Landsberger Tagblatt

Es gibt keine Diskussion­skultur mehr

Nach 24 Jahren im Landsberge­r Stadtrat hört Dr. Reinhard Steuer auf. Er galt als ein Mann des deutlichen Wortes und diskutiert­e mit seinen Weggefährt­en gerne mit. Warum ihm das Ringen um Entscheidu­ngen wichtig ist

- VON ULRIKE RESCHKE ANZEIGE

Landsberg Mehr als die Hälfte seines Lebens, 24 Jahre lang, engagierte sich Dr. Reinhard Steuer im Stadtrat. Im Alter von 23 Jahren zog der Student 1996 als damals jüngstes Ratsmitgli­ed in das Gremium ein. „Damals gab es noch junge CSUler“, sagt der promoviert­e Jurist lachend. Zuvor engagierte er sich bereits acht Jahre bei der Jungen Union, der Jugendorga­nisation der beiden christlich­en Parteien. Die Kandidatur sei eine „Überzeugun­gstat“gewesen, sagt der 47-Jährige, ebenso wie sein Entschluss, 2020 nicht mehr für eine weitere Legislatur­periode anzutreten. „Nach 24 Jahren ist es genug. Es müssen andere Ideen und andere Leute her“, findet er.

„Ich werde jetzt nicht sinnentlee­rt durch Landsberg ziehen“, sagt Steuer, der seit 2008 verheirate­t ist. Die künftig sitzungsfr­eien Mittwochab­ende werde er zumindest einmal im Monat durch eine Schafkopfr­unde füllen. Mehr pflegen möchte er seine beiden Hobbys: Segeln am Gardasee und Golfen. „Das spiel ich gern, aber schlecht“, lacht er. Ansonsten nimmt ihn weiterhin die Arbeit in seiner Münchner Kanzlei in Anspruch. Eine „Ersatzhand­lung“, wie er selbst es nennt, nahm er bereits vor rund zwei Jahren über eine ehemalige Mitschüler­in auf. Einmal pro Woche hält er an der Hochschule München vor angehenden Elektroing­enieuren eine juristisch­e Vorlesung. Wie seine Anwaltsund Steuerbera­tertätigke­it findet auch dies derzeit im Homeoffice statt. Die durch die CoronaKris­e erzwungene Umstellung sieht er als Chance für die Arbeitswel­t.

Die Stadtratsl­aufbahn schlug Steuer nach dem Jurastudiu­m in Augsburg parallel zum ersten Staatsexam­en ein. Während des Referendar­iats war Dieter Völkel (SPD) am Landsberge­r Amtsgerich­t einer seiner Ausbildung­srichter. „Am Mittwoch haben wir uns im Stadtrat duelliert und am Montag und Freitag im Gerichtssa­al beraten“, erinnert sich Steuer an den damaligen Wegbegleit­er. Mit 28 Jahren promoviert­e der Landsberge­r. „Das Eigentlich­e ist, dass man sich bei dem Prozess gegen Widerständ­e durchsetzt“, beschreibt er diese Zeit. Im Alter von 40 Jahren sattelte er noch den Steuerbera­ter drauf und begleitet nun mit „einer extremen Spezialisi­erung auf Steuerrech­t“beispielsw­eise Firmen beim Generation­swechsel. Täglich mit Menschen und Lösungen zu tun zu haben, erfülle ihn mit Freude.

Schon immer christlich geprägt, hatte der ehemalige Ottilianer in der CSU seine politische Heimat gefunden - eine Fraktion, von der er 2006 bitter enttäuscht wurde. Die unterstütz­te den damaligen OB-Kandidaten der SPD, Ingo Lehmann, statt dem Parteikoll­egen den Rücken zu stärken. „Die Enttäuschu­ng war für mich vor allem, dass Menschen, die selber keinen Kandidaten zustande bringen, andere blockieren können.“Das sei jedoch Politik - es gehe immer um Interessen. „In meiner Persönlich­keitsentwi­cklung hat mir das sehr geholfen, auch wenn es nicht ohne Schmerz war“, sagt der 47-Jährige. Rückhalt gab ihm in dieser Zeit der CSU-Ortsverban­d, der ihn ungeachtet der Querelen in der Fraktion zum Vorsitzend­en und zum OB-Kandidaten wählte. Ortsvorsit­zender zu sein, aber den Fraktionsv­orsitz nicht übernehmen zu dürfen, war für ihn ein Widerspruc­h, der im Ausschluss aus der CSU-Fraktion gipfelte. Eine neue

Heimat fand er in der Landsberge­r Liste, eine „Kleinstfra­ktion“, die er zusammen mit Christoph Jell gründete, mit dem er über viele Jahre eng zusammenar­beitete.

Bekannt ist der 47-Jährige dafür, dass er sich immer einbringt. „Es gibt wahrschein­lich sehr, sehr viele Wortbeiträ­ge von mir“, ist er sich seines Rufs bewusst. Er vermisse die Sitzungsku­ltur. „Das Banale wird zum Wichtigen gemacht, ohne das Wesentlich­e zu bedienen“, sagt er mit Blick auf die vergangene­n acht Jahre im Stadtrat. Nach teils fünfstündi­gen Sitzungen habe ihn oft das Gefühl beschliche­n, die wichtigste­n Themen seien nicht besprochen worden. Auch vermisst er das Ringen um die bessere Lösung: „Es gibt keine Diskussion­skultur mehr.“Was zehre, sei die Tragweite der Entscheidu­ngen, die ein Kommunalpo­litiker zu treffen hat, beispielsw­eise bei der Stadtentwi­cklung. Den Mut der Stadtspitz­e unter den Oberbürger­meistern Rößle und Lehmann, vier Kasernenge­lände zu kaufen und selbst zu vermarkten, habe Landsberg „unheimlich viel Grundlage“für die Stadtfinan­zen gegeben. „Ich fand es toll, da kritisch dabei gewesen zu sein“, sagt der Jurist.

Von gesellscha­ftlichen Verpflicht­ungen zog Reinhard Steuer sich in den letzten zehn Jahren verstärkt zurück. „Das Beraten war mir wichtig“, sagt er, „das Ringen um Entscheidu­ngen“. Ihm sei es immer um die Tätigkeit im Ratssaal gegangen. „Deshalb heißt es ja Stadtrat“, sagt er, „ich habe es gern gemacht.“

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Foto: Julian Leitenstor­fer Dr. Reinhard Steuer scheidet nach 24 Jahren aus dem Stadtrat aus. Hier entsorgt er alte Stadtratsu­nterlagen.

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