wir möchten nicht mehr über Symptome diskutieren, sondern endlich über die Krankheit und die Wege zur Gesundung des Fußballs sprechen.“Vereine und Verbände seien herausgefordert, verbindliche Schritte zur Gesundung des Profifußballs einzuleiten und zu gehen, heißt es in einer Mitteilung vom Dienstag. Und weiter: „Der Profifußball als gesamtes System steht so deutlich wie noch nie auf dem Prüfstand.“Ein Wertewandel setze erst mal voraus, „dass der Profifußball anerkennt, dass er nicht erst seit der Corona-Krise krank ist“. Vieles spricht derzeit dafür, dass der Protest der organisierten Fans verhallen wird. Doch wie sehen mögliche Szenarien für den Bundesliga-Neustart aus?
● Fortsetzung ohne Publikum
Der präferierte DFL-Plan ist aktuell, die Saison von Mai bis 30. Juni wie geplant zu beenden, dafür wären nach aktuellem Stand nicht einmal besonders viele Englische Wochen notwendig. Alle Klubs trainieren auf ihrem Trainingsgelände, und der Spielbetrieb wird regulär wieder aufgenommen, sobald Politiker und Gesundheitsbehörden dies ermöglichen.
● EM- oder Eil-Modell
Sollten weitere Verzögerungen oder Komplikationen entstehen, könnte ein EM- oder Eil-Modell als Kompromisslösung dienen. Beim EMModell würden wenige fixe Spielorte im Norden, Westen, Süden und
Osten benannt, an denen mehrere Spiele pro Tag ausgetragen werden, was die Logistik erleichtern und die beteiligte Anzahl an Menschen reduzieren könnte. In einem Eil-Modell könnte die Taktung noch dichter gestaltet werden, sodass Teams zum Beispiel im Zwei-Tage-Rhythmus antreten. Grund dafür könnten beispielsweise neue Infektionen in den Klubs sein, die neue Schutzmaßnahmen erfordern und Zeit kosten.
● Geringere Stadionauslastung Ex-Nationaltorwart Jens Lehmann hat die Frage aufgeworfen, warum in einem Stadion für 70000 Menschen mit ausreichend Abstand nicht 20000 Fans hineingelassen werden dürften. Diese Idee ist aus zwei Gründen kein Thema: Die DFL kämpft um eine Fortsetzung mit möglichst wenigen Menschen (etwa 250 arbeitende Personen sind angepeilt) rund um die Stadien und würde damit die eigenen Vorschläge konterkarieren. Zudem sind Großveranstaltungen in Deutschland bis 31. August verboten.
● Abbruch oder Annullierung
Sollte die Saison trotz aller Szenarien nicht beendet werden können, sehen die Statuten von DFL und DFB dafür keine Lösung vor. Werden die bisherigen Spieltage annulliert? Zählt der aktuelle Tabellenstand? Gibt es Absteiger oder wird die Liga auf 20 Teams erweitert? Für die Solidarität unter den Profiklubs könnte ein solcher Fall zu einer Zerreißprobe werden, wie die aktuelle Situation der 3. Liga zeigt.
● Europäischer Plan
Der nationale Wettbewerb hat zur Beendigung der Saison Vorrang, wie die Uefa eingeräumt hat. Alle Spiele der Champions League und Europa League sind „bis auf Weiteres“verschoben. Die Königsklasse könnte etwa mit verkürzten Viertelfinals oder einem Final-8-Turnier an einem Spielort beendet werden, möglicher Termin wäre Ende August. Doch zuvor müssten die nationalen Ligen ihre Saison beendet haben – nicht nur die Bundesliga.